Tochter des Schmieds. Lieselotte Maria Schattenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lieselotte Maria Schattenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Heimkehrerkind
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742773852
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Bauern neugierig auf ihre Rechen und hielten die Hand schützend über die Augen. „Was um alles in der Welt ist denn heute bei dem Schmied los?“, forschte der alte Wendisch und sah seine Frau an. Die zuckte mit den Schultern:„ Wenn das man nichts mit dem Wochenbett der Frau zu tun hat. Sie ging schon ziemlich stark und hat auch bis zuletzt geackert, die Arme. Ein Wunder, dass sie das Kleine nicht auf der Wiese entbunden hat.“ „Das dünne Schneiderlein kümmert sich um die beiden Burschen. So etwas hat man ja noch nicht gesehen. Was will der denn bei der Feldarbeit? Den bläst doch ein Gewittersturm glatt von der Wiese“, lästerten die anderen Leute und wandten sich kopfschüttelnd ihrer Arbeit zu.

      Am Nachmittag kurz nach der Kaffeezeit wurde im Mütterhaus durch die Hebamme Frau Zehkorn eine kleine Tochter entbunden. Diese Frau half noch vielen Kindern auf die Welt. Sie hatte in ihrem Haus zwei Entbindungszimmer eingerichtet.

      Ein notdürftig eingerichtetes Krankenhaus und einen Arzt gab es in der großen Kreisstadt. Für die Bauern war es zu umständlich, dorthin zu fahren. Natürlich war die Ausstattung des Hauses dürftig und auf das Notwendigste beschränkt. Der Entbindungsraum im linken Flureingang hatte vor dem Krieg schon so ausgesehen: Rechts an der Wand stand der grüne Kachelofen, in der Mitte ein altes Feldbett, von dem man den Umriss in der Dielenfärbung noch Jahre später wahrnehmen konnte und links, gleich neben dem Eingang, ein Tisch als Wickelkommode. Den Sonnenschein hielten zerschlissene Jalousien zurück und tauchten den Raum in ein fahles Dämmerlicht. Über der Kommode an der Wand hingen Tapeten mit Kindermotiven. Bälle, Rasseln und Teddys, bunt durcheinander. An den Wänden klebten Tapeten, man sah an abgeriebenen Stellen unter ihnen alte Zeitungsreste mit russischen Schriftzeichen. An eine Renovierung dieser Räume konnte damals nicht gedacht werden, denn es gab wichtigere Dinge, wie das tägliche Brot zu besorgen und den Kindern auf die Welt zu helfen, dem Leben wieder Sinn zu geben.

      Als Mutter und Kind nach einigen Tagen wieder zu Hause waren, verlief der Ablauf des Tages anders als gewohnt. So eine Entbindung in der Haupterntezeit und ein Kind so kurz nach dem Krieg war kein Ereignis, das die Familie sonderlich begrüßte. Zunächst begannen die beiden Großen, inzwischen acht und neun Jahre alt, viele Fragen an die Eltern zu stellen:

      „Bleibt die Kleine jetzt bei uns oder bringst du sie wieder zurück?“, machte sich der Ältere die Hoffnung, dass es so wird wie früher.

      „Woher kam die kleine Schwester eigentlich? Wieso wurde sie überhaupt zu uns gebracht? Wir haben doch schon zwei Kinder“, grenzte sich der Jüngere ab. Beide hatten in den vergangenen Jahren genug durchgemacht.

      Sie wollten jetzt ein wenig Ruhe in ihrem Leben, eine Zeit, wo die Mutter wenigstens am Abend mehr für sie da war. Die beiden waren kurz nacheinander noch in der alten polnischen Heimat geboren. Erst als es hieß, man solle die deutschen Ostgebiete verlassen, begann eine schreckliche Zeit für die Mutter und die beiden kleinen Kinder. Die Mutter hatte in kurzer Zeit ihr Hab und Gut zu packen, das in zwei großen Koffern Platz hatte, dabei Federbetten und das Nötigste für die Kinder. Mit Pferd und Wagen flüchtete auch sie wie so viele andere im kalten Winter bei Schnee und Eis über die Oder. Vater war zu dieser Zeit schon in Richtung Russland als Soldat unterwegs.

      Im September wurde das Mädchen auf den Namen Lieselotte getauft, nach der Schwester von Großmutters früh verstorbener Cousine, die sehr vornehm war. Es konnte ja sein, dass diese Vornehmheit abfärbte. Über das Taufbecken gehalten wurde sie von Mutters Bruder, der seinen ersten und letzten Besuch in ihrer neuen Heimat vornahm. Er konnte diesem Staat gar nichts abgewinnen, fand er doch bei Stuttgart seine große Liebe. Unregelmäßige Briefkontakte, zu Festtagen und Geburtstagen blieben.

      Zwei Jahre später hatten die Eltern noch einmal ein neues Bett für den letzten Spross der Familie aufzustellen, den sie auf den Namen Klaus tauften.

      Die Alten sagten, in dem Augenblick der Taufe kommt mit Wort und Wasser der Geist Gottes auf den Menschen herab und verändert ihn für immer.

      Die Taufe, das Besiegeln durch den Heiligen Geist, ist reales Geschehen.

      Manchmal ist es gut, wenn unsere Wünsche die Wirklichkeit Gottes und der Welt nachträglich nicht mehr ändern können, denn seine Paten kümmerten sich genauso wenig wie die der anderen Geschwister um ihre Schützlinge. Wir hätten uns wohl treuere Diener Gottes gewünscht.

      Die beiden großen Jungen hatten die Flucht aus Polen mit ihren drei und vier Jahren zwar noch nicht bewusst erlebt, aber dem Älteren saß eine ständige Angst im Rücken, gepaart mit Entzündungen der Bronchien. Es hieß, er hätte es von der Flucht behalten. Jetzt waren sie gerade in die Schule gekommen. In dem schmalen Graben neben der Wiese suchten sie während Mutters Schwangerschaft fast täglich herum. Die seichten Stellen mit den grünen Ufern am kleinen Plane-Fluss, wo der Storch seinen langen Schnabel in die undurchsichtigen, morastigen Vertiefungen steckte und die kleinen Babys aus dem Wasser fischte, hatten ihnen die Eltern einmal gezeigt. Mit Weidenruten stocherten sie, barfuß und verschwitzt, in den Erdlöchern herum, konnten aber nur Frösche entdecken. Die Jungen vermuteten, dass sich daraus, wie der Helmut aus dem Dorf erzählte, die Babys entwickelten. Er wusste nämlich von Störchen, die besondere Frösche im Maul trugen. Das Bild hatte er selbst in einem alten Buch vom Vater gesehen.

      Die grob geschnitzten Frösche ähnelten kleinen Kindern. Vermutlich brachten die beiden Jungen die Wölbung, die Mutter seit Wochen vor sich hertrug, nicht mit einem Kind in Verbindung, sondern suchten es im Wasser. Doch scheinbar hatte der Storch diesmal vergessen, die Mutter ins Bein zu beißen, damit sie sich ins Bett legen musste, denn sie war doch auf der Wiese, als plötzlich dieses Ereignis geschah. Niemand hatte die beiden Brüder eingeweiht in das Rätsel um die Geburt ihrer Schwester. Früher wollte man den kleinen Kindern die wahren Umstände von Zeugung und Geburt nicht erzählen. Die Vorgänge um den Unterleib herum waren nichts für Kinderohren. Trotzdem war die Frage, warum hatte gerade der Storch diese Aufgabe erhalten? Er schien am besten geeignet, denn Elefanten und Kängurus lebten nicht bei uns, Wölfe und Bären waren böse, haben Kinder verschlungen und nicht gebracht, das ging auch nicht. Die meisten anderen Tiere, auch die Vögel, waren zu klein. Hätte man den Kindern erzählt, eine Amsel habe sie gebracht, wäre das seltsam. Der Storch aber war ein heimisches Tier, alle Kinder kannten ihn. Er war auch groß genug. Storch Langbein oder Meister Adebar, ein Glücksbringer. Bei Neugeborenen findet man manchmal im Nacken oder auf der Stirn ein meistens schnell flüchtiges Feuermal, das der Storch beim Transport hinterlassen haben soll. In unserem Dorf lebte das Storchenpaar schon viele Jahre.

      So konnten die Erwachsenen mit großem Zusammenhalt nutzen, das alte Märchen vom Klapperstorch am Leben zu halten, auch wenn sie sich wegen ihrer belastenden Kriegserinnerungen sonst lieber aus dem Weg gingen. Das Paar begann in jedem Frühjahr mit dem Eierlegen und flog meist, unabhängig von ihren zwei Jungstörchen, zur Herbstzeit in den Süden. Aber den ganzen Sommer über konnte man das Schnäbeln und Balzen, das Füttern und Klappern sehen und hören. Sie hielten sich viel am Wasser auf, sie schnäbelten in Tümpeln und anderen flachen Gewässern herum. Im Wasser wohnten in den Vorstellungen des alten deutschen Volksglaubens auch die Seelen der Kinder. Das große Storchennest befand sich in Nähe des Grabens auf einem strohgepolsterten alten Holzreifen am Rande des Scheunendachs. Das dazugehörige Bauernhaus stand gegenüber dem zweistöckigen Haus der späteren Genossenschaft, die in den sechziger Jahren für unsere Familie eine große Bedeutung hatte. Unsere Kindheit war von den Kriegserlebnissen der Eltern stark belastet. Der Kummer und das Leid, das ihnen zugefügt worden war, machten sich im Alltag breit wie eine schleichende Viper.

       Kindheit

       Voll Früchten der Hollunder; ruhig wohnte die Kindheit

       In blauer Höhle.

       Über vergangenen Pfad,

       Wo nun bräunlich das wilde Gras saust,

       Sinnt das stille Geäst; das Rauschen des Laubs

       Ein Gleiches, wenn das blaue Wasser im Felsen tönt.

       Sanft ist der Amsel Klage. Ein Hirt