Tochter des Schmieds. Lieselotte Maria Schattenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lieselotte Maria Schattenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Heimkehrerkind
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742773852
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Ein blauer Augenblick ist nur mehr Seele.

       Am Waldsaum zeigt sich ein scheues Wild und friedlich

       Ruhn im Grund die alten Glocken und finsteren Weiler.

       Frömmer kennst du den Sinn der dunklen Jahre,

       Kühle und Herbst in einsamen Zimmern;

       Und in heiliger Bläue läuten leuchtende Schritte fort.

       Leise klirrt ein offenes Fenster; zu Tränen

       Rührt der Anblick des verfallenen Friedhofs am Hügel,

       Erinnerung an erzählte Legenden; doch manchmal erhellt sich die Seele,

       Wenn sie froher Menschen gedenkt, dunkelgoldener Frühlingstage.

       Georg Trakl 1913

      2. Brody im Juni 1906

      Unser Großvater Wilhelm erzählte uns Enkeln manchmal aus seiner Jugend. Wir saßen still auf der Erde und hörten ihm gebannt zu.

      Schwere Ladung haben die beiden Arbeitspferde zu ziehen. Großvater Wilhelm ruft ho ho und hü, schnalzt mit der Zunge und lässt die Peitsche knallen. Der Weg ist steinig und führt aus dem kleinen polnischen Heimatort bei Stary Tomischel an der alten Mühle Kuschlin entlang, die auch heute in Betrieb ist. Es war abgemacht, dass Großmutter Marie noch einen Besuch bei ihrem Onkel Fritz, der hier als Müller tätig war, abstattete. Er und seine Frau Herta wünschten dem jungen Paar viel Glück in ihrem neuen Heim und eine gute Arbeit auf dem Gut Brody. Man hörte ja, dass es auf dem Gutshof einige Veränderungen geben sollte. Ein Herr von Oppen hatte den Besitz an die Familie von Pflug verkauft.

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      Der neue Herr stellte Landarbeiter aus der Gegend und in der Saison auch aus Russland ein. Der Onkel übergab dem jungen Paar feierlich in einem weißen Umschlag ein verspätetes Hochzeitsgeschenk. An der Feier vor wenigen Wochen hatte er nicht teilnehmen können. Durch seine Staublunge, die er vom Mehlstaub bekommen hatte, war ihm das Reisen nicht mehr möglich. Das Sprechen fiel ihm schwer, weil er sehr kurzatmig war und keine körperliche Anstrengung mehr vertrug; so hatte Maries Cousin die Mühle übernommen. Über die unerwartete finanzielle Zuwendung waren die beiden Besucher sehr froh und bedankten sich artig, ehe sie ihre Reise fortsetzten.

      Die Landstraße war staubig, an manchen Stellen fehlte das Kopfsteinpflaster. Dann gab es Sandlöcher, in denen das Fahrzeug drohte, steckenzubleiben. Die Räder ächzten, der Wagen ruckelte und Marie kontrollierte ständig ihre Ladung, während ihr Mann die Zügel straff hielt.

      In Gedanken saß sie noch bei den Eltern, von denen ihr der Abschied besonders schwergefallen war. Sie dachte an die Familie und an ihre Vermählung.

      Die Hochzeit hatte vor Ostern in der evangelischen Kirche Neutomischel stattgefunden. Die in Kreuzform errichtete und mit doppelten hölzernen Emporen ausgestattete Kirche konnte mehr als 1000 Besucher aufnehmen. Als sie im Jahr 1780 eingeweiht wurde, gab es die Ortschaft noch gar nicht.

      In der Kirchenchronik wurde berichtet, dass sich um die neuerbaute Kirche herum an Sonn- und Feiertagen durch das Zusammenströmen vieler Menschen ein lebhafter Verkehr entwickelte und so die Stadt entstand:

Bild 28

      Wilhelm und Marie hatten sich auf dem Weihnachtsball kennengelernt. Sie war in der Kreisstadt bei einer Beamtenfamilie in Stellung und hatte Hauswirtschaft gelernt, er ist seinen Eltern schon einige Jahre als Bauer auf dem großen Hof im Nachbardorf zur Hand gegangen. Ihnen blieb nicht viel Zeit, denn der Wochentag war ausgefüllt mit Landarbeit. So blieb nur der Sonnabend in der Stadt, wenn die jungen Leute ausgingen und sich in Gruppen versammelten, um gemeinsam mit dem Fuhrwerk auszufahren. Dann machten sie sich fein, wuschen sich den Staub aus den Haaren und waren wie die Kinder, fröhlich und kurze Zeit unbeschwert.

      Schnell stand fest, die beiden wollten ihr Leben miteinander teilen. Die Hochzeit wurde beschlossen und ein Ort gesucht, wo beide gemeinsam Arbeit hatten. „Weit und breit gab es dafür nur einen Ort, das Gut Brody.“

      Hier hatte Großvater seinen Vortrag für diesen Tag unterbrochen, nahm nachdenklich seinen Tabak, griff die alte Mütze und verschwand für eine lange Zeit im Garten. Erst auf unsere neugierigen Fragen nach dem Schloss nahm er den Faden wieder auf:

       Grafik 12 Schloss Brody

      „In der Provinz Posen hatte die Herrschaft auf dem Gut Brody um 1900 ihre Blüte erreicht. Einen großen Teil seines Landes baute der Besitzer Freiherr von Pflug mit Hopfen an und hatte guten Erfolg damit. Der Roggen konnte auf dem Moorboden gut gedeihen, während die Gerste und der Hafer oft der Fritfliege zum Opfer fielen, die feuchte Lebensräume bevorzugte und ihre Eier besonders in die Herzen des langhalmigen Getreides legte. Auch die Zwergzikaden, diese winzigen punktäugigen Insekten, die mit Hilfe ihrer Hinterbeine gut springen können, zogen mit ihren stechend-saugenden Mundwerkzeugen an ihren Wirtspflanzen wichtige Aufbaustoffe heraus. Letztendlich kamen die Zuckerrüben in die Fabriken, wenn sie durch ihr schnelles Wachstum den Engerlingen oder Drahtwürmern entgangen waren. Es gab wenig Weideland in diesem Landstrich, deshalb arbeitete der Betrieb nutzviehlos. Dieser Boden war einer der nährstoffreichsten in der ganzen Provinz Posen. Dazu gab es Wald mit Kiefern und Birken, der jährlich abgeholzt und mit einer neuen Hopfenanlage versehen einen doppelten Ertrag brachte. Einige Hundert Bäume säumten die Straßen, Gärten und Alleen ringsum und trugen mit ihren Früchten zum Wohl der Menschen bei.

      Die Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen dienten zum Verkauf in den Städten Pinne und Neustadt. Von Wichtigkeit waren die großen Höfe, weil sie das Zentrum der großen Wirtschaft darstellten. Das Zugvieh und die Feldfrüchte mussten in Gebäuden untergebracht werden, um bei dem wechselnden Klima keinen Schaden zu nehmen. So hatte der Hof in Brody mit dem 1892 erbauten Schloss und der evangelischen Kirche die Ausmaße eines gewaltigen Rechtecks.

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      Außer der Scheune, einem Hof mit Brennerei, Stallungen für Dutzende Arbeitspferde, aber auch eine Handvoll Luxuspferde sowie Mastschweine gab es auch einen Hühnerstall und den Taubenschlag für den Aufenthalt des nötigen Geflügels.

      Der Hopfenanbau brachte dem Gut viel Geld ein. Durch das Vermischen von Wasser, Gerstenmalz und Hopfen und dem durch Hefe ausgelösten Gärprozess, in dessen Verlauf mehr oder weniger Alkohol frei wurde, entstand das Bier, das den Menschen des Gutes als Nahrungsmittel und dem Herrn als Ware diente. Es gab dafür schon seit dem vorigen Jahrhundert sowohl Bierverordnungen als auch eine Preisbindung beim Verkauf in der Stadt.

      Der Speicherraum für einige Tausend Zentner Getreide lässt erahnen, wie viel Arbeiter nötig waren, um diesen Betrieb aufrecht zu erhalten.

      So hatte der Gutsbesitzer Paul von Pflug auch außerhalb des Hofes entlang der Landstraße in östlicher Richtung zehn Arbeitshäuser zur Aufnahme von Arbeiterfamilien sowie eine Unterkunft für einige Dutzend Sommerarbeiter bauen lassen.“

      Es war kein Wunder, wenn der Großvater so von seinem Schloss schwärmte, denn dieser riesige landwirtschaftliche Betrieb suchte Seinesgleichen. Schließlich konnte er mit seiner Marie in eines dieser Häuser ziehen.

      Seine blauen Augen leuchteten und er zwirbelte den Schnurrbart, während er träumend wieder zum jungen Mann wurde.

      Als sich das Fuhrwerk an diesem Tag dem Gutshof näherte, stoppte Wilhelm die Pferde, machte die Leine am Wagen fest und näherte sich zu Fuß dem großen eisernen Tor, während Marie auf die Tiere achtgab. Er war dabei, eine lange besprochene Entscheidung in die