Gummifisch zum Frühstück. Freddie Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Freddie Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658849
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Aber wo ist da noch der Unterschied, nach sechs Stunden auf der See, nach sechs Stunden kurbeln und pumpen, sitzend auf einem Kunststoffbrett. Das ehemals der Bequemlichkeit dienende Kissen längst von diversen organischen Materialien durchtränkt in der Fischkiste wähnend. Ich lehne mich langsam an die Bordwand, um meinem neuen Freund etwas Widerstand zu bieten. Vorsichtig, nicht zu weit, jetzt das Gleichgewicht zu verlieren wäre fatal. Ich bin allein auf dem Boot, habe mich entgegen aller Vernunft noch einmal auf den Fjord begeben, wollte es wissen, es musste unbedingt sein. Ich hatte noch nicht genug und das Schicksal hatte noch eine Karte für mich im Ärmel. Eine gewaltige Karte. Dieser Karte, dieser Fisch zieht und zerrt und ich stemme mich dem gewaltigen Zug entgegen, allein, von Wind und Wellen und Regen umgeben. Allein, allein mit ihm.

      

      Ein Rrrrumms in der Angelrute darf man sich natürlich nicht im phonetischen Sinn vorstellen. Wer aber jemals eine Angelrute in der Hand hielt, als ein Monster von Fisch den Köder nahm, sich die Hakenspitze in sein Fleisch bohrte und er im selben Moment alle Sinne seines Wesens nur darauf ausrichtet, sich dieses lästigen, schmerzhaften Etwas zu entledigen, wer das einmal erlebt hat – die Rute in der Hand, nicht den Haken! – der weiß, dass man diesen Augenblick nur mit einem lautmalerischen Rrrrummms beschreiben kann.

       Jetzt heißt es, einen einigermaßen klaren Kopf zu bewahren. Der Fisch versucht, wie verrückt Schnur von der Rolle zu ziehen. Das zu gestatten wäre fatal. Ich habe eine Ahnung, mit wem ich es hier zu tun habe, und sollte ich richtig liegen, wird dieser Kamerad alles daran setzen, sich in einer der unzähligen Felsspalten festzusetzen. Ist die Bremse meiner Multirolle richtig eingestellt? Hätte ich vergessen, sie zu lösen, wäre mir längst die Schnur, wenn nicht gar die ganze Rute um die Ohren geflogen. Kurzer Prozess, kurzes Knack. Die Bremse darf aber auch nicht zu weich eingestellt sein. Soll es ihm doch Arbeit bereiten, mit dem Schlepptau seine Bahn zu ziehen. Ich fingere kurz an dem Rädchen, eine kurze Umdrehung nach vorne stellt sie fester, nein, war es eine kurze Umdrehung zu mir? Ich starre ungläubig, erregt – von wegen klarer Kopf – schwitzend und bangend auf die Spule. Er kämpft und windet sich mit schier unbändiger Kraft in dem Wunsch, auf das die Rolle Meter für Meter Schnur von sich wirft, auf die Reise schickt, hinab in die Tiefe, hinab zu ihm.

      

      Als Angler fängt man in seinem Leben Fische. Dies sollte man zumindest annehmen dürfen. Vielfach besteht die Realität am Wasser daraus, die Kopfrute anzuheben um ein handlanges Rotauge in die handlange Hand gleiten zu lassen. Doch irgendwann wird der Fisch dabei sein, von dem man schon immer träumte, auf den man mehr oder weniger geduldig wartete. Nur wenige dürfen ihn erleben. Wer in seinen Genuss kommt, in seinen Bann genommen wird, muss erfahren, dass dieser Fisch seine eigenen Gesetze entwickelt. Diese Gesetze wollen gekannt, wollen erkannt, wollen erfühlt werden. Fatalerweise hat man kaum die Möglichkeit, sich auf dieses, meist vollkommen unerwartete Ereignis vorzubereiten. Seelisch kaum, moralisch, vergiss es, technisch vielleicht – kurz, wenn der beschuppte D-Zug erst mal in Fahrt ist, ist alles zu spät. Dann heißt es nur noch genießen. Und sich kräftig in die Hose scheißen. Ist es doch ein Fisch, dessen Konterfei auf Hochglanzpapier im Vierfarbdruck verewigt im Spind gleich neben dem der drallen Susie aus Oberstdorf hängen wird. Und man erlebt diese Auseinandersetzung, diesen Kampf, diesen ultimativen Drill. Eine anglerische Klimax, vielleicht einmalig im Leben eines Anglers und schon gar nicht beliebig reproduzierbar. Kein Replay, keine Fernbedienung.

       Langsam wird der Schmerz in den Fingern unerträglich, die Muskeln im Oberarm pochen, lehnen sich auf gegen diesen letzten Akt aus Kraft und Lust und Wut.

      

      Eines dieser besonderen Gesetze ist das Erleben der Zeit. Echtzeit fünfzehn Minuten, gefühlte Zeit drei Stunden. Ein anderes Gesetz ist das der Panikattacke. Sie springt einen Angler mitunter wie ein hospitalisierter Zirkuspuma von hinten an. Kommt genauso plötzlich, wie zwanzig, dreißig, zweihundertachtzig Meter entfernt am Ende der Angelschnur der Tanz der Tänze beginnt. Hat man den Panikpuma erst einmal im Genick, ist es meist zu spät. Er hat sich längst im Nacken festgekrallt, reingebissen in den Hinterkopf, sitzt mit seinem fetten Hinterteil auf den schmerzenden Schultern und sabbert einen mit seinem Panikspeichel voll. Es ist verflucht schwer, ihn wieder los zu werden, während sein Gesabber langsam aber sicher das eigene Denken infiltriert: »Habe ich auch die Knoten überprüft?!«, »Habe ich die richtige Schnurstärke gewählt?«, »Habe ich heute morgen die Kaffeemaschine ausgeschaltet?!«

       Der Wind hat ein wenig zugenommen, ich schätze sechs, sieben Meter pro Sekunde. Hätte mir noch gefehlt, ich bin hier mit meinem Freund beschäftigt, während mal eben das Wetter umschlägt. Wind, Sturm, Monsterwellen. Noch gelingt es mir, mich zu beruhigen. Ich befinde mich mitten auf dem Fjord, besser, im Fjord. Inshore, wie es unter den Experten heißt. Von mir aus sind es noch gute drei, vier Seemeilen bis zur Fjordmündung, der offenen See mit dem davor gelagerten Schärengürtel.

      

      Die Schärengürtel Norwegens. Dutzende kleine Inseln, hinter denen man sich als Angler samt Boot bei aufkommenden Wind verstecken kann. Kleine Buchten aufsuchend, um vielleicht doch noch den ein oder anderen Seelachs zu überlisten. Von hier aus erstreckt sich die weite, freie See. Die See, das Meer, »la mer.« Spätestens seit der Titanic ist es eine weit verbreitete Erkenntnis, das mit der See im allgemeinen nicht zu spaßen ist. Dazu muss man sich aber nicht auf halben Weg nach Amerika befinden. Schon die See, wie sie sich in küstennahen Gebieten darstellt, hat durchaus ihre Tücken. Das ist umso bedauerlicher, wird man doch angesichts des nahen Ufers nur allzu schnell in mitunter tödliche Sicherheit gewogen. Dies trifft auch für die Küstengewässer Norwegens zu. Hier sind es die aus den Fjorden heraustretenden Wassermassen, welche abhängig von Wind und Tide angesichts der an eine Mondlandschaft erinnernde Bodenbeschaffenheit sowie den ihnen im Weg stehenden Inseln immer wieder umgelenkt werden und somit für manch nasse Turbulenz sorgen. Verstärkt wird dieser Effekt durch die für den gemeinen Bootsangler unangenehme Eigenschaft der Fjorde, dass ihr Grund sehr schnell aus mehreren hundert Metern Tiefe bis auf wenige Meter ansteigt. Diese Strömungen treffen nun mit der See von der Felsenküste zusammen. Die auf der Wasseroberfläche erzeugten Wellenbilder stoßen wie der Bangkoker Feierabendverkehr mit voller Wucht aufeinander. Es entstehen sogenannte Kreuzseen, die jedem Seebär den Angstschweiß in den Rollkragen laufen lassen. Diese Kreuzseen sind tückisch, sie sind gefährlich. Innerhalb kürzester Zeit können ihre Wellen Höhen von bis zu drei, vier Metern aufweisen. So erzeugen beispielsweise die Strömungsverhältnisse im Skagerak schon bei mittleren Windstärken im Handumdrehen Wellen, die einem vom rauhwassergeeigneten Kutter aus betrachtet ein müdes Grinsen ins Gesicht zaubern. Befindet man sich zu diesem Zeitpunkt allerdings in der kleinen Schwester vom Kutter, vergeht einem das Grinsen ganz schnell. Kreuzseen verlaufen extrem unregelmäßig, was ein sicheres in die Welle stellen der kleinen Schwester fast unmöglich macht. In ihrer Gier nahm die See schon allzu oft kleine, meist von unerfahrenen oder allzu risikofreudigen Angeltouristen besetzte, untermotorisierte Boote als Appetithappen in sich auf. Das eigene Boot wäre nicht das erste, das nach Tagen hoffnungsvollem Wartens einer Nussschale gleich auf die Felsen aufschlägt, bisweilen sogar bis an die dänische Küste gespült würde. Selbst im scheinbar sicheren Fjord ist Vorsicht geboten. Immer wieder werden Angler beobachtet, die ohne Schwimmweste bekleidet auf einem vierzehn Fuß langen Böotchen stehend mit 700g schweren Pilkern um sich schleudern. Schlägt jetzt innerhalb von Minuten das Wetter um, kann sich auch hier eine biestige Welle aufbauen, in deren Folge es allzu häufig zu bösen, nassen und im Extremfall tödlichen Überraschungen kommen kann. Wie der Angelausflug in einer solchen Situation ausgeht, hängt nicht selten vom jeweiligen Angstpegel der Protagonisten ab. Ist man, während sich über einen dunkle unheilverkündende Wolkenberge auftürmen, gerade mit dem Drill eines kapitalen Fisches beschäftigt, reicht es bei niedrigem Pegel meist aus, die Ruhe zu bewahren. Ist der Pegel indes hoch, bietet es sich an, seinem Angelkumpel die Rute in die Hand zu drücken, sich auf dem Boden des Bootes zusammenzukauern und drei »Ave Maria« zu beten. Gerne wird hierbei auch Daumenlutschen zur Hilfe genommen. Eine ganz feine Erfahrung ist es auch, macht die Reißleine des Außenborders ihrem Namen auf unvorteilhafte Art alle Ehre, noch dazu in der Stunde eines Wetterumschwungs. Dann hat auch der Unerschrockenste