»Bon jour!« Er sieht mich abermals mit diesem verschmitzten Lächeln an. Wir blicken uns direkt in die Augen, wie alte Vertraute, die sich eine lange Zeit nicht gesehen haben. Sekunden vergehen.
»Würdest du mir vielleicht den Weg frei machen«, fragt er. Ich schaue ihn verwundert an. Den Weg frei machen?
»Dein hübsches Köpfchen versperrt mir den Weg.« Er lächelt und zwinkert mir dabei zu.
»Ach so. Ja, natürlich.« Als ich mich mit einem eleganten Schwung wieder aufrichte, merke ich erst wie mir das Blut in den Kopf gestiegen ist. Kleine schwarze Punkte erscheinen vor meiner Iris. Wie lange habe ich nur da unten gehangen?
»Geht es dir gut?« Seine wunderschönen Augen blicken mich besorgt an.
»Ja, alles in Ordnung! Dürfte ich vielleicht erst einmal erfahren, was das hier sollte? « Ich versuche mein Gleichgewicht wieder zu finden und schaue ihn etwas verwirrt an.
»Ich brauchte einen Unterschlupf.«
»Und mein Rock kam dir da wohl sehr gelegen?« Was bildet er sich nur ein?
»Um ehrlich zu sein, ja.« Da ist es wieder, dieses verschmitzte Grinsen. »Wenn ich mich vorstellen darf, Jean Bastian Renouard. Aber für dich...«, er nimmt meine Hand »…bin ich nur Bastian.« Er ist Franzose? Das hätte ich mir eigentlich denken können; die französischen Floskeln, sein Charme.
»Also gut, NUR BASTIAN! Ich bin Emilia Rosenberg und auf dem Weg nach Paris, wie du dir vielleicht schon denken kannst. Und was hast du jetzt vor?« Ich schaue ihn mit gehobener Augenbraue an.
»Ich würde gern den oberen Teil von dir kennenlernen!« Er hebt seinen Zeigefinger und deutet auf meinen Rock »Diesen Teil kenne ich ja bereits.« Ich spüre wie die Hitze mir in den Kopf steigt. Ich werde feuerrot und mir wird erst jetzt bewusst, was sich überhaupt in der letzten viertel Stunde in dieser Kabine abgespielt hat. Meine Kehle ist staubtrocken. »Ich hatte eigentlich nicht vor, die nächsten sechs Stunden in Begleitung zu verbringen. In dieser… kleinen….Kabine!« Was rede ich da? Er ist süß! Bitte, bleib hier!
»Dann hast du es eben jetzt vor. Ich verspreche auch, hier OBEN auf meinem Platz zu bleiben.« Ich sehe ihn vollkommen verwirrt an.
»Aha! Ich glaube du hast ja auch gar keine andere Möglichkeit als mit mir hier zu bleiben, oder Monsieur Schwarzfahrer?« Endlich habe ich mein Selbstbewusstsein wieder zurück. Ich richte mich auf und versuche meinen Rücken durchzudrücken, damit meine Silhouette gut zur Geltung kommt.
»Gut erkannt, Emilia!« Langsam setzt er sich auf die Bank gegenüber von mir und macht es sich bequem. »Was treibt dich nach Paris«, fragt er entschlossen.
»Ich werde für vier Monate bei Verwandten leben, bevor im Herbst mein Studium beginnt.« Warum erzähle ich ihm das? Ich kenne ihn doch gar nicht! »Und du? Warum sprichst du so gut deutsch?« Ich strenge mich an, meine Körperspannung zu halten. Ich muss gut aussehen!
»Mein Vater ist Deutscher.« Sein Blick wird düster, er schließt kurz die Augen und sieht mich dann wieder an.
»Ich lebe in Paris. Das ist meine Heimat aber ich kann beide Sprachen fließend sprechen.« Sein Blick wandert über meinen Körper. Ob er bemerkt wie angestrengt ich dasitze?
»Genug von mir. Ich will mehr über dich erfahren. Du bist sehr schön!« Schon wieder wird mein Gesicht knallrot.
»Ich glaube nicht, dass du einen Freund hast.« Was fällt ihm ein?
»Wie bitte? Was für eine intime Frage!« Ich schaue beschämt aus dem Fenster.
»Ich würde aber gern mit dir intim werden.« Mir fällt die Kinnlade herunter. Hat er das gerade laut gesagt?
»Zumindest, was deine Persönlichkeit angeht. Oder an was hattest du gedacht?« Sein Grinsen wird immer breiter und von jetzt auf gleich brechen wir in lautes Gelächter aus. Mein steifer, angespannter Rücken windet sich von einer zur anderen Seite. Ich kann mich nicht mehr halten. Mir ist vollkommen egal, ob meine Silhouette eine perfekte S-Kurve bildet oder ich aussehe wie ein zusammen gefallener Kartoffelsack. Dieser Kerl bringt mich einfach um den Verstand. Ich lege meine Hände auf meinen ausgestreckten Bauch. »Ich muss schon sagen, Monsieur Schwarzfahrer, sie erweisen sich als eine sehr unterhaltsame Reisebegleitung.« Ich bin absolut entzückt von ihm. Was für ein toller Mann!
»Stets zu ihren Diensten, Mademoiselle Rosenberg.« Er salutiert und wir fangen abermals laut an zu lachen. Als wir uns wieder gefangen haben, sieht er mir ganz tief in die Augen. Mein Körper ist sofort angespannt und ich habe das Gefühl, nicht einmal mehr meinen kleinen Zeh bewegen zu können. »Du bist wirklich sehr schön.« Mein Gesicht scheint in Flammen zu stehen. Noch nie habe ich diese Worte aus dem Mund eines Mannes gehört. Ich fühle mich ihm schon so nahe, obwohl ich ihn erst seit einer halben Stunde kenne. Was geschieht bloß mit mir?
»Hat dir ein Mann so etwas schon einmal gesagt?« Sein Blick ist sanft und lieb, sodass ich mich nicht schäme für meine Antwort »Nein, noch nie!«
»Dann wurde es ja mal höchste Zeit. Eine Frau wie du sollte so etwas jeden Tag hören.« Eine Frau wie ich! Als eine Frau hatte ich mich bis eben noch nie gesehen. Ich bin siebzehn. Ist man dann schon eine Frau? Ich verwerfe den Gedanken wieder, meine Aufmerksamkeit gilt jetzt nur diesem reizenden, wunderschönen, jungen Mann vor mir. Hm, Bastian! Was für ein schöner Name!
Kapitel 3
Wie gewonnen, so zerronnen
Als der Zug langsam durch die Vororte Paris’ fährt, überkommt mich ein Gefühl von Wehmut und ein wenig Traurigkeit. Die gesamten letzten sechs Stunden, habe ich nichts weiter getan als mit Bastian zu reden, zu lachen, zu weinen vor lachen und ihn besser kennen zu lernen. Es war wohl die beste Zugfahrt meines Lebens. Keine Fragen nach der gesellschaftlichen Stellung des anderen oder nach dem Guthaben auf dem eigenen Bankkonto, so wie ich es aus meinen Kreisen gewohnt bin. Es gab kaum einen Moment, in dem wir uns nichts zu sagen hatten. Es war eine unbeschwerte Zeit mit ihm.
Es ist 18:00 Uhr. Wir sitzen nur noch da und schauen uns betrübt an. »Das war ein wirklich schöner Tag«, sagt er mit trauriger Miene. Oh, er denkt genauso wie ich, besser gesagt fühlt genauso wie ich. War es das jetzt? Vielleicht sollten wir nur diesen einen Tag miteinander haben. Jedoch wenn wir jetzt so auseinander gehen würden, ohne Aussicht auf eine weiter Begegnung, würde es mir das Herz brechen.
Die Sekunden verstreichen und immer wieder versuche ich all meinen Mut zusammen zu nehmen und ihn zu fragen. Zuvor habe ich noch nie einen Mann um eine Verabredung gebeten. Mir fällt auf, dass meine Eltern mir in der Beziehung keinerlei Ratschläge mit auf den Weg gegeben haben. Was soll ich nur tun?
»Ich habe diesen Tag wirklich genossen, Bastian. Du bist einfach nur….« Meine Stimme versagt, mir fehlen einfach die Worte. »…perfekt«, murmle ich in mich hinein. Zum ersten Mal erröten auch seine Wangen. Mit einem Ruck verlangsamt sich der Zug. Die Häuser vor meinem Fenster verraten mir, dass wir unser Ziel fast erreicht haben. Das ungute Gefühl in meiner Magengrube wird immer stärker und die Angst, ihn nie wieder zu sehen unerträglich.
»Wir sind da, Emilia!« Bastian springt auf und macht sich bereit für den Ausstieg. Ich sitze immer noch, wie angewurzelt auf meinem Platz, nicht in der Lage mich zu bewegen. Er hebt mein Buch „Anna Karenina“ neben mir auf dem Sitz hoch und ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit.
»Leo Tolstoi! Die tragische Geschichte der Anna Karenina. Du scheinst eine hoffnungslose Romantikerin zu sein, Emilia. Soll ich dir dein Gepäck tragen«, fragt er. Seine eben noch entspannte Art wechselt schlagartig in nervöse