Wegen der Schuld. Yenta E.. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Yenta E.
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847673323
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hängen würde.

      „Bei uns passt es nicht dazu... In die Küche, dort ist es am hässlichsten“, korrigiere ich mich und sehe in ihr Gesicht, das sich schmerzhaft verzieht.

      Sie gibt mir ein paar Mappen, setzt mich in den Flur an einen orangen Plastiktisch - niemand da außer mir – und erklärt mir die Aufgaben. Sagt, dass ich bei der Beantwortung der Fragen möglichst selten „ich weiß nicht“ wählen solle und lässt mich allein.

      Weiter mit Bildfolgen, die logisch vollendet werden müssen. Ich finde das nicht besonders schwierig, habe aber Mühe, mich zu konzentrieren. Es sind Bilder in einer Plastikhülle, jemand hat unter jede Aufgabe eine Antwort graviert. Achtung, Falle!, denke ich und bemühe mich, das „Vorgedruckte“ nicht zu registrieren. Bis auf eine Folge durchschaue ich alle. Aber die eine? Hat kein System, ich finde es nicht. Drehe das Bild nach allen Seiten, nichts ist logisch. Nehme mir vor, später zu fragen.

      Nächster Test: Essen Sie in Gesellschaft manierlicher als zu Hause? Sind Polizisten gute Menschen? Halten Sie Schiller für bedeutender als Goethe? Können Sie alles über Ihr Intimleben erzählen? (Können schon, die Frage ist doch, ob ich will! ) Gehen Sie gerne auf Partys? Fühlen Sie sich während dieses Tests geborgen?

      Nächster Test: Je eine Zeile mit verschiedenen Wörtern, das orthographisch richtige ist anzustreichen: Rhythmus.

      Nächste Frage: Machen Sie sich oft über unwichtige Dinge Gedanken? (Abstufungen von 1 bis 5). Langsam wird mir dieser Test zu blöd. Alles, worüber ich nachdenke, ist wichtig. Ich unterstreiche „nie“.

      Sage, dass ich fertig bin. Sie wirft einen kurzen Blick auf den Bogen und sieht die markierten „ich-weiß-nicht“-Antworten:

      „Diesen Test kann ich nicht auswerten.“

      Sie bittet mich, die „ich-weiß-nicht“-Antworten noch einmal durchzusehen und mich nach Möglichkeit festzulegen.

      Sind Polizisten gute Menschen? Ich kann weder Schiller noch Goethe lesen, treffe schließlich aber doch noch ein paar Entscheidungen - ihr zuliebe - und damit ist der Test verwertbar.

      Zum Schluss frage ich nach der Ergänzungsantwort, die ich nicht gefunden habe.

      „Das können Sie dann mit Dr. Schneider besprechen“, sagt sie und verabschiedet mich.

      Dr. Schneider erkundigt sich nach meiner Beziehung zu Nina.

      „Sie ist gesund.“

      Er lacht, das klinge etwas lapidar.

      „Das ist ja nicht selbstverständlich.“ Ich erzähle von der Angst, ein behindertes Kind zu bekommen: „Das hätte zu mir gepasst.“

      UND IHRE EHE – GEHT WENIGSTENS DAS?

      Ich hebe die Schultern. Sage, dass sich die Gewohnheit eingeschlichen hat. Und dass es für meinen Mann wichtig war, zu heiraten. Dr. Schneider nickt.

      „Ich habe gewusst, das wird eine Ehe ohne Höhen und Tiefen. Und ich habe auch gewusst: Wenn jemand geht, so bin das ich. Das hat mir Sicherheit gegeben.“

      Er erkundigt sich nach meinen finanziellen Verhältnissen. Mir bleiben zu meiner persönlichen Verfügung 1000 Schilling im Monat.

      WIE OFT WOLLEN SIE IN DER WOCHE KOMMEN? ZEHN MAL?

      Ich erschrecke: „Das sind ja jeden Tag zwei Mal!“

      Er lächelt: DREI MAL IN DER WOCHE?

      Er sagt, es sei weder für mich noch für ihn gut, wenn er die Therapie gratis machen würde und errechnet aus meinen 1.000 S den Stundensatz.

      Das Honorar beträgt 100 S pro Stunde und wird auch berechnet, wenn ich von meiner Person her eine Stunde versäume.

      Ich überlege, dass ich dann auch einen Babysitter bezahlen muss und bin einverstanden.

      Dr. Schneider meint, er wisse nicht, wie er die Zeit unterbringen solle, eigentlich habe er keine, es werde aber irgendwie gehen. Er würde die Stunden von Woche zu Woche neu einteilen. Und ich habe das Gefühl, dass ich dankbar sein muss.

      Ich erkundige mich schüchtern nach dem Test, er reagiert nicht, ich frage nicht mehr weiter.

      Er erklärt, dass ich während der Therapie zu liegen hätte und alles sagen müsse, was mir einfallen würde.

      „Und wenn mir nichts mehr einfällt?“

      DAS IST EINES IHRER GRÖSSTEN PROBLEME, DASS IHNEN NICHTS MEHR EINFÄLLT.

      Ich bin überrascht: „Warum?“

      Er schaut weg: DAS IST SO MEIN GEFÜHL.

      Die Umstellung beim ersten Kind könne sowohl für eine Frau als auch für einen Mann problematisch sein. Schwieriger noch für die Frau als für den Mann.

      „Und beim zweiten Kind?“

      BEIM ZWEITEN NICHT SO SEHR.

      „Aber andere schaffen das ja auch.“

      SIE SCHAFFEN ES JA AUCH.

      Ich solle mir bis nach Ostern noch einmal überlegen, ob ich mit ihm könne. Er wäre nicht böse, wenn ich anriefe und sagte, ich käme nicht.

      Ich betrachte diese Therapie als meine letzte Chance und habe mich bereits jetzt dafür entschieden.

      In der Zeit bis zur ersten Stunde hole ich ein paar Bücher aus der Bibliothek zum Thema Analyse. Lese in Therapiebüchern, dass das zentrale Problem der Depressiven die Schuld sei, fühle, dass meine Verfassung mit meiner Kindheit zusammenhängt und weiß, dass die Therapie die Aufgabe hat, mir Dinge bewusst zu machen, die ich verdrängt statt erledigt habe.

      Ich gehe auch in eine medizinische Buchhandlung und erkundige mich nach einem Buch über Auswertungen des Rohrschach-Tests, man bringt mir einen kiloschweren Wälzer. Ich frage erst gar nicht nach dem Preis und setze mich damit an einen Tisch. Die Materie wirkt kompliziert. Ich habe nicht viel Zeit und überfliege Abschnitte, denen ich zumindest inhaltlich folgen kann. Da steht etwas von der Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses von Ganzheits- zu Teilantworten. Ich habe nur Ganzheitsantworten geliefert. Dann lese ich, wie viele Antworten Personen unterschiedlichen Bildungsniveaus anführen und stelle fest, dass ich nicht einmal auf die Anzahl des Hilfsarbeiters gekommen bin. Von den Vulgärantworten habe ich keine einzige ausgelassen. Das genügt, ich gebe das Buch zurück.

      Ich möchte von Dr. Schneider wissen, wie meine Heilungschancen stehen.

      DAS WEISS ICH NICHT.

      Ich frage vorsichtig: „50 zu 50?“

      DAS WEISS ICH NICHT, wiederholt er.

      „Werden Sie mir sagen, was ich machen soll?“

      Er antwortet, es sei mein Leben, er würde mir überhaupt nichts raten. Sagt noch einmal, dass ich mir nichts erwarten dürfe.

      Zu Hause beginne ich mir vorzustellen, liegend alles zu erzählen und fühle mich jetzt schon ausgeliefert. Wem eigentlich? Mir selbst? Ich sage mir: Ich mache das für mich, ich will wieder gesund werden, nicht mehr ununterbrochen grundlos weinen.

      Dass meine Handschmerzen mit meiner Verfassung zusammenhängen, kann ich eigentlich nicht glauben. Das wäre dann ja Einbildung. Allerdings, bis jetzt hat nichts gegen die Schmerzen geholfen, im Gegenteil: Es wird immer schlimmer. Ich wache bereits kurz vorher, gegen vier Uhr früh, auf und denke: Nein, heute bitte nicht. Und dann beginnen sie: Erst die linke Hand, krampft sich zusammen bis zum Ellenbogen, später auch die rechte. Ich beiße die Zähne zusammen, damit Peter neben mir nicht aufwacht. Manchmal wacht er auf und fragt: „Hast du wieder Schmerzen?“ Dann schläft er weiter und ich wimmere wieder. Ich habe Angst, dass Nina aufwacht, dass ich sie aus dem Bett nehmen muss und nicht kann, weil ich nur Schmerzen, aber keine Hände fühle. Jeden Morgen, nachdem ich aufgestanden bin, ist dann alles wieder vorbei. Der Rheumatest ist einmal positiv. Mein praktischer Arzt hat gesagt: „Wäre es Rheuma,