Die Augenbrauen des Professors bewegen sich für einen Augenblick nach oben. Er sieht aus, als habe ihn gerade eine konkrete Erinnerung gestreift. „Ich verstehe vielleicht besser als Sie denken“, schmunzelt er, „aber ich habe Vertrauen in sie. Keiner meiner Studenten hat seine Grenzen bei mir so unerbittlich ausgetestet und ist dabei so regelmäßig gegen eine Wand gelaufen, wenn es notwendig war. Sie weiß, wo ihre Grenze liegt. Und wir werden da sein, falls sie sie erreichen sollte.“
Salomon steht langsam auf. Erst jetzt nimmt Todd das fortgeschrittene Alter seines Freundes wahr. Es ist eine Weile her. Noch immer ist Sals Physis imposant, eine muskulöse, große Erscheinung, ein Kerl wie eine unumstößliche Eiche mit immer noch äußerst wachen Augen darin, aber seine Bewegungen sind lange nicht mehr so fließend wie zu der Zeit, als Todd und er sich das letzte Mal trafen. Er streckt Sal seine rechte Hand zum Abschied entgegen und legt die andere zuversichtlich auf den Oberarm seines Gegenübers, während er ihn zur Tür geleitet.
Auf dem Gang dreht sich Sal noch einmal zu ihm um. „Ich vertraue auf Sie, Todd. Enttäuschen Sie mich bitte nicht.“
„Keine Sorge. Geben Sie meinen herzlichen Gruß an Eve.“
Gestrandet
Logbuch Mission 2036-623c, Astronautin Kisha Moon, Sternzeit 22019.03, Tag 1. Gesendet an Basis um 0:37 SRZ. Keine Empfangsbestätigung. Status: Defekt hat während vorgesehenem Flug zu ungeplantem Energieabfall geführt. Musste Raumkapsel auf nächstliegendem, geeignet erscheinendem Planeten manuell notlanden, dabei Verlust mehrerer Bordsysteme. Kapsel-Hülle ist gemäß erster Inspektion intakt. Navigatorin selbst ist unverletzt. Genaue Systemanalyse nicht möglich, jedoch klare Hinweise auf nicht ausreichenden Energiestatus betreffend erneuten Start und Verlassen der Umlaufbahn. Grund: unbekannt. Navigationseinheit außer Betrieb, demzufolge Planet nicht im System identifizierbar. Auf ersten Anschein hin Terra-konform, Atmosphärendruck und -zusammensetzung gemäß Multiscanner-Analyse kompatibel, ebenso wurden Nahrungsquellen identifiziert (Scanner hat pflanzenähnlichen Struktur als brauchbar bestätigt). Weitere Hinweise auf planetares Leben: bislang keine.
Action Items: Ziehe der Sicherheit halber zunächst verbleibende Bordverpflegung vor, die für etwa zehn Tage reichen sollte. Habe mehrere Notsignale unter Angabe der letzten registrierten Position an Basis gesendet, bislang ohne Antwort. Werde in Kürze auf zweiten Erkundungstrip mithilfe des intakten Portable Suits aufbrechen. Verbindung zu Raumkapsel konnte etabliert werden. Raumkapsel selbst wurde sicherheitshalber in einer Felsformation untergebracht. Nächste Meldungen gemäß Not-Protokoll im 12 Standard-Stunden-Takt. Kommende Meldung voraussichtlich bei Sternzeit 22019.15.
So ein Mist! So ein verdammter, beschissener Mist! Endlich auf dieser lange ersehnten, hart erkämpften Mission und dann diese Pleite, bevor es überhaupt losgegangen ist. Was werden die nur Zuhause sagen? Die werden grinsen bis ihnen die Gesichtszüge gefrieren. Die werden mich häuten. In Einzelteile zerlegen. „Was mache ich jetzt nur?“ Kishas Stimme hallt verzweifelt im Inneren ihres Portable Suits. Jetzt nicht auch noch weinen, ermahnt sie sich, als sie das erste, widerspenstige Zucken an ihrem Augenlid entdeckt.
Schätzungsweise 45 Prozent der geplanten Raumstrecke hat sie bis hierhin zurückgelegt. Insofern müssten die Energiereserven eigentlich für den Rückflug ausreichen. Doch infolge des Spannungsabfalls und der Notlandung muss es eine Mikro-Kollision, einen Kurzschluss oder einen Bruch im Schwingungsmodulator gegeben haben, was nun ein Leck in die Energiespeicher reißt, das sich weiter ausdehnt und langsam bis zur Hülle vor frisst. Doch was noch weitaus dramatischer ist: Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie sie das Ding flicken soll.
Reiß dich zusammen, Kisha. Konzentriere dich. Halte dich an die Facts. Aufruf der Scanner-Messungen Erkundungstrip 1, sendet sie mental an das Display. Der Eintrag von ihrem ersten Außengang im Radius von 500-Standard-Metern wird umgehend Audio-übertragen. Atmungskompatible Atmosphäre: Check. Essbare Pflanzenvorkommen: Check. Flüssigkeitsquellen: vorhanden, Check. Wetterlage: stabil, circa 50 SGD Außentemperatur, Check. Planetenoberfläche: Fester Untergrund, keine Anzeichen von Lebensformen, keine potenziellen Gefahrenquellen identifizierbar, Check. Planet wirkt ziemlich verlassen, um genau zu sein. Brauchbare Energiequellen: Fail. Bericht 1. Messung Ende.
Keine brauchbaren Energiequellen. „Fail“, wandert ihr Echo flach durch den Portable Suit hindurch, „bestens hingekriegt, Kisha.“ Sie aktiviert das Verstärkungsmodul und setzt sich kurzerhand in Bewegung. Der Suit lässt ihre Schritte über den staubigen Grund des Planeten fast hinweg gleiten und beschleunigt ihre Motorik um den Faktor fünf. Kisha entscheidet sich, für ihren zweiten Erkundungstrip den Radius auf 4.000 Standard-Meter festzulegen. Angestrengt blickt sie in die Ferne. Auch heute offenbart sich vor ihr die karge Landschaft, dieselbe tiefschlafende Ödnis wie schon am ersten Tag ihrer Bruchlandung. Eine rötlich-gelbe, feinkörnige Schicht überzieht das ebene Gelände, das auch innerhalb des erweiterten Gesichtsfelds keine Variationen zeigt. Weite, flirrende, hypnotisierende Monotonie. Nicht einmal der Multi-Scanner kann eine Veränderung in der Geostruktur registrieren. Gelegentlich ragt ein verdorrter Halm aus den Rinnen der flachen Dünen heraus, die sich durch das Spiel von Wind und Erosion gebildet haben müssen, und nur ab und zu erscheint ein Gewächs auf der Bildfläche, das seine Arme einen halben Standard-Meter weit in die Vertikale ausstreckt. Laut Multiscanner der Lieferant von flüssiger Nahrung, verborgen in den appetitlich aussehenden Tentakeln. Nur über meine Leiche, beschließt Kisha intuitiv, eindeutiges Fail.
Als sie eine der wenigen, zerklüfteten Felsformationen passiert hat, fällt ihr scheinbar zusammenhanglos ein, dass sie Doc T’s Seminar in alternativer Bioenergiegewinnung vielleicht mehr Aufmerksamkeit hätte widmen können. Das hätte jetzt zumindest die Basis für einige Lösungsansätze abgegeben, doch stattdessen musste sie wieder einmal auf Konfrontationskurs mit ihm gehen. Vermutlich ein Anfall von Stolz, angesichts der Konformen und ihrem gefallsüchtigen Gehabe, analysiert Kisha selbstkritisch. Doch auch mit Doc T hat zum Ende des letzten Semesters hin etwas nicht gestimmt. Immer öfter hat er seine Augenbrauen in die Stirnfalten gesogen und sie mitten im Satz abgewürgt. Warum musste er nur so verdammt ungerecht zu ihr sein?
Die gesetzte Radius-Grenze ist zügig erreicht, ohne dass sich etwas Verwertbares ergeben hätte. Die Anzeige des Multi-Scanners bleibt beklemmend stumm. Resignation bemächtigt sich Kisha wie ein kalter Hauch. Dieser seltsame Planet will ihr die Materialisierung all ihrer Hoffnungen verweigern. Endlose Wüste, drückend heiß, kein Zeichen von Leben und beängstigend leer. Doch zumindest der Portable Suit hält, was sich seine Konstrukteure auf Kryo versprochen haben. Eine fantastische Erfindung, stellt Kisha fest, als ihre mentalen Befehle immer zuverlässiger in Bewegung transferiert werden. In keiner der Simulationen der Trainingssequenz hatte sie je ein solches Gefühl von Leichtigkeit, Effizienz und Sicherheit erlebt, nie diesen Flow zwischen Humanoid und Portable Suit verspürt, von dem die erfahrenen Navigatoren stets begeistert berichtet hatten. Es ist, als würden der Suit und sie miteinander verschmelzen, zu einer organischen Einheit fusionieren, die intuitiv kommuniziert und sich kontinuierlich verbessert. Frequenz-Adaption, folgert sie fasziniert, dieser Erfinder ist ein verdammtes Genie. Das erste Mal seit ihrer Landung kommt etwas Pionier-Euphorie in ihr hoch. Sie beschließt spontan, den Radius der heutigen Erkundung auszuweiten.
Der Link zur Datenbank der Raumkapsel hat sich inzwischen automatisch freigeschaltet. Die Details zur Konstruktion des Suits dringen direkt in Kishas neuronales Netz: Portable Suit Modell-Typ 508/S, Entwicklung T. Kubrick; transparente, isolierte, semipermeable Außenmembran; autarkes Innenklima; waffenresistent gegen alle Modelle der Reichweite 100 SM; direkte, neuronale Verlinkung zur Raumkapsel; mentale Steuereinheit und Kontrollführung; hochauflösendes, interaktives 360-Grad-Display als Fallback-Option; reflektierende Tarnvorrichtung; Ladekapazität per Kapselverbindung 3 Standard-Tage, Standalone-Betrieb 20 Standard-Stunden; passgenaue Adaption auf Benutzer-Anatomie; Distanzeinstellung stufenlos von 0,3 bis 0,6 Standard-Meter. Kisha kappt die Übertragung an dieser Stelle. Lange Datenbankvorträge waren noch nie ihre Sache.
Als sie die Grenze des 5.000-er Radius schließlich erreicht, haben sich noch