Ein Jahr mit Dir. Lisa Karen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lisa Karen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847680499
Скачать книгу
Marmor…« Jetzt sehen wir uns beide ganz verdutzt an.

      »Ich weiß, mein Schatz. Dein Onkel hat letztes Jahr einige gute Geschäfte abgewickelt und daraufhin haben wir hier alles erneuern lassen. Komm jetzt, das Essen wird kalt.« Langsam und auf Zehenspitzen folge ich ihr in das Esszimmer. Eine lange Tafel erstreckt sich vom einen zum anderen Ende des Zimmers. Der Tisch ist in demselben Farbton wie die Eingangstür gehalten und scheint vor meiner Ankunft nochmal auf Hochglanz poliert geworden zu sein. Zwei Dienstmädchen stehen an der hinteren linken Seite neben der Tafel. Die Eine mit einem silberfarbenen Tablett und die Andere mit einer Karaffe voll Wein in der Hand.

      »Setz dich doch! Dein Onkel und Marguerite müssten jeden Moment da sein«, sagt meine Tante und verschwindet hinter der Tür am anderen Ende des Raumes. Ich setze mich auf den ersten Stuhl auf der linken Seite. Gott, ich verhungere wirklich gleich. Während meiner siebenstündigen Zugfahrt mit Bastian habe ich nur einen Apfel gegessen. Und den habe ich mir auch noch mit ihm geteilt. Wir waren größtenteils so in unsere Gespräche vertieft, dass ich nicht ans Essen denken konnte. Er fehlt mir!

      »Emilia?« Mein Onkel steht hinter mir. Ich drehe mich um und sehe ihn mit einer jungen, rothaarigen Frau. Ihr Haar ist leicht gewellt und reicht bis über ihren Busen. Sie schaut mich mit einem sehr ernsten und zugleich skeptischen Blick an. Ich merke wie ihre Augen von meinem Gesicht, über meinen Rumpf bis hin zu meinen Füßen wandern und wieder zurück. Was soll das denn?

      »Du musst dann wohl Emilia sein!« Ihr Blick wird etwas freundlicher und sie kommt einen Schritt auf mich zu.

      »Ja! Und du musst dann wohl Marguerite sein?« Ich komme ihr entgegen. Sie zieht mich an sich heran und gibt mir zwei flüchtige Küsse auf die linke und die rechte Wange. »Salut!« Mit einmal scheint sie viel netter zu sein. Sie lächelt zwar, aber ihre Augen sind düster und etwas Angst einflößend. »Salut! Freut mich dich kennenzulernen.« Na ja, ob ich mich wirklich so freue, weiß ich noch nicht.

      »Meine Lieben, kommt bitte zu Tisch! Das Essen wird sonst kalt.« Tante Joselin kommt durch den Salon zu uns und wir nehmen alle an der reich gedeckten Tafel Platz. Die armen Küchenmädchen müssen den halben Tag an diesem Festschmaus gearbeitet haben. Auf einer überdimensional großen, silbernen Servierplatte liegt eine köstlich duftende und noch dampfende Pute. Sie hat eine wunderbar braune Kruste und sieht zum Anbeißen aus. In einer weiteren Servierschale vor mir entdecke ich ein dutzend Klöße, die ebenfalls noch dampfen. Hm, lecker! Mein Blick schweift weiter nach links, wo eine genauso große Schüssel mit Rotkraut und eine Soßiere stehen. Moment mal! Das ist ja wohl ein mehr als typisch deutsches Essen!

      »Habt ihr das alles extra für mich besorgt!« Ich schaue Onkel Pierre mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich meine das Fleisch, die Klöße und das Rotkraut! Das ist ja wohl nicht unbedingt typisch französisch.« Mein Blick wandert jetzt zu meiner Tante.

      »Wir wollten nicht, dass du dich an deinem ersten Tag in Paris fremd fühlst. Deshalb haben wir ein paar Dinge besorgt, um es dir so heimisch wie eben nur möglich zu machen.« Ihr Lächeln richtet sich nun auf ihren Mann und sie streicht ihm liebevoll über seinen Handrücken.

      »Ihr seid wirklich lieb. Obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Vielen lieben Dank!« Plötzlich fühle ich mich weder allein noch unbehaglich. Kaum zu glauben, dass ich mich hier auf Anhieb wie zuhause fühlen würde. Tante Joselin und Mutter haben einfach so viel gemeinsam. Es ist erstaunlich!

      Während wir all’ die Köstlichkeiten verspeisen, erzählt Onkel Pierre von seinem Hotel und den lukrativen Geschäften, die er im letzten Jahr absolviert hat. Ich bewundere ihn, diesen kleinen runden, eher unscheinbaren Mann, der doch mit so viel Stolz und Anmut durchs Leben geht. Er und Tante Joselin scheinen äußerlich nicht zusammen zu passen, aber zwischenmenschlich haben sie sich definitiv auf einer Ebene gefunden. Marguerite hingegen hat nur wenig von Onkel Pierre und Tante Joselin. Während des Essens, muss ich gestehen, beobachte ich sie und irgendwie will mir keine Gemeinsamkeit zwischen ihr und ihren Eltern auffallen. Sie isst kaum etwas und beteiligt sich nur selten an den Gesprächen. Sie scheint sehr mürrisch und teilweise auch zickig zu sein. Aber vielleicht hat sie auch nur einen schlechten Tag.

      Nach dem Essen verabschiede ich mich von meiner Gastfamilie und ein Hausmädchen bringt mich zu meinem Zimmer. Es ist klein, aber dennoch sehr gemütlich. Das Bett nimmt fast das ganze Zimmer ein. Ich habe einen schmalen Kleiderschrank, in dem meine überschaubare Garderobe Platz finden sollte. Die Wände sind in einem zartrosa tapeziert und schließen zur Decke hin mit einer weißen Stuckleiste ab. Mein Blick wandert über den kleinen Schreibtisch in der Ecke zu einer großen Flügeltür, rechts neben meinem monströsen Bett. Feine weiße Vorhänge verdecken den Blick nach draußen. Dahinter befindet sich ein kleiner französischer Balkon, auf den ich gerade einmal einen Fuß setzen kann, aber der Ausblick macht seine Größe sofort wieder wett. Ich kann es kaum glauben. Der Eiffelturm! Ich wusste, dass sich das Haus in direkter Nähe zur Seine und dem Eiffelturm befindet, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn von meinem Fenster aus sehen kann. Ich könnte ewig hier stehen, so schön ist es.

      Nachdem ich den Ausblick ausgiebig genossen habe, entscheide ich mich dafür erst einmal meinen Koffer auszupacken und meinen Eltern einen Brief zu schreiben. Es war ein wirklich aufregender Tag und so langsam überkommt mich die Müdigkeit. Ich schaffe es gerade noch mir ein Nachthemd überzuziehen und mir im angrenzenden Bad einen Schwung kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen, bevor ich in den feinen Daunenkissen meines Bettes versinke.

      Kapitel 4

      Ein ganz neuer Lebensstil

      Bastian! Wo bist du? Ich stehe auf dem vollkommen verlassenen Bahnhof von Paris, ohne Schuhe und nur mit meinem Nachthemd bekleidet. Es ist dunkel und ein leichter Nebelschwall umgibt die Gleise. Mir ist kalt! Ich fühle mich furchtbar allein. In der Ferne entdecke ich eine schwarze Gestalt, die jedoch durch den Nebel nicht zu erkennen ist. Wer ist das? Bastian?

      Ich rufe seinen Namen, doch die Gestalt regt sich nicht. Warum bin ich hier und vor allem, wie bin ich nur hierher gekommen? Auf einmal überkommt mich ein kalter Schauer und die Einsamkeit in mir breitet sich weiter aus. Ich fühle mich absolut furchtbar. Die Gestalt regt sich immer noch nicht. Was soll das? Ich rufe immer wieder Bastians Namen, bekomme jedoch keine Antwort. Der Nebel wird stärker und die fremde Gestalt verblasst immer mehr. Auf einmal packt mich etwas von hinten an den Schultern und ich schreie!

      »Emilia, moi jolie! Geht es dir gut?« Ich schrecke auf und bemerke meine Tante Joselin, wie sie sich über mich gebeugt hat. Sie hat sich auf die Bettkante meines Bettes gesetzt und streicht mir sanft über die Stirn. Erst jetzt begreife ich, dass alles nur ein Traum war. Gott sei Dank!

      »Mein Schatz, du hast nur schlecht geträumt. Beruhige dich!« Ihre sanfte Stimme beruhigt mich sofort. Ich bin leicht verschwitzt und auch die Bettdecke hat etwas abbekommen.

      »Du solltest dich erst mal waschen gehen. Und wenn du fertig bist, warten unten warme, buttrige Croissants auf dich.« Sie streicht mir abermals übers Haar.

      »Ja, das mache ich. Ich brauche nur ein paar Minuten«, antworte ich ihr.

      Tante Joselin verschwindet nach unten und ich mache mich auf den Weg ins Bad. Eigentlich hätte ich keine Kosmetik mitbringen müssen, dort liegt alles schon für mich bereit. Wunderbar duftende Seife, eine fein geborstene Haarbürste, herrliche Frottee-Handtücher, auf denen sogar meine Initialen gestickt sind. Tante Joselin hat wirklich an alles gedacht. Ich brauche nicht lange bis ich fertig gewaschen und angezogen bin. Ich entscheide mich für ein sommerliches, hellblaues Kleid mit einem leichten Ausschnitt. Um Die Taille binde ich mir ein weißes Satinband. Da es noch früh ist und bestimmt noch nicht so warm, ziehe ich mir eine leichte Strickjacke über. Mein langes goldbraunes Haar fällt in leichten Wellen über meine Schulter. Ich befinde mich im Spiegel für gut und hopse leichtfüßig die Treppe hinunter. Der Duft von ofenfrischen Croissants steigt mir sofort in die Nase. Hm! Lecker! Ich habe einen Bärenhunger! Tante Joselin und Marguerite haben bereits am Tisch Platz genommen.

      »Guten Morgen alle zusammen!« Mit einem breiten Grinsen, begrüße