Mitternachtswende. Melanie Ruschmeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Ruschmeyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738044980
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interessant gefunden mit seiner Narbe über dem rechten Augen, wurde er jetzt zur Zielscheibe ihrer Missgunst. In ihrem Verstand baute sich pure Mordlust auf und Bilder formten sich zu einem Puzzle zusammen, die ihn nicht gerade ins gute Licht setzten. Wenn er nicht bald etwas leiser werden würde, konnte sie nicht mehr für seine Sicherheit garantieren.

      Mit einem Mal klopfte der Bass gegen die Wohnzimmerdecke und Carlas Auge zuckte gewaltig. Allmählich glaubte sie, dass der Sessel sich bereits durch die Vibrationen fortbewegte. Im großen Bücherregal klappte ein Buch um und riss mehrere zu Boden. Dumpf erklang ihr Aufprall und schien das Fass zum Überlaufen zu bringen. In nur einer Sekunde sprang sie auf und zischte wie eine Viper: ››Ich bring ihn um!‹‹

      Die dicke Kellertür klappte auf und Li kam samt Josy heraus. Sie schienen ebenfalls erbost und ziemlich aufgebracht zu sein. Tief gruben sich ihre Augenbrauen nach unten.

      ››Sag mal, hat der sie noch alle?‹‹, fragte Li und schaute zur Decke auf. Auch Josy wurde wütend und stimmte mit ein: ››Kaum ist Celest mal kurz aus dem Haus, da glaubte er, er könne sich alles erlauben!‹‹

      Carla fühlte sich bestätigt und nickte den beiden zu. ››Ich bring ihn um. Habt ihr irgendwelche Einwände?‹‹

      Lässig lehnte sich Li an die Tür und grinste breit. Josy schüttelte mit dem Kopf und stimmte in die Mimik ihres Mannes mit ein. ››Tu was du nicht lassen kannst. Gerade würde sich die gesamte Familie bei dir für diese Wohltat bedanken.‹‹ Auch wenn ein Hauch von Ironie in ihrer Stimme lag, reichte Carla diese Aussage aus. Wie ein Stier stampfte sie los und wollte gerade die erste Treppenstufe nehmen, als Josy ihr nachrief: ››Bitte frag Gray noch, ob er dir nicht behilflich sein möchte. Er verpasst nur ungern eine Rauferei mit seinem Liebling!‹‹

      Kurz hielt Carla inne und runzelte die Stirn. War das gerade ein freundschaftliches Lächeln auf ihren Lippen? Sie konnte es nicht glauben und zog fragend eine Braue hoch. Als sie so darüber nachdachte, musste sie sich eingestehen, dass Josy die letzten Tage viel zu freundlich zu ihr gewesen war. Keine bösen Blicke, kein Streit und keine Ohrfeige. War ihr etwas entgangen?

      Dann knurrte ihr Magen lautstark los. Er zog sich derart zusammen, dass Carlas rechte Hand sich in die Bauchdecke krallte und der Körper sich geringfügig krümmte. Es war nicht nur der Hunger, der Carla plagte, auch Magenkrämpfe suchten sie die letzten Tage heim. Ab und an fühlte es sich so an, als wenn ihre Mitte sich drehte und schmerzlich verbog.

      Blitzschnell war Josy bei ihr und hielt ihr das halbvolle Glas hin. ››Trink lieber noch etwas‹‹, meinte sie und zwinkerte, ››zur Stärkung! Nicht das du bei dem ersten Schlag aus den Latschen kippst. Das wäre doch sehr schade.‹‹

      Steif und ruckartig griff Carla nach dem Getränk und wagte nicht, sie aus den Augen zu verlieren. Hatte sie in dieser kurzen Zeit Gift hineingetan? War es das? War sie nur aus diesem Grund so nett zu ihr, weil sie sie loswerden wollte? Ging das überhaupt? Sie war verwirrt und vergaß für den Bruchteil ihren Hunger.

      Doch als sich ihr Magen erneut mit Schmerzen bemerkbar machte, trank sie die Flüssigkeit in nur einem Schluck aus. Ohne auch nur einen Gedanken an die Fragen zu verschwenden, schüttete sie alles hinunter.

      Es dauerte nicht lange, da packte sie ein Schwindelgefühl. Wie eine Welle aus brachialer Gewalt verwischte es jegliche Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen. Vor den Augen begann sich alles zu drehen. Das Umfeld verschwamm zu bunten Tupfern und sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich am Treppengeländer abzufangen. Das Glas in ihrer Hand fiel zu Boden und brach klirrend in zwei Teile. Die letzten roten Blutstropfen bahnten sich ihren Weg auf den Fußboden.

      Unsanft landete sie mit dem Hintern auf der Treppenstufe und wiegte sich hin und her.

      ››I... Ich glaube... das Blut war ranzig‹‹, stotterte sie. Die Welt drehte sich. Carla fühlte sich wie in einer Achterbahn. Vor. Zurück. Hoch. Runter. Sie bekam nichts mehr zu fassen. Alles entglitt ihr. Das Gefühl in den Fingern war fort; förmlich taub.

      Josy beugte sich zu ihr hinunter, fasste nach ihrer Schulter. ››Alles in Ordnung? Geht es dir gut, Sarah? … Du wirkst noch blasser, als gewöhnlich.‹‹

      Sie konnte ihr nicht antworten, denn nun versagte auch ihre Stimme. Offen verharrte der Mund und entließ nur die Atemluft. Carla fühlte sich hilflos, denn sie schien nicht Herr über sich selbst zu sein. Jegliche Kontrolle rann ihr wie Wasser durch die Finger, das durfte nicht sein! Angst schlich sich in ihr Herz, dass Sarah diese Chance ausnutzen und sie verdrängen würde; vollkommen und unwiderruflich. Wild begann es zu schlagen und Adrenalin auszuschütten, der ihren Körper nur noch mehr durcheinander brachte.

      Ungestüm schlugen die Arme umher und forderte Josy auf ein paar Schritte zurück zu gehen.

      ››Ich brauch keine Hilfe!‹‹, brummte Carla und zog sich an dem Geländer hoch. Wie eine alte Frau, die nicht wahrhaben wollte, dass sie ihre Gehhilfe benötigte, krallte sie sich daran fest und schnaufte. Zitternd und verkrampft stand sie da. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie zu ihren wackeligen Beinen hinunter. Das war nicht sie. Ein stattlicher Vampir; standhaft, geschmeidig und stark. Konnte etwa dieser Körper ihre Seele, wenn sie vollends ans Tageslicht trat, nicht mehr tragen? War er nicht für sie gemacht?

      Plötzlich war alles verschwunden. Das Zittern verebbte und das Gefühl ihrer Extremitäten kam zurück. Fast wie, als wenn irgendjemand einen Schalter betätigt hätte und ihr das Leben wiedergab. Die Drohung aber blieb bestehen.

      Die Auseinandersetzung mit Marc war nebensächlich geworden. Nach diesem Geschehen wollte Carla nur noch auf ihr Zimmer.

      Ohne ein Wort ließ sie Josy und Li im Wohnzimmer stehen und rannte die Treppe hinauf. Als sie vor Marcs Zimmertür vorbei hechtete, war ihr selbst der Lärm gleich. Sie musste fort. In ihre vier Wände. Allein. In Sicherheit.

      Vor ihrem Spiegel und den Schminkutensilien versuchte sie ihr aufgebrachtes Gemüt zu beruhigen. Ich Herz raste und ließ die Brust hektisch auf und ab zucken. Sie wollte schluchzen, doch es ging nicht. Verängstigt hielt sie ihre zitternde Hand vor den Mund und starrte auf ihr Abbild. Dicke Schminke bedeckte ihr Gesicht und versuchte die Bässe zu verwischen. Der dunkle Lidschatten ließ sie krank und alt wirken. Das war nicht sie, eindeutig.

      Angst, ein Gefühl, welches sie in diesem Körper erst seit beginn ihrer Machtübernahme richtig zu spüren bekommen hatte. Oft hatte sie über Sarah und diese Empfindungen gelacht, doch nun verstand sie, was es bedeutete.

      Auch die Tränen, die sie des öfteren in Sarahs Gedanken gesehen hatte, waren ihr fremd gewesen. Nun allerdings wünschte auch Carla sich dieses Ablassventil. Die Trauer wollte ihren Körper zerfressen; in regelrecht auseinandernehmen.

      Und sie saß nur da und konnte nichts tun. Sie musste es ertragen. Langsam, ganz langsam, bemerkte sie, wie ihr Körper zerfiel. Er veränderte sich; war nicht mehr der Selbe.

      Ihre Hand rutschte vom Mund herunter und wurde vom Spiegelbild magisch angezogen. Carla zog die roten Lippen auf dem Abbild nach. Alles war zu viel. Die Maske aus Schminke wurde nicht nur brüchig, sie wirkte grotesk.

      Gedankenverloren, als wenn jemand anders sie steuerte, suchte sie nach den Abschminkprodukten.

      Als die Wattepads über ihr Gesicht wanderten und Schicht um Schicht daraus verbannten, wurde Carla klar, dass wohl auch sie verschwinden würde. Vielleicht hatte sie Glück und fand ihren alten Platz im Unterbewusstsein wieder, aber wahrscheinlicher war, dass dieser Körper sich dem Ende zuneigte. Sie hatte sich an eine Stelle gesetzt, die ihr nicht gebührte und der eigentliche Eigentümer hatte ihr den Rücken zugewandt.

      Auf einmal klopfte es an der Tür. Nur kurz und sehr leise, doch Carla schreckte hoch, als wäre der Teufel hinter ihr her. Den Wattepad an die Brust gedrückt, sah sie verängstigt zur Richtung des Geräusches.

      ››Darf ich eintreten?‹‹ Es war Josy, die eine sehr besorgte Stimme an den Tag legte. Einige Minuten dachte Carla über diese Frage nach und war sehr dankbar über die Zeit, die ihr gelassen wurde. Schließlich sackte sie auf ihrem Stuhl zusammen und sagte: ››Ja.‹‹

      Fast