Sophie bekam einen gepolsterten Stuhl, einen kleinen Tisch und eine Tischlampe. Sie las, schaute den Männern zu, trank mit ihnen ein Bier und ließ sich erklären, was sie machten und machen wollten.
Begleitet von starken Emotionen - mal aufwühlendes Hochgefühl nach einem kleinen Erfolg, mal niederschmetternde Zweifel nach einem Fehlschlag - entwickelten sie eine Maschine mit einer Pumpe, einem dichten Behälter mit einem Zulaufrohr, einem Filterrahmen in der Mitte und einem Ablaufrohr am Ende. Wie gut, wie schnell, wie zuverlässig würde ihre Maschine Schmutz und Metallspäne aus Emulsionen herausfiltern, aus verschmutzten Emulsionen, die es bei Linder reichlich gab? Kaum hatten sie die Versuche begonnen, stellten sie fest: „Mist! So geht’s nicht.“ Das zuerst eingebaute Filtergewebe hatte zu weite Maschen, weshalb nur grobe Schmutzpartikel darin hängen blieben und die feinen in der Emulsion verharren. Das nächste Filtergewebe war enger gewoben, eng genug, damit es auch feine Schmutzpartikel zurückhielt. Als sie das klare Filtrat sahen, zog Freude in ihre Gesichter. Spontan klatschten sie sich ab, wie zwei Beachvolleyballspieler nach einem gelungenen Schlag. Aber die Freude währte nicht lange. Der Filter war nach kurzer Zeit undicht, weil durch den Druck, mit dem die Pumpe die Emulsion durch das Gewebe presste, im Filterrahmen eine Schweißnaht riss.
Solche Probleme gebe es bei jeder Neuentwicklung, hatte Karl Linder sie beruhigt, auf Anhieb klappe selten etwas. Er spornte sie an, dies zu verändern und das zu verbessern, und dann wieder und wieder, bis sie schließlich eine robuste und dauerhaft funktionierende Filtermaschine vor sich hatten.
„Wie wollen wir sie nennen?“, hatte der Chef gefragt, selbst kurz nachgedacht und, bevor Johann und Werner antworteten, den Namen Clearfilter vorgeschlagen.
Bei der Messe Metallbearbeitung in Stuttgart hatten sie ihre Filtermaschine auf dem Stand der Linder Pumpen GmbH präsentiert. Das war gut so, denn die Linder Pumpen waren seit mehr als zwei Jahrzehnten für beste Qualität bekannt und zogen viele Interessenten an. Von denen blieben einige, nachdem sie sich über das Pumpensortiment informiert hatten, bei Clearfilter hängen, und nicht nur zum Schauen. Sie wollten von Johann und Werner genau wissen, wie die Maschine arbeite, was sie leiste und wie viel sie koste. Gut informiert erkannte mancher, dass er mit Clearfilter ein Problem in seinem Betrieb lösen konnte. Eine häufig gestellte Frage war, ob man diese Filtermaschine mieten könne, um zu prüfen, wie gut sich damit die Flüssigkeiten in ihrem Unternehmen reinigen ließen. Ja, man konnte sie mieten. Sie hatten zu diesem Zweck vier Maschinen bereit gestellt.
Erfolg kann beschwerlich sein. Nach der Messe stellten sie fest, dass sie sofort dreizehn Clearfilter vermieten könnten. Sie hatten aber nur vier. In diesem Fall müssten sie die Mietdauer auf einen Monat befristen, schlug Karl Linder vor, und die vier Maschinen nach und nach von einem zum anderen schicken. Sie atmeten auf, telefonierten mit den Kunden, die nicht gleich bedient werden konnten, und baten sie um Verständnis dafür, dass sich die Lieferung verzögere.
Nach einem Monat stießen sie an eine Hürde: Drei der ersten vier Mieter wollten die Filtermaschine nicht zurückschicken. Sie waren mit ihrer Leistung zufrieden und wollten sie kaufen. Was nun?
Kauf gehe vor Miete, hatte Karl Linder ihnen klar gemacht und sie aufgefordert schnellstens fünf weitere Clearfilter bauen zu lassen. Als auch die innerhalb von zwei Monaten verkauft waren, rief der Chef Johann und Werner zu sich und eröffnete ihnen mit feierlicher Miene, dass nun die Zeit reif sei für die Gründung der Tochterfirma Li-Filter GmbH. Er wolle sie beide mit jeweils zehn Prozent an dieser Firma beteiligen. Wenn sie sich stärker einbringen wollten, könnten sie weitere Anteile kaufen. Werner winkte ab; er hatte gerade eine teure Scheidung hinter sich. Johann, der von seinem Vater eine kleine Summe geerbt hatte, erwarb weitere zwanzig Prozent.
„Ich bin stolz auf dich“, hatte Sophie gesagt, als er ihr den Gesellschafter-vertrag zeigte, in dem er als Teilhaber und Prokurist der Firma Li-Filter GmbH genannt war. Und dann hatte sie sich eng an ihn geschmiegt, ihn geküsst und ihre Zunge in seinen Mund geschoben. Erfolg macht sexy.
Die Woche über hatte Johann jeden Tag, ja, an manchem Tag mehrmals, an Susanne gedacht, die Tage gezählt bis zum Samstag, an dem sie sich treffen wollten. Und heute war es soweit. Um drei Uhr saß er im Café König, wartete und hoffte, dass sie kommen würde. Er hatte sich an einen Tisch hinten im Eck gesetzt, mit dem Rücken zur Wand, damit er die Eingangstür im Blick hatte und von dort auch gesehen werden konnte.
Wann war ich zuletzt hier, fragte er sich. Genau besehen ging er selten in dieses einem Wiener Kaffeehaus nachempfundene Lokal mit den typischen Marmortischen und Thonet-Stühlen. Bei der Renovierung vor zwei Jahren hatte der Architekt die Wand zur Rathausgasse in eine lichtspendende Glasfront umgestaltet, mit vier großen Fenstern und einer breiten Glastür zwischen dem ersten und dem zweiten Fenster. Das Mauerwerk der anderen drei Wände war bis in eine Höhe von einem Meter mit hellbraunen Holzpaneelen verkleidet. Darüber klebte eine beigefarbene Tapete, die in Grautönen mit Kaffeehaus-motiven und Namen von österreichischen Kaffeearten - Kleiner Brauner, Verlängerter, Melange - bedruckt war.
Hinter der Theke, rechts vom Eingang, erfüllte Rosemarie, die Besitzerin, die Wünsche ihrer Gäste. Ferdinand, der Ober, trug Kaffee (zusammen mit einem Glas Wasser) und Kuchen und Wein zu den Tischen.
Das Lokal war gut besetzt: Einzelne Männer, die Zeitung lasen, Paare, die sich leise unterhielten und eine Gruppe, in der eine Frau mit großer Lautstärke das Wort führte.
Susanne kam strahlend auf ihn zu, in einem blauen Kleid und farblich dazu passenden Pumps und Handtasche. Er lächelte, stand auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen. Sie begrüßten sich mit einer leichten Umarmung und einem Küsschen auf die Wange. Er spürte seine Knie zittern.
„Wo möchtest du sitzen?“, fragte er.
„Wenn ich wählen darf, nehme ich den Stuhl hinten an der Wand.“
Er setzte sich ihr gegenüber, lächelte (da war wieder dieses Dauerlächeln in seinem Gesicht) und schaute in ihre Augen, ließ seinen Blick zu ihrem himbeerroten Mund, ihren goldenen Haaren, ihrem schlanken Hals und ihrem Kleid wandern.
„Du bist chic“, sagte er, und das war keine Schmeichelei. Das blaue Kleid mit den halblangen Ärmeln und den Raffungen unter der Brust, die ihren Busen betonten, schien wie für sie geschneidert zu sein. „Und du riechst gut.“ Ihr Duft zog ihn an, und das sollte er wohl auch.
Sie lachte, bedankte sich für die Komplimente und fügte hinzu: „Dafür bin ich lange vor dem Spiegel gestanden.“
Johann verstärkte sein Lächeln.
„Du gefällst mir auch“, sagte sie und sah ihn an. Ein eleganter Mann in einem graublauen Sommeranzug und einem dunkelgrauen T-Shirt darunter. Passend zu seiner hohen Stirn und der randlosen Brille, so fand sie, trug er sein braunes Haar, oder das, was davon noch übrig war, sehr kurz geschnitten.
Als der Kellner an ihren Tisch kam, begrüßte er Susanne mit einem freundlichen: „Guten Tag, Frau Edel“, und sie grüßte zurück: „Guten Tag, Herr Ferdinand.“ Sie bestellten Kaffee, sie einen Espresso und er einen Cappuccino.
„Kommst du öfter hierher?“, fragte Johann.
„Ja, ich treffe mich hier einmal im Monat mit drei Freundinnen zum Rommee.“
Er hätte ihr jetzt erzählen können, dass er als Student in Tübingen ab und zu in der Kneipe Schlachthaus Skat gespielt habe, aber das tat er nicht. Er kam gleich zu dem Punkt, der ihm seit letztem Samstag durch den Kopf ging:
„Ich rede nicht gern um den heißen Brei herum. Darf ich dich fragen, ob du in einer festen Beziehung lebst?“
„Ja, du darfst fragen, und nein, ich lebe in keiner festen Beziehung. Ich war elf Jahre lang verheiratet, bin aber seit vier Jahren geschieden. Der einzige Mann in meinem Leben ist mein Sohn Florian.“
Der Kellner brachte den Kaffee. Sie trank einen Schluck Wasser, gab zwei Tütchen Zucker in den Espresso, rührte um und nippte daran.
„Florian ist vierzehn. Er geht auf das Johannes-Kepler-Gymnasium