„Einverstanden. Beginnen Sie doch einfach.“ Todd lehnt sich in seinem gepolsterten Bürostuhl zurück und lauscht aufmerksam. Jetzt will ich mal sehen, welche Note er seinem Bericht geben wird, denkt er neugierig.
„Nun, um es auf den Punkt zu bringen: Salomon hat den Rat um eine Rettungsaktion für Kisha Moon gebeten, was er im Wesentlichen mit dem übergeordneten Interesse am Gelingen der großen Mission verargumentiert hat. Es wurde jedoch deutlich, dass er auch ein privates Interesse verfolgt, was vor dem Hintergrund Ihrer vorherigen Bemerkung allerdings nachvollziehbar ist. Nichtdestotrotz ist der Rat übereingekommen, noch weitere vier Tage abzuwarten, bevor er eine solche Aktion genehmigt. Der Kontaktbestätigung durch Gesandtem X fällt hierbei natürlich eine wesentliche Rolle zu. Insofern, Professor Todd, möchte ich Sie bitten, mich umgehend zu informieren, sobald und falls Sie entsprechende Bestätigung erhalten sollten. Darüber hinaus würde ich es gerne Ihnen überlassen, den Gesandten so weit wie nötig über unsere Planungen zur Rettungsmission einzuweihen.“
„Aber natürlich, Avner, ich werde das gleich im Anschluss erledigen.“ Diesem Schlaukopf gefällt die private Komponente in Sals Anliegen überhaupt nicht, stellt Todd amüsiert, aber auch ein wenig besorgt fest. Ich muss aufpassen, dass hier nichts aus dem Ruder läuft.
„Gut. Dann kümmern wir uns nun um die weiteren Punkte.“
Avner übernimmt wie gewohnt die Führung des Calls und Todd lässt ihn in seiner ihm ureigenen Gemütsruhe gewähren. Wenn manche Leute nur wüssten, wie viel man wirklich über sie erfährt, wenn man einfach nur genau zuhört, denkt er gelassen. Während Avner die folgenden beiden Punkte der Agenda knapp skizziert und beide Männer schnell und unkompliziert ihre Aufgaben für die folgende Woche daraus ableiten, kann Todd nicht umhin, seine Gedanken abschweifen zu lassen. Noch vier ganze Tage, das ist eine Menge. Ob sie wohl so lange allein durchhalten wird?
„Professor Todd, hören Sie mich?“, holt ihn Avner mit sicherem Gespür für mangelnde Aufmerksamkeit wieder in die Realität zurück.
„Aber sicher, bitte fahren Sie fort. Halt, noch eine kurze Zwischenfrage meinerseits: Wie sieht es mit dem aktuellen Zeitplan für die Flotte aus? Werden wir noch rechtzeitig fertig?“
„Ich denke schon“, antwortet Avner, nicht ohne ein kleines Zögern in der Stimme zu offenbaren. „Meiner letzten Inspektion im Hangar vor zwei Tagen nach zu urteilen ist der Zeitplan zwar eng, aber nach wie vor machbar. Wir haben bereits entsprechend umorganisiert und die Teams erweitert. Insofern dürfte jetzt alles wieder on Track für den großen Tag sein.“
Er ist besorgt, folgert Todd, irgendetwas läuft nicht rund. „Gibt es etwas, das ich seitens der Akademie noch beisteuern kann? Sie wissen, wir haben sehr fähige Studenten in den höheren Semestern, die durchaus noch weitere Aufgaben übernehmen und Ihnen wertvolle Dienste leisten könnten“, operiert er taktisch klug.
„Nein, vielen Dank, Professor, wir schaffen das auch ohne weitere Unterstützung. Wenn Sie sich bitte nur um den Kontakt mit dem Gesandten X kümmern möchten.“
„Wie gesagt, Sie erfahren alle Neuigkeiten persönlich und unverzüglich von mir.“
„Gut. Dann sind wir für heute durch, denke ich. Nächster Call kommende Woche, selber Tag, selbe Zeit?“
„In Ordnung. Ich gehe davon aus, Sie bereiten wieder unsere Themenliste vor“, schließt Todd mit einer Feststellung, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten. Avner hat immer gerne alles im Griff. Nur im Moment scheint ihm irgendetwas quer im Magen zu liegen. Und das muss mit Sal und Kisha zu tun haben. Ich werde mich ein wenig diskret umhören müssen, folgt Todd seinem inneren Gefühl.
„Auf Wiederhören, Professor Todd.“
„Einen schönen Tag Ihnen noch, Ältester Avner.“
Ein kaum hörbarer Knacks in der Audio-Übertragung signalisiert das Abschalten des Calls vom anderen Ende her. Todd beendet per mentalen Befehl die seinige und sitzt dann noch ein paar Minuten nachdenklich in seinem Stuhl. Was könnte es nur sein, das Avner an dieser Mission von Kisha und an Sals Engagement für sie so stört? Er grübelt unter seine buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen nach, bis ihm plötzlich ein bestimmter Gedanke kommt. Sein Gesicht erhellt sich ein wenig. Dann formt sich ein wissendes Lächeln in seinen Mundwinkeln. Dieser Sauhund. Dieser gewitzte, ehrgeizige Sauhund. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen.
Wellen
Eve sitzt mit Blick auf den See vor ihrem Haus an der Drehscheibe. In ihren geübten Händen beginnt gerade ein Tonklumpen Form anzunehmen, und mit jeder rhythmischen Drehung, die ihre Beine präzise wie ein mechanisches Uhrwerk ausführen, verändert er sich gemäß der Stellung ihrer Hände und gibt eine Ahnung auf seine endgültige Gestalt preis.
So wie ich mit Gedanken Realität formen kann, erinnert sie sich. In ihrer ersten Zeit auf Casta 3 ist ihr diese Analogie eine große Hilfe bei der Transformation gewesen. Doch heute genießt sie dieses alte Kunsthandwerk, für das sie weithin bekannt ist, vor allem wegen seiner sinnlichen Wirkung, wegen dieses Wohlgefühls, etwas noch mit eigenen Händen erschaffen und formen zu können, und wegen seiner Wirkung, ihren Geist zu beruhigen und auf den Punkt des Jetzt hin zu konzentrieren. Mit Meditationsübungen ist sie seit ihren ersten Tagen hier niemals warm geworden. Das ist nur etwas für die auf Casta 3 Geborenen, hatte sie sehr schnell für sich festgestellt.
Noch vor zwei Stunden ist Sal in ihrem Haus gewesen, um sie über den Stand seiner Bemühungen zu informieren. Sie hat ihm gleich angemerkt, dass er nicht so weit gekommen ist wie er es gerne gewollt hätte. Wie ein schuldbewusster Hund hat er auf sie gewirkt, erinnert sich Eve, wie jemand, der etwas Unbekanntes ausgefressen hat. Sie hat innerlich darüber schmunzeln müssen und ihn unweigerlich dann auch wie einen solchen getätschelt, mit ihren Worten der Anerkennung für seine Hilfe. Wenn er nur wüsste, wie unnötig das ist, sinniert sie jetzt. Noch immer ist er gefangen in seinem Netz, das er sich selbst gesponnen hat und das ich ihm nicht eine Sekunde lang übergeworfen habe, noch jemals werde. Er wird sich schon ganz alleine daraus befreien müssen, wenn er wirklich leben und lieben will, beschließt Eve zum wiederholten Mal. Es ist die Summe aus mehr als 60 Jahren Lebenserfahrung, die aus ihr spricht, die geduldige Weisheit einer reifen Frau, die in zwei sehr verschiedenen Welten gelebt hat und weiß, worauf es ankommt: Leben, Sein im Moment.
Fakt aber bleibt, das ignoriert sie keine Sekunde lang, dass es wegen Kisha Widerstand bei den Ältesten gegeben haben muss. Es ist nicht weiter verwunderlich für sie. Eve kennt die Damen und Herren Ratsmitglieder aus früheren Anlässen und hatte ausreichend Gelegenheit, sich ein Bild von den unausgesprochenen Regeln dieses zentralen Zirkels zu machen. Also gut, es ist jetzt nicht mehr zu ändern. Es bleibt ihr nur noch die ungeliebte Rolle der passiv Ausharrenden für unendlich lange, weitere vier Tage, eine Tortur, in der ihr nur Liebe und Vertrauen werden helfen können.
Während die Drehscheibe sich Kreis um Kreis bewegt, konzentriert Eve ihre Gedanken und ihr Herz fest auf Kisha und sendet ihre Zuversicht und Liebe hinaus zu ihr in den Äther. Auf diese archaische Verbindung kann sie sich immer verlassen, das weiß sie so unumstößlich wie sie um ihr Herz weiß, und so fühlt sich Eve schon ein wenig besser, als sie wenigstens dies für ihren Schützling tun kann. Eine Welle der Ermutigung, die sich durch das Universum schwingt und unaufhaltsam auf ihr Ziel zutreibt, bis sie es endlich aufspürt.
Die Hütte
Der Abend zieht bereits herauf, als Kisha die ersten Ausläufer der Stadt entdeckt. Eine unbeleuchtete, alleinstehende Hütte am Strand dringt unerwartet in ihr Gesichtsfeld vor. Nachdem sie die Gegend eine Stunde lang versteckt ausspioniert hat und die Dunkelheit bereits hereingebrochen ist, packt sie endlich ihren Mut zusammen und schleicht sich von der dem Meer abgewandten Seite her an ihr Ziel heran. Ihr Herz pumpt wie einer der Power-Generatoren auf Casta 3, wenn sie sich an guten Tagen bis zum Limit vollsaugen.
Die Hütte ist aus losen Holzplanken zusammen gezimmert und in