Gummifisch zum Frühstück. Freddie Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freddie Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658849
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Ihre alte Schule. Von Freddie besucht von 1975 bis 1979, nie sitzen geblieben, ein Tadel wegen eines Schneeballs, der sich von 400 potentiellen Zielköpfen ausgerechnet den des Vize-Rektors aussuchen musste. Jahre später Abgang mit einem Realschulabschluss von 2,3. Alles Fakten, die doch so absolut gar nichts über diesen recht speziellen Lebensabschnitt des nunmehr gestandenen Familienvaters und selbstständigen Taxiunternehmers aussagen.

      »Mein Gott, wie lange habe ich schon nicht mehr an die olle Penne gedacht! « ging es Freddie durch den Kopf, während Didi am anderen Ende der Leitung deutlich hörbar Luft holte.

      »Na, und was soll ich dir sagen, wie ich da in Erinnerung schwelgte dachte ich mir, es müsste doch möglich sein, die Kumpels von früher aufzuscheuchen. Und so kam es dann, euch zu kontaktieren.«

      Euch. Freddies Magen knüllte sich kurz zusammen. War das Hunger oder eine Reaktion auf das Euch? Denn Euch bedeutet Freddie und...ihn.

      »Schön, Mensch«, antwortet Freddie knapp. Nach einem kurzen Räuspern fuhr er fort. »Erzähl doch mal, bist du immer noch mit deinem Sezier-Set unterwegs?« Am anderen Ende erklang leichtes Lachen. »Na ja so ähnlich, Freddie, ich darf mich mittlerweile Doktor, ähm, also der Biologie nennen, aber wehe, du sprichst mich jetzt mit Doc oder so an.«

      Der Didi. Doktor in Biologie. Unmengen an Bildern schossen Freddie durch den Kopf. Didi ging früher ab und zu zum angeln mit, hielt auch schon mal eine Rute in der Hand. Ansonsten interessierte den alten Streber eher der biologische Hintergrund des ganzen Geschehen. Wenn es daran ging, Fische auszunehmen, stand er Gewehr bei Fuß mit Stift, Papier, Skalpell und Kleinbildkamera bewaffnet an Freddies Seite und wich von selbiger erst ab, nachdem die entleerten Fische verpackt und verknotet im Jutebeutel lagen und ihr ehemaliger Inhalt durch unzählige Schnappschüsse für die Ewigkeit festgehalten war. Als wolle Didi Freddie aus seinen Gedanken holen, setzte er zur nächsten Frage an.

      »Und bei dir? Taxiunternehmer ist ja das eine. War das gerade deine Tochter am Telefon?«

      »Ja, das war Leonie. Die dazu gehörende Mutter gibt es auch noch, die treibt sich am Wochenende aus beruflichen Gründen in Hamburg rum«

      »Stark, der Freddie, richtig solide geworden, so mit Familie und allem drum und dran. Glückwunsch«

      »Ja, eh, danke, ich erschrecke mich auch immer wieder, wenn die beiden Weibsen in meinem Bad stehen«.

      »Bist du denn immer noch der Angler vor dem Herrn?«

      Treffer! Freddie musste schmunzeln. Das hat sich wohl für immer ins Gedächtnis gefressen. Davon abgesehen war die Frage nicht unberechtigt.

      »Jo, immer noch. Das heißt, hat sich natürlich ein bisschen verändert. Denke manchmal, ich bräuchte eine 9-Tage-Woche um alles unter einen Hut zu bekommen, aber ich komme schon noch ans Wasser.« Das mit der 9-Tage-Woche entsprach der Wahrheit. Trotzdem überkam Freddie ein schlechtes Gewissen. War er doch derjenige, der, wenn es darum ging, sich an der frischen Luft aufzuhalten, in erster Linie darüber sinnierte, ob sich zu diesem Unterfangen eine seiner Angeln mitnehmen ließe. Freddie beurteilte den Erholungsgrad eines Urlaubs- oder Naherholungsgebietes eindeutig nach Gewässerdichte und Fischvorkommen. Allein das Babs in dieser Hinsicht ein eher unkompliziertes Naturell an den Tag legt, sie mit einem ausreichenden Vorrat an Urlaubslektüre sowie einer schönen Aussicht in die Natur befriedigt ist und Tochter Leonie noch nicht viel Mitspracherecht eingeräumt wurde, kamen ihm in den letzten Jahren sehr entgegen. So ließen sich Freddies Angelei und Babs Hang nach Frischluft in der Regel gut unter einen Hut bringen. Schließlich war Babs es auch, die vor kurzem erst den Vorschlag machte, im Sommer nach Norwegen zu fahren. Dummerweise erwähnte sie im Zuge ihrer Überlegungen die Region »Hedmark«, neben der Region Oppland eine der Provinzen Norwegens, die keinen, aber auch gar keinen Zugang zum Meer oder zu den mächtigen Fjorden dieses Nordlandes besitzt. Aber daran ließe sich ja vielleicht noch arbeiten. Freddie könnte in den Gesprächen einfach »Hed« durch »Finn« ersetzen, was zwar bezüglich der Entfernung einen Unterschied von gut und gerne 3000 Kilometern ausmacht, aber einen Versuch wäre es allemal wert.

      »...meinst du nicht auch?«

      Freddie erschrak. »Was, äh, sorry, Didi, ich war kurz, äh, woanders

      »Ich meinte nur, dass wir uns unbedingt demnächst mal treffen sollten, wie heißt es an diesen Stellen doch immer, um der guten Zeiten Willen. Ich muss beruflich öfter zu euch runter, meine Firma hat ihren Hauptsitz, wie soll es anders sein, natürlich in der Hauptstadt.«

      »Na, deine Eltern werden sich ja sicher auch freuen, wenn sie ihren erfolgreichen Sohn ab und zu zu Gesicht bekommen.«

      Statt einer Antwort vernahm Freddie nur ein leises Rascheln.

      »Tja, die Zeiten sind leider vorbei.«

      Freddie erschrak. »Nee, wa...?«

      Nach einer kurzen Pause fuhr Didi fort.

      »Doch, leider. Vor vier Jahren. Ging unheimlich schnell, beide innerhalb von ein paar Monaten. Er Lunge, sie Magen.«

      Jetzt war es Didi, der ein leises Stöhnen hören konnte. Freddie hat sich bei Didi zu Hause immer sehr wohl gefühlt und fand dessen Eltern damals ausgesprochen sympathisch. Allein die ständig mit Süßkram gefüllte Schublade im Wohnzimmerschrank brachte ihnen verdammt viele Pluspunkte ein.

      »Scheiße, Mann, das tut mir echt leid.«

      »Ich weiß, war keine schöne Zeit, aber na ja, that’s Life, äh, also in gewisser Weise. Wenigstens haben beide nicht sehr lange leiden müssen. Manchmal glaube ich sogar, das es in ihrem Sinne war, sich mehr oder weniger gemeinsam verabschieden zu müssen.«

      »Und Siggi?«

      Siggi war Didis vier Jahre ältere Schwester. Freddie hatte sie noch als jungen Feger in Erinnerung und versuchte sich vorzustellen, wie der Feger heute mit knapp 50 aussieht.

      »Der geht’s wieder ganz gut. Hat gerade eine Scheidung hinter sich, ist aber dabei, sich wieder zu sammeln. Na, ja, wie das halt so ist. Anyway, hei, und bei Dir? Sind doch, hoffe ich, alle noch auf dem Damm, oder?«, erklang es ein wenig zaghaft von Didi, wollte er doch nicht von den Grabkammern der eigenen Familie nun in die seines alten Freundes stolpern. Im gewissen Sinn sollte er mit seiner Ahnung Recht haben.

      »Ach, hör bloß auf«, setzte Freddie an, »meine Eltern hatten auch nichts besseres zu tun, als nach gut 38 Ehejahren festzustellen, dass da nicht mehr soviel war, von wegen >bis das der Tod Euch scheidet< und so. Das haben sie dann nach ein, zwei Jahren Gekreische und Gezeter lieber selbst in die Hand genommen. Meine Mutter treibt sich seitdem in sämtlichen Makramee – und Töpferkursen der Stadt rum und fällt mit ihren Kursdamen regelmäßig in Malle ein. Na ja, mein Vater lebte eine Zeitlang allein, mehr schlecht als Recht, ist aber seit ein paar Jahren wieder in festen Händen.«

      Didi musste bei der Vorstellung schmunzeln, hatte er Freddies Vater doch als einen jener Männer in Erinnerung, der sich morgens vom Weibchen die gebügelten Unterhosen hinlegen lässt. Auch in diesem Punkt sollte er bestätigt werden.

      »Die Gute ist glatte 23 Jahre jünger als er, kommt aus Brandenburg und hat ihn schon nach kurzer Zeit zu sich geholt. Dort lebt er jetzt >mittenmang der janzen Zonies<, wie er sich auszudrücken pflegt, lässt sich von der Guten in Jeans stecken und züchtet mit ihr Tulpen oder Nelken, na jedenfalls, irgendwas was bunt ist und was man nicht essen kann.«

      Freddie und Didi hielten kurz inne. Tod. Scheidung. Bunte Blumen. Das sich angesichts der aufgekommenen Themen eingestellte flaue Gefühl in ihrer Magengegend war dabei, sich langsam wieder zu verflüchtigen. Beide mussten schmunzeln und versuchten, das Gespräch wieder auf harmlosere Pfade zu bringen.

      »Runter in die Hauptstadt, was heißt denn runter. Sag bloß, du wohnst jetzt bei den Fischköppen?«

      Wieder erklang Didis Lachen. Ein tröstliches Lachen. Das zumindest klappt also noch. Schon zu Schulzeiten war es für Freddie ein leichtes, Didi zum Lachen zu bringen. Nicht weil Didi ein derart einfach gestrickter Zeitgenosse war, im Gegenteil. Freddie konnte es sich nicht erklären, wie er es immer geschafft hat, aber er konnte sich jetzt