Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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als unfreiwillige Lachnummer im Netz wiederfindet? Oder etwa ein weiser Alter in dem Gewand eines Bettlers, wie in diesen antiken, längst vergessenen Mythen, die er in der Uni-Bibliothek gelesen hat? Sollte es wirklich noch Wunder geben können in dieser trostlosten, hoffnungslos entwurzelten, kopf- und panikgesteuerten Stadt?

      Ich werde der Sache auf den Grund gehen, beschließt Yoav.

      Entdeckung

      Logbuch Mission 2036-623c, Astronautin Kisha Moon, Sternzeit 22019.54, Tag 4. Gesendet an Basis um 1:37 SRZ. Erneut keine Empfangsbestätigung.

      Status: Die ersten drei Außenmissionen haben zu keinerlei brauchbaren Ergebnissen geführt. Die Bedingungen sind unverändert gegenüber zuvor gesendeten Berichten. Habe Radius erneut erhöht, aber selbst innerhalb 15.000 Standard-Meter-Marke keine Zeichen von Leben oder Energiequellen ausmachen können. Bordsysteme der Raumkapsel zunehmend instabil, Tendenz steigend. Die Situation ist inzwischen als lebensbedrohlich einzustufen. Action Items: Da auf gesendete Berichte hin weder Empfangsbestätigung noch Kontakt zur Raumbasis erhalten werden konnte, muss ich von defekter Kommunikationseinheit ausgehen. Auslaufende Energiereserven zwingen zu alternativem Plan. Werde auf deutlich erweiterten Erkundungstrip mithilfe des maximal aufgeladenen Portable Suits und der Mitnahme von Notrationen gehen. Da Außenluft atmungskompatibel laut Scanner-Messung, ist bei energiebedingtem Ausfall des Portable Suits die Gefahr vertretbar. Werde in Richtung Norden aufbrechen, wo ich eine Wolkenbildung ausmachen konnte. Nächster Bericht, falls möglich, in 20 Standard-Stunden. Missionsbericht 3 Kisha Moon Ende.

      Das ist also der traurige Stand der Dinge: ein Desaster. Wenn sie sich jetzt nicht zusammen reißt und etwas riskiert, wird sie in der sterbenden Raumkapsel und der nicht enden wollenden Wüste genüsslich verdorren. Fakten bleiben eben Fakten, egal wie sehr sie das noch in Panik versetzen mag, aber die Kommunikationseinheit ist ganz offensichtlich Schrott.

      Also Plan B. Vielleicht ist es nur eine ihrer Intuitionen gewesen oder sie hat auf dem letzten Außentrip tatsächlich etwas entdeckt, das einer Wolkenstruktur geglichen hat, doch so oder so steht der Entschluss jetzt fest: Es geht nach Norden. Heute Nacht hat sie die knappen Energiereserven der Sphäre genutzt, um den Portable Suit startklar zu machen. 12,5 Stunden Standby-Betrieb verbleiben noch und eventuell wird sie auf die Verbindung zur Raumkapsel komplett verzichten müssen, falls der Marsch deutlich länger ausfallen und sie sich wieder so schlecht fühlen sollte. Das muss dieses Drecks-Klima sein, wälzt sie in Gedanken hin und her, aber im nicht mehr allzu fern erscheinenden Notfall muss sie leider auf genau dieses Drecks-Klima zurückgreifen.

      Die Sonne steht bereits im Zenit, als sie den zuvor erkundeten Radius hinter sich gelassen hat. Ihr Körper läuft mittlerweile rund, in automatischen, fließenden Bewegungen, doch ihr Kopf dröhnt und wehrt sich weiterhin stoisch gegen die unwillkommene Realität. Die Hitze des Mittags, die über der kargen, staubbedeckten Ebene flirrt, und das eintönige, fast hypnotisierend wirkende Gelände machen es ihr schwer, mit ihrem natürlichen Auge zu navigieren. Kurzerhand entscheidet sie sich, einen Teil der knappen Energiereserven zu opfern und das visuelle 3D-Display zu aktivieren. Sofort bauen sich die geografischen und atmosphärischen Messdaten vor ihr auf und projizieren eine nahezu gerade Linie auf ihr Ziel zu. Kisha analysiert die Fakten flüchtig. Dann denkt sie angestrengt nach: Bei den Bedingungen müssten doch zumindest eine intelligente Lebensform und damit die Chance auf eine brauchbare Energiequelle existieren. Die Ödnis bleibt ihr vorerst eine Antwort darauf schuldig.

      Die vorgegebene Route scheint sich in die Unendlichkeit zu dehnen. Der Planet zeigt nicht die geringste Reaktion auf ihre Anwesenheit. Keine Lebewesen, keine energetischen Signale, keine materialisierten Gedanken oder Bewegungen, nichts, das sich irgendwie mit ihrer Präsenz in Verbindung bringen ließe. Nur Leere, Stille und Eintönigkeit. Sie fühlt sich seltsam deplatziert an diesem Ort, es kommt ihr vor als sei er unwirklich, eine Projektion lediglich, ein riesiger Zerrspiegel, eine abstruse Reflektion. Aktion, keine Reaktion, analysiert sie verwirrt. Dafür aber eine Atmosphäre, die ihr Denken wie ein Aggressor infiltriert und ihrem Körper samt Kapsel die Energien absaugt. Es fühlt sich irgendwie falsch an, als wäre dies alles nur ein Spiel, eine Animation zuhause auf dem holografischen Display, Kausalität außer Kraft gesetzt. Ein Feind ohne Namen und ohne Gesicht.

      In den letzten vier Tagen hat sie bereits zwei beunruhigende Effekte ausmachen können: ihre Unfähigkeit, den mentalen Zustand herzustellen, mit dem sie unfallfrei mit ihrer Raumkapsel kommunizieren kann, und ihre Emotionsausbrüche, die ihr einen einsamen Rekord an Flüchen beschert haben. Selbst das Verstärkermodul des Portable Suits wird dies nicht mehr lange kompensieren können, reflektiert Kisha besorgt.

      Die Sonne hat mittlerweile ihr Zenit überschritten. Ihre Strahlen blenden Kisha durch den Suit hindurch. Endlich erreicht sie den Punkt, an dem sie das letzte Mal eine Wolkenformation hat ausmachen können. Sie stoppt und blickt in die Ferne. Auch heute ist ein vager Dunst zu erkennen, der sich über einer leicht flimmernden, ebenen Fläche erhebt. Das Gelände verändert sich ab hier nur geringfügig. Das Display registriert lediglich einen leichten Anstieg und eine größere Anzahl der flüssigkeitsliefernden Pflanzenstrukturen. Eine halbe Stunde später wird das Flimmern immer intensiver. Für einen Moment kommt es Kisha vor, als habe sie sogar ein kleines Lebewesen entdeckt, das sich beim Näherkommen unter die Pflanze verkrochen hat. Eine Halluzination vielleicht? Auf der Akademie wurde über das Phänomen der Fata Morgana auf Wüstenplaneten doziert, doch noch bevor ihr mentaler Befehl die Datenbank der Raumkapsel aktivieren kann, kappt Kisha die Verbindung endgültig. Sie verbraucht deutlich zu viel Energie.

      Das Gelände nimmt jetzt eine überraschende Steigung an. Der Untergrund wird immer schwerer zu erlaufen und löst sich unter ihrem Suit kontinuierlich auf. Eine langgezogene Düne scheint kein spürbares Ende zu nehmen, und fast freundet sich Kisha damit an, auf allen Vieren kriechen zu müssen, da erreicht sie unerwartet den schmalen Grat eines Gipfels.

      Sie traut ihren Augen und Ohren kaum. Nach sechs Stunden totenstillem, eintönigen Marsch breitet sich vor ihr ein gewaltiges Rauschen aus. Die Wellen eines in der Sonne glitzernden Meeres strecken sich ihr einladend entgegen und ein einsamer, flacher Strand zieht sich kilometerweit in die Ferne, ohne auch nur ein einziges Zeichen von Leben zu offenbaren. Ein Band aus weißgrauen, fliehenden Wolken, die ihre Last bereits abgeregnet haben müssen, schwebt majestätisch über dem Meer und verdunkelt die azurblaue Spiegelung des Himmels nur marginal.

      Doch dann, als Kishas Augen dem Wolkenband mit in die Ferne folgen, entdeckt sie sie endlich: Eine riesige, leuchtende, sich weit ausdehnende Stadt, die am Ufer des türkisfarbenen Ozeans aufragt, ein Gebilde aus steilen, hochgewachsenen, gleißenden Türmen unter einer Glocke aus gräulichem und dichtgefächerten Dunst.

      Eine Stadt, schießt es ihr aufgeregt durch den Kopf, endlich eine richtige, lebendige Stadt!

      Quincy‘s

      Es ist kurz vor Mitternacht, als Yoav sich seine grauen Jeans und den schwarzen Pullover überzieht, um noch einmal sein Zimmer zu verlassen. Boyle hackt dem Geräusch nach zu folgern noch immer in Trance auf der Tastatur seines Laptops herum. Die Nacht hat sich bereits der Stadt bemächtigt, und dies ist gewöhnlich Boyles liebste Zeit, so wie sie auch die beste Zeit von einem Teil von Yoav ist, vielleicht von dem echten, noch unverfälschten Teil in ihm.

      Nachdem er aus der Underground-Station in eines der weniger verbauten Viertel am Stadtrand hochgespurtet ist, steigt ihm sogleich der Geruch der Nacht und all ihrer Gewürze in die Nase, die dieses ethnische Mischmasch in sie wirft. Hier wohnen die weniger Betuchten, die lebendigen Seelen von überall her. Der ganze Boulevard scheint unter dem Rhythmus der verschiedenartigen Beats, Sounds und Stimmungen nur so zu vibrieren. Yoav liebt dieses Viertel, mit ganzer Seele, ihren Drive, ihre Diversität, ihre verrückten Farben, ihre Straßen, in denen kein Laden dem anderen gleicht, ihre ungebremsten Stimmen und ihren groovigen, exotischen Sound. Für ihn ist dies eine schmackhafte Suppe aus freier, leidenschaftlicher Individualität, und nicht dieses für hip gehaltene, schicke, konventionelle Einheits-Instant-Pulver aus Downtown. Es ist sein ganz persönlicher Mond, der Nabel seines nächtlichen Seins, zu dem er mindestens zweimal die Woche pilgern muss wie ein Gläubiger zu seinem Schrein.

      Als