Gummifisch zum Frühstück. Freddie Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freddie Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658849
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hat sich ja schon des öfteren diesen Ausgang suchen müssen. Aber gleich der ganze Magen? Ich muss kurz lachen. Das Lachen tut gut. Für einen kurzen Moment ist meine Anspannung gewichen.

      

       »Bleib locker, verkrampfe nicht, du kriegst ihn, du hast ihn doch schon, du musst ihn nur noch hier reinbekommen, irgendwie, irgendwie....«.

       Wenn niemand da ist, musst du dir halt selber Mut machen. Ich gehe sogar noch weiter. Versuchte mir zu vergegenwärtigen, dass es gilt, diese Minuten zu genießen. Jeden einzelnen Moment. Schließlich habe ich genau davon immer geträumt. Bin den anderen auf die Nerven gegangen. Rausfahren wollte ich, immer wieder. Selbst Dauerregen konnte mich nicht davon abbringen, gen Wasser zu ziehen.

       »Hier muss irgendwo ein Großer schwimmen, ich weiß es, ich spüre es, glaubt mir, der ist irgendwann mal fällig!«

      »Komm, lass´ uns weiterfahren, hier gibt es ja doch keine...«.

      »Hey, warte, nur noch einmal runterlassen, die sind da, die sind da....«.

      Ein weiterer Beitrag zum Thema Beziehungstestung zwischen Angelkameraden vor Ort. Die Frage nach der Ausdauer. Nach dem Durchhaltevermögen, der inneren Konsistenz, die zwischen aufgeben und weitermachen entscheidet. Manchmal aber auch zwischen Babyfisch und dessen Urgroßmutter.

      In den Augen der meisten Angler handelt es sich jedoch um ein vollkommen nachvollziehbares Gebaren. Fiebert doch ein jeder Angler monatelang dem nächsten Trip in gelobte Angelgefilde entgegen. Dabei ist es ohne jeden Belang, ob es sich hierbei um Norwegen, Irland, Alaska, die Karibik oder die Unstrut handelt. Allen Fieberbefallenden ist gleich, dass sie, selbst noch etliche Wochen, ja Monate von ihrem Ziel entfernt, in ihrer Phantasie schon längst dort sind. Es werden Kataloge gewälzt, alte Fotos rausgekramt und immer wieder entsprechende Anglerpostillen durchgeblättert. Schließlich hat man sich zum hundersten Mal den Artikel »Erfolgreich auf Heilbutt« durchgelesen. Und es geht noch weiter. Sieben, acht Kalenderblätter vor dem ersehnten Reisebeginn werden Montagen geknüpft, Haken geschliffen, Fliegen gebunden, Rollen geschmiert, GPS-Positionen in das Handgerät getippt. Die Ehefrau beginnt eine Affäre, die Kinder fangen an zu kiffen, der Kater ist längst verhungert aber Hauptsache, das Echolot ist zeitig genug vom Reparaturservice zurück. Ist es dann endlich soweit und man hat ihn dran, dann sollte dieses Kapitel genossen werden, als könnte es das letzte sein.

       Zehn Meter. Ich schaue angestrengt aufs Wasser, er muss doch langsam zu sehen sein? Treibt er vielleicht nur unweit vom Boot entfernt, irgendwo da draußen, an der Oberfläche? Nein, das kann eigentlich nicht sein. Die Schnur schneidet sich immer noch in einem sehr spitzen Winkel ins Wasser, was bedeutet, dass der Fisch unmittelbar unter oder direkt neben dem Boot an die Oberfläche kommen müsste.

      Hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln – Da! Wie aus dem Nichts kommend, und da kommt er im Grunde genommen ja auch her, zeichnet sich etwas helles im graublauen Wasser ab. Oh, mein Gott, was für ein Riese. Mit jedem »hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln« zeichnen sich seine Konturen klarer ab, kommt er näher. Ich taxiere ihn, meine Blicke kleben auf ihm, ähnlich wie kleine Putzerfische am Maul eines Walhais. Ein Leng, oh mein Gott, es ist ein Leng! Nur noch drei, vier Meter – hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln – da kommt er, kommt sein riesiger Leib. Ein Fisch wie ein U-Boot. Ruhig, bleib ruhig. Die letzten Sekunden, die letzten Handgriffe können so entscheidend sein. Ich verlagere mein Gewicht leicht nach vorn. Nicht zuviel, sonst bekämen die Möwen heute richtig was zu fressen. Aber ich muss näher ran, muss mich leicht über die Bootswand beugen können. Er ist jetzt ganz nah, sein Magen hat sich wie von mir vermutet aus seinem riesigen Maul gedrückt. Er scheint erschöpft zu sein, ohne Kraft, ohne Willen. Nur, er ist noch im Wasser und das ist der kleine, der bedeutende Unterschied. Die Mundschnur hat sich um seinen Kopf geschlungen. Der zweite Haken hat sich in seinen Unterkiefer gebohrt. Schlecht für ihn, gut für mich. Er hat sich bei seinen Versuchen, sich zu befreien, zusätzlich gefesselt. Vor allem hat er mir aber ein Geschenk gemacht. Beide Haken sitzen fest. So kann ich zupacken und muss nicht befürchten, mir selber den Stahl ins Fleisch zu jagen. Wobei es darauf auch nicht mehr ankäme. Einen ganzen Drilling würde ich schlucken um ihn endlich in den Armen zu halten. Die Rute halte ich weit weg von mir, die Schnur ist wieder zu Hause. Zweihundertachtzig Meter sind zurück auf der Spule. Ich warte kurz ab, will nicht ins Leere greifen, nicht das Gleichgewicht verlieren. Für einen kurzen Moment liegen Boot mit Mensch und Fisch friedlich nebeneinander auf dem Wasser. Dann ist es soweit. Kurz nachdem die Millionste Welle des Tages Boot und Fisch hochhob und sich beide im Wellental befanden greife ich zu. Ich greife nach dem Fisch, fasse in seine Kiemen, nach der Schnur, nach diesem lebenden Paket und hebe ihn mit einen Ruck auf die Bootswand. Genauso schnell lasse ich die Rute ins Boot fallen. Nun hatte ich die zweite Hand frei, greife mit ihr nach dem zuckenden Leib, rutsche ab, greife erneut zu, kriege ihn zu packen und hieve die restlichen anderthalb Meter Fisch ins Boot. Da liegt er nun vor mir, in all seiner Pracht, seinen mächtigen Leib auf den nassen Bootsplanken windend, verzweifelt den Weg zurück in sein Reich suchend.

      

      Der Leng, lat. Molva Molva, gehört zur zoologischen Familie der Dorsche. Sein charakteristisches Aussehen verdankt er seinem zylindrisch gestreckten, fast aalförmigen Körper. Der Farbton seiner Haut variiert von grün über braun marmoriert bis zu einem bläulich metallischen Schimmern beim Blauleng, einer Unterart des Leng. Typisch für einen Fisch der Dorschartigen ist die Bartel am Unterkiefer seines leicht unterständigen Maules. Das Verbreitungsgebiet des Leng erstreckt sich über den gesamten Nordatlantik, Hauptfanggebiete sind jedoch Norwegen und die Gewässer rund um die Britischen Inseln. Der Leng ist kein Fisch für die Angelei im sogenannten Mittelwasser. Um ihn zu überlisten muss die Nähe des Grundes aufgesucht werden. Je nach Angeltiefe, Drift und Strömungsverhältnissen können hier Gewichte von bis zu eintausendzweihundert Gramm und mehr von Nöten sein, unabhängig davon, ob man dem Leng mit Pilkern nachjagt oder es mit der Naturködermethode versucht, bei der ein mit allerlei Gummioktopussen, Leuchtstäbchen - sogenannten Knicklichtern - und vor allem einem mit Frischfleisch – Hering, Makrele, Seelachs – garnierten Haken am treibenden Boot über den Grund gezogen wird. Viele Angler haben ihre Muskeln also nicht unbedingt vom Fische stemmen. Werden zwar auch immer wieder kleinere Exemplare beim Grundangeln in Tiefen um die 80 Meter gefangen, so muss man für den Fang eines kapitalen Leng seinen Köder auf die mitunter unendlich scheinende Reise in die Tiefe des Meeres und der Fjorde schicken. Dort, zwei- bis vierhundert Meter von der Wasseroberfläche entfernt, haben die großen Alten ihr bevorzugtes Jagdrevier und stellen so ziemlich allem nach, das dem schier unvorstellbaren Druck des Wassers standhalten kann. So wurden in den Mägen von Lengfischen schon Krebse, Seesterne, Heringe, Dorsche, Plattfische und ziemlich mitgenommene Cola-Dosen gefunden.

      Molva Molva, diesen Namen haben wir dir gegeben, Molva Molva, Leng, Länga, Mnik morsky. Entrissen den eisigen Tiefen des Nordmeeres, entrissen der ewigen Dunkelheit der See, entrissen durch mich, ja, durch mich. Ich war es, ich, der immer im Tor stehen musste, der sich beim Schneiden der Fußnägel die Schere in die Zehen rammt, ich. Ich habe es geschafft. Ich habe dich geschafft, nein, ich gehe sogar weiter. Ich habe dich geschaffen!

      

      Einhundertfünfundfünfzig Zentimeter geballte Kraft, achtundsechzig Pfund festes, helles Fleisch. Zwei Hand voll Eingeweide, Gräten, Haut. Ein zugegebener Maßen eher klein geratenes Gehirn dafür aber Trilliarden bis ins kleinste Quarks trainierte Zellen. Ein in seiner natürlichen Umgebung seit Jahrtausenden angepasster, spezialisierter, durchtrainierter Organismus.

       Jappsend, keuchend, zuckend, hochgerissen, rausgerissen aus seinem Element. Mit großen, aus dem Kopf heraustretenden Augen starrt er in das erste Tageslicht seines Lebens. Es wird gleichzeitig sein letztes sein. Ich wische mir mit dem Unterärmel meiner Jacke über das verschwitzte Gesicht. Schleim und Blut bleiben mir im Haar hängen, das unter der hochgerollten Wollmütze hervorquillt. Ich bin fasziniert von diesem Fisch. Spüre, wie Müdigkeit, Erleichterung, Freude, ja Ekstase angesichts des hinter uns gelassenen Kampfes in einem wilden Strudel in mir emporsteigen. Während ich langsam die Rute auf die mittlere Sitzbank des Bootes lege suche ich nach