Gummifisch zum Frühstück. Freddie Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freddie Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658849
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diesem Tag einstellen sollte, wäre er zu diesem Zeitpunkt nicht in einen Artikel zum Thema neuester Anköderungstechniken lebender Köderfische vertieft gewesen. Das Fischen auf Raubfische wie Hecht und Zander hatte an deutschen Gewässern schon immer eine große Tradition. Die Art und Weise, diesen bezahnten Räubern nachzustellen, war letztlich Geschmack- oder Gesinnungsfrage. Oder auch nur eine Frage der inneren Muße. Den ganzen Tag die Spinngerte schwingen oder beschaulich auf die Pose zu achten. Mehr galt es vorab nicht zu klären. In Zeiten, in denen es noch möglich war, einen Köderfisch lebend anzubieten, fiel die Wahl mit Sicherheit des öfteren auf diese Option. Die Verkaufszahlen von allerlei Metall- und Holzködern durften hingegen ab 1985 spürbar gestiegen sein, als sich die für Tierschutz und Fischereiwesen zuständigen Landesministerien der jeweiligen Kommunen auf ein generelles Verbot der Verwendung von atmenden, zappelnden Rotaugen, Brassen, Barschen und Güstern am Haken aussprachen. Bis dahin war aber noch ein wenig Zeit und so stach Freddie vor seinem geistigen Auge den Haken eines Drilling unterhalb der Rückenflosse eines Rotauge ein als inmitten des Trubels aus Wiedersehensfreude, Fotos zeigen und anderem üblichen Gerangel plötzlich ein neuer Schüler in der Klasse stand. Er stand einfach nur da. Die Hände tief in den Hosentaschen seiner schwarzen Cordhose vergraben, die schon recht betagte braune Ledermappe zwischen die Füße gestellt stand er da und ließ seinen Blick über das sich ihm bietende Spektakel streifen. Die ersten Schüler, die ihn registrierten, sahen ihn an, einige nickten ihm zu, manche machten keinen Hehl daraus, dass sie ihre Köpfe nur aus einem Grund zusammensteckten. Ein paar der Mädchen kicherten nervös, eine Papiertaube sauste von einer der hinteren Bänke geworfen nur knapp an seinem Kopf vorbei. Das alles schien ihn nicht weiter zu stören. Wurde er gegrüßt, grüßte er zurück, senkte dabei ebenfalls leicht den Kopf und schloss kurz seine Augen, was ihm in dieser Horde Vierzehnjähriger schon fast etwas Würdevolles verlieh. Ansonsten konnte man seine Erscheinung nur imposant nennen. Imposant, weil er mit seinen 197 cm Körpergröße, auf die sich gerade einmal 71 Kilogramm Gewicht verteilten, seinen rostroten Haaren und den schätzungsweise zwanzig Millionen Sommersprossen, die es seinen Kilos gleichtaten und zumindest die sichtbaren Körperteile gleichmäßig bedeckten, als seien sie darauf bedacht, nur ja keinen Quadratzentimeter Haut zu verpassen, so ziemlich alles in den Schatten stellte, was sich je im Klassenraum der 8d tummelte. Exakt mit der Klingel sprang die Tür auf und Herr Schmidt kam herein. Klassenlehrer Schmidt. Mathematik und Sport. Die meisten der Schüler wussten nicht, wofür sie ihn mehr hassen sollten. Schmidts Gang hatte etwas federndes, er schien seine Fortbewegung permanent mit einem Auslauftraining zu verwechseln. Ganz Vollblutlehrer inspizierte er die Runde, auch von ihm hier und da ein kurzes Nicken, schob das auf dem Lehrerpult liegende Klassenbuch, in den Siebzigern noch Heiligtum eines jeden Klassenzimmers, zur Seite und setzte sich auf die Ecke des Tisches. Dabei winkelte er sein rechtes Bein an, umfasste es mit beiden Armen unterhalb des Knies, während sich das linke kraftvoll durch den Linoleumboden zu bohren schien. Kurz darauf fing er an, leicht mit seinem Oberkörper zu wippen. Schließlich befand sich Klassenlehrer Schmidt in genau jener Position, mit der er die Schüler der Klasse 7d sechs Wochen zuvor verabschiedete. »Guten Fhümorgen, meine Damen fühh und Fhhherren, ich ffhhüüühoffe, ihr ffattet schöne Fhhhherien. Ehe ich mich den ffffüühhvon euch sicher heiß fühhh erwarteten Themen ffüühhh widme, möchte ich fühhh euch euren neuen Mitfhhhüüler Arthur Pockelewitz vorstellen.«

      Vater, Plötze, Kind

      »Ich gehe mal auf´ s Klo.« Freddie sah kurz zu der in Richtung Bad hüpfenden Leonie und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. In der Rechten hielt er seine Selbstgedrehte und schnipste kurz die Asche in den Terrakottatopf. Würde Babs schon nicht entdecken. »Ist in Ordnung«, rief Freddie durch die Terrassentür, als auch schon die Toilettentür ins Schloss fiel. Ob sie mit siebzehn auch noch Meldung macht, wenn es Richtung Disco geht? Wobei, heute sind das ja >Clubs<. Freddie schaute hinauf zum Himmel. Einige wenige Cirruswolken säumten dass blasse Blau eines vielversprechenden Vorfrühlingstages. Doch stärker als die Kraft der noch jungen Jahreszeit zogen ihn die durch das nur Minuten zurückliegende Telefonat erweckten Erinnerungen in ihren Bann.

      Arthur Pockelewitz. So hieß dieser sommerbesprosste Schlacks. Freddie konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals mit seinem richtigen Namen angesprochen zu haben. Er konnte sich aber sehr gut daran erinnern, dass er bei Schmidtchens Vorstellung von Arthurs Namen in grelles Lachen ausbrach. Womit er sich je einen bösen Blick von Klassenlehrer Schmidt sowie von Neumitschüler Pockelewitz einfing. Das war es ihm aber wert. Pockelewitz. Was für ein Name. Genauer >Pockefühhlewitz<. Klassenlehrer Schmidt war nämlich nicht irgendein Klassenlehrer Schmidt. Er war genau genommen Klassenlehrer Pfeifenschmidt. Pfeifenschmidt verfügte über ein unwiederbringlich signifikantes Merkmal, das ihm diesen Namen einbrachte, bestehend aus einer extrem ausgebildeten Lippenspalte, im Volksmund auch Hasenscharte benannt. Pfeifenschmidtis Eltern müssen entweder sehr arm oder Angehörige der Zeugen Jehovas gewesen sein. Anders läßt sich nicht erklären, warum sie ihren armen Sohn Zeit seines Lebens mit diesem Reißverschluss im Gesicht haben herumlaufen lassen. Wenn einer eine Schönheitsoperation verdient gehabt hätte, dann war es Klassenlehrer Pfeifenschmidt. Die Hasenscharte jedenfalls bedingte einen permanent tönenden Pfeifton während seines Sprechens, unabhängig davon ob er den »Satz des Fühhtagoras« erklärte oder eben Afuuuhhr Pockefühhlewitz vorstellte. Der Lehrer reckte sich kurz und wand sich an Freddie. »So, - füühhh-, so, der Herr Füüühhorhaus zeigt sich ja - füühh - gleich ffüüüüder von seiner besten Füüühhseite. Dann kann – füüühhhhhhhhhh - er ja nach der Füüühhhunde seinem neufüühhhen Mitschüler gleich mal die Füüühhschule zeigen.«

      »Papa, hab´ Durst!« Freddie ließ fast die Tasse fallen. Leonies eindrucksvolle implizite Anwendung des Imperativ holte ihn aus den Tiefen seiner Gedanken zurück. »Süße, schon mal was von dem Zauberwort gehört?«

      »Papa, habe großen Durst!«

      Nachdem sich Freddie dazu durchrang, dem quakenden Nachwuchs und sich selbst ein halbwegs gehaltvolles Frühstück zu bereiten lagen beide auf der Couch. Babs würde erst am Abend des nächsten Tages zurück sein und so hatten sie fast das gesamte Wochenende vor sich. Vater und Tochter. Leonie spielte an seinen Brusthaaren, die aus seinem T-Shirt hervorguckten.

      »Papa, was machen wir heute?«

      Dabei spielte sie dort, wo es besonders ziept. Haare ziepen war ein Lieblingsspiel von Leonie. Vor allem wenn es sich um Freddies Brustbehaarung handelte. Freddie überlegte. Dabei ging es nicht darum, zu überlegen, was er gerne machen würde. Hätte Freddie den Tag unabhängig von väterlichen Verpflichtungen verplanen können, wären ein Blick aufs Wetter, Klamotten packen und ans Wasser düsen eins gewesen. So aber stellte sich die Situation komplizierter dar. Denkbar komplizierter. Babs hatte schon seit Wochen angekündigt, das sie an diesem Wochenende zur Body-Life-Fortbildung nach Hamburg fahren würde, ein sogenanntes >Must< für eine Physiotherapeutin mit eigener Praxis. Freddie hätte eine doppelseitige Lungenentzündung anschleppen müssen, um seine Privatphysiotante, wie er seine Frau manchmal nannte, von diesem Vorhaben abzubringen. So hatte er an diesem Wochenende die hoheitsvolle Aufgabe zu bewältigen, den Wünschen und Bedürfnissen seiner Tochter alleine genüge zu tun. Man könnte auch sagen, er hatte den schwersten Job der Welt.

      »Papa, wir können doch baden gehen?!«

      »Ist noch zu kalt.«

      »Dann in den Zoo.«

      »Da waren wir doch erst letztes Jahr im Herbst.«

      »Dann lass uns doch zum Flughafen fahren, Flugzeuge gucken.«

      Seitdem Leonie am vorangegangenen Osterfest von ihrer Großmutter zum ersten Mal nach Mallorca mitgenommen wurde war Flugzeuge gucken ihre großen Leidenschaft.

      »Nee, Flughafen ist doof. Der eine ist zu voll, der andere hat geschlossen, der dritte ist so häßlich und der vierte wird wohl erst in fünf Jahren fertig sein.«

      »Ach, dann sag du mal was.«

      Freddie überlegte weiterhin. Handelte es sich doch um eine Situation die seine vollkommene Aufmerksamkeit erforderte. Schließlich spielt seine Tochter nicht mit fairen Mittel. Wie sie da so liegt mit ihren blauen Kulleraugen, der Stupsnase und einen