Gummifisch zum Frühstück. Freddie Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freddie Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658849
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da müssen wir durch, reiß mich zusammen, die Gedanken noch einmal zurück auf Start. Ich schaue mich um. Irgendwo muss das Gaff liegen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich den finalen Akt dieser Auseinandersetzung angehen werde. Die Rute in der Rechten haltend, das Gaff in der Linken, um mit einem gezielt Ruck den gebogen Haken des Gaff in sein Fleisch zu treiben. Ihn endgültig an den Menschen zu binden, den er so verabscheuen würde, wenn er denn könnte. Irgendwo muss das Gaff doch sein, vorhin hatten wir es doch noch da – hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln - »Wo liegt nur das verdammte...?.« Ich verstumme. Schlagartig. Kein Selbstgespräch. Kein »Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste« mehr. In dieser Sekunde, als die Erkenntnis zum Schock mutierte, war ich jeglicher Gesichtsmuskulatur beraubt. Mein Unterkiefer klappte runter. Ich war ein angelnder Nussknackersoldat. Das Gaff! Es ist nicht mehr da. Mir schießt ein Bild durch den Kopf. Ein weiterer Squashball. Als meine Kumpels das Boot verließen, ließen sie als erstes ihre gut gefüllten Fischkisten auf das nasse Holz des Anlegers plumpsen, während ich meine leere Kiste schamerfüllt zurechtrückte und mit frischen Wasser füllte. Eine reine Übersprungshandlung. Fußballspieler ziehen sich die runtergerutschten Stutzen hoch, nachdem sie den Ball am leeren Tor vorbeigedroschen haben. Ich fülle frisches Wasser in meine Fischkiste. Schließlich plumpsten auch Thorben und Steffen auf die Planken des Bootsanliegers, froh, die Knochen wieder ausstrecken zu können. Das Gaff muss bei alledem in einer ihrer Fischkisten gelegen haben. Saudumm nur, dass es dort immer noch liegt.

       »Hast du alles?«

       »Ja, klar, wird schon, Danke«.

       »Na dann, Petri, übertreib es nicht«.

      Übertreib es nicht! Ha, und wie ich übertreiben werde. Den Motor werde ich mir um den Hals binden und mich samt Tohatsu-Zweitakter im Fjord versenken, wenn ich diesen Fisch nicht landen kann. Nicht landen kann weil wir, weil ich Dösel das Gaff übersah. Poch, poch. Massensquash. Bleib ruhig, bleib ruhig verdammt noch mal. Fünfzig Meter noch. Okay, das Gaff ist nicht da – hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln – es wird irgendwie gehen, es muss gehen.

      

      Fische ab einer bestimmten Größe können nicht mehr einfach an Land gezogen werden. Es sei denn, man steht wie beim sogenannten Brandungsangeln direkt am Strand und zieht sie relativ entspannt über den Sand zu sich vor die Füße. Befindet sich der Angler jedoch auf einem Boot oder Kutter, steht er auf einer Kaimauer oder Spundwand, so muss der Fisch zwischen seinem Lebenselement und dem des Anglers eine gewisse Distanz zurückzulegen. Das verkompliziert die Angelegenheit enorm. Als eines der eindrucksvollsten Spektakel in Landungsangelegenheiten dürfte die von Anglern angewandte Lösung in Sagres, einem kleinen Ort Portugals gelten. Sagres, westlich der Algarve gelegen, ist gleichzeitig der südlichste Punkt auf dem europäischen Festland, worauf die Portugiesen stolz hinweisen. Sagres verfügt weiterhin über eine Steilküste, die als Pate für die Namensgebung jener Küstenabschnitte gelten könnte. Über einhundert Meter erstreckt sich der schroffe Fels in die Höhe, an dessen Fuße wild der Atlantik tost. Was die portugiesischen Fischer dazu bewegt, ausgerechnet von dort oben aus zu angeln? Abenteuerlust? Todessehnsucht? Darüber ließe sich trefflich spekulieren. Auf alle Fälle ist das Spektakel billiger als Bungee-Springen und Fisch kommt dabei auch noch in den Topf. Abgesehen davon erwecken die einheimischen Fischer nicht gerade den Eindruck, als könnten sie sich überhaupt vorstellen, dass jemand Geld für einen Sprung aus 50 Meter Höhe bezahlt. Fakt ist, dass es sich in Sagres um eine nicht ungefährliche Variante der Fischpirsch handelt. Was dem stillen Beobachter im übrigen nicht nur die eigene Magengrube mitteilt. Auskunftsfreudige Portugiesen vor Ort bestätigen gerne, dass regelmäßig Fischer abstürzen und ihr Leben lassen. Anglerlatein der besonderen Sorte. Andererseits, selbst wenn nur die Hälfte dessen stimmt, muss es in diesem Küstenstreifen eine Menge Witwen geben. Worin besteht nun aber die Angel- und Landetechnik? Geangelt wird mit um die fünfzehn Fuß langen, kräftigen Ruten, ähnlich wie man sie von der Brandungsangelei kennt. Die großspuligen Rollen sind mit monofiler Schnur bespult, deren Durchmesser mindestens einen halben Millimeter Dicke beträgt. Entscheidend ist natürlich, das sich ein entsprechender Schnurvorrat auf der Spule befindet, da es allein schon hundert Meter braucht, bis die Garnele am Haken überhaupt den ersten Wasserkontakt hat. Beißt nun ein Fisch, kommt die Stunde des Bruders, Neffen, Sohnes oder Großvaters jenen Anglers. Dieser Gehilfe beobachtet bis dato kettenrauchend die Szenerie und beeindruckt beistehende Touristen mit absturzbedingten Todesstatistiken. Nun aber greift er sich einen Korb, der an einem Seil gut verknotet, flugs die Reise zum tief unten zappelnden Fisch antritt. Es ist genau dieser Landungsvorgang, der den Eindruck des eigentlich gefährlichen Parts erweckt. Muss doch der Korbführer schwindelerregend nah an den Rand der Felsen vortreten, um den Korb passgenau unter den Fisch zu bugsieren. Ist diese Prozedur erfolgreich, braucht der Korb nur noch heraufgezogen werden und alle sind glücklich. Der Angler über den Fisch, der Helfer darüber, dass er noch oben steht und die beistehenden Touristen über beide Umstände. Was in Portugal abenteuerlich anmutet kann sich indes schon unter sehr viel harmloseren Umständen zum wahren Belastungstest für Freundschaften und Kumpaneien auswirken. Fische ab einer bestimmten Größe sollten der Rutenspitze zuliebe nicht einfach aus dem Wasser gehoben werden. Die Landung solcher Fische erfordert mitunter auch am heimischen Karpfenteich ein wenig Übung. Vor allem aber auch eines griffbereiten Utensils, gemeinhin Unterfangkescher genannt. Unterfangkescher gibt es in allen möglichen Formen, Größen und Preisklassen, angefangen vom kleinen Stichlingsnetz, dass man vorzugsweise zwischen Tauchermasken und Badelatschen am Strandkiosk erwerben kann bis hin zum Großfischkescher, Bügellänge 1,20 Meter. Da passt dann auch ein richtiges Wasserschwein rein. Speziell auf Booten und Kuttern geht es ein wenig martialischer zu. Hier wird gerne zum Gaff gegriffen. Ein Gaff ist nichts anderes als ein rundgebogener, an seinem Ende spitzer und scharfer Rundstahl, dessen Handteil entweder in schnödem Kunststoff oder für die, die es gerne ein wenig exklusiv mögen, auch schon mal in einem Stück Teakholz steckt. Der Einsatz eines Gaff verbietet sich natürlich in dem Moment, in dem nicht für den Kochtopf genagelt wird, sondern das >Catch&Release< Gebot zur Anwendung kommt. Dicken Fisch rausholen, Foto machen, dicken Fisch wieder freilassen. Unabhängig davon, für welches Landungsgerät man sich im Vorfeld entscheidet, es zu benutzen, während der Fisch Flanke zeigt gehört für viele Freunde der wohlfeilen Fischwaid zur eigentlichen Prüfung. Glücklich kann sich schätzen, wer einen Helfer zur Seite hat, der einem bei diesen letzten Akt des Fischfangs beisteht. Was aber, wenn ein kurzsichtiger Sonntagsradler stolpernd zur Hilfe eilt, während der dicke Karpfen gerade zum zweiten Mal das Seerosenfeld anvisiert? Oder es hängt nach zwei Stunden ermüdenden Kutterangelns endlich der erste vernünftige Dorsch an der Leine? Der Smutje des Kutters, sonst für die Landung zuständig, ist aber in der Kombüse mit der Erbsensuppe zugange. Dann kann es einem passieren, dass der quasselnde Nachbar, bis dato eher mit seinem Flachmann statt mit der Angel beschäftigt, zur Stange greift. Bitterböse kann das enden. Da wird mit dem Gaff losgedroschen, als gelte es, einen Pottwal tot zu schlagen. Statt aber den Fisch aufzuspießen, wird sich mitunter derart in der Schnur verwickelt, dass es im Handumdrehen zum Schnurbruch kommen kann. Wunderbar anzusehen auch das adrenalingeschwängerte herumstochern mit Keschern aller Art. Dann ist der Fisch der Glückliche, der Angler der Dumme und der >Helfer< der Gewürgte. Würde man jeden einzelnen Fisch ins Schwarze Meer packen, der statt mit dem Kescher herausgehoben genau durch diesen vom Haken abgeschlagen wurde, wäre es das fischreichste Gewässer im Universum.

       Ich schaffe es, einigermaßen meine Sinne zusammenzuhalten. Man könnte direkt meinen, wir sind mittlerweile ein gutes Team. Er kommt zu mir, treibt hoch, lässt sich ziehen. Ich kurble fleißig, immer darauf bedacht, nicht zuviel Druck auszuüben aber auch schön die Leine klingen zu lassen. Nach weiteren zwanzig Metern lege ich einen Stopp ein.

       »Viertes OG, Meersfischabteilung, Tintenfischhappen, Flossenkämme, Bartelgel«.

      

       Ich selbst muss Kraft tanken, doch ich weiß um das immense Risiko, dass ich in diesem Moment eingehe. Ich halte daher nur kurz inne, pausiere für einen Wimpernschlag in der Geschichte der Fischerei mit dem Einholen der Schnur. Ich versuche weiterhin, konzentriert zu bleiben und weiß nicht, was letztlich anstrengender ist. Im Grunde fühle auch ich mich, als würde