Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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hatte, kurz mit »Ich bin Mike. Orkjäger.« vorgestellt. Ob Orkjäger sein Nachname war oder eine Beschäftigung, die ihm seinen Lebensunterhalt einbrachte, darüber war sie sich nicht im Klaren. Es interessierte sie auch nicht wirklich. Falls es sein Beruf war, hatte er ihr nichts dazu erklärt. Überhaupt gab er sich wortkarg, hatte offensichtlich keine Lust, etwas von sich preiszugeben. Sie wähnte sich immer noch in einem schlechten Traum. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dass er endlich aufhörte.

      Orkjäger? Nun erst, nach ihrer Mahlzeit, rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie auf ihrem Weg zu diesem Tisch in anderen Nischen Kerle bemerkt hatte, die ähnlich wie ihr Gegenüber gekleidet waren. Verschwommen hatte sie Bogen und Köcher wahrgenommen, Schwerter und ein paar kleinere Rundschilde, für die sie mal den Namen Buckler gehört hatte. Sie hatte gelernt, hieraus habe sich das Sprichwort »Rutsch mir den Buckel ´runter!« abgeleitet. Jedenfalls hatten die Kerle nicht eingegriffen, sondern von Anfang bis zum Ende feixend das Schauspiel ihrer zweifachen Niederlage beobachtet. Anscheinend waren sie Zwistigkeiten zwischen einem der Ihren und der eher ungelenken Landbevölkerung gewohnt. Sie schienen gewusst zu haben, wie der Streit ausginge, sonst hätten sie gewiss für sie Partei ergriffen. Jünger und kräftiger als ihr Retter schienen sie allemal.

      Plötzlich ergab alles einen Sinn. Das erzählte sie ihm auch, es sprudelte nur so aus ihr heraus.

      »Die letzten Tage waren ein Albtraum. Nach der Arbeit war ich noch im Park spazieren gegangen, habe die letzte Sommersonne genossen. Und plötzlich … plötzlich, als ich eine Hecke durchquerte, war der Kiesweg verschwunden. Auch hinter mir. Buchstäblich stand ich im Wald. Der war nicht dicht, man konnte weit darin sehen, er schien kein Ende zu haben. Und nach oben schirmte er den Blick gegen das Sonnenlicht ab. Es war alles so fremd, so unglaublich.«

      Sie sah ihn an, wartete auf eine Regung.

      Er nickte ihr zu.

      »Das hattest du schon erzählt. Aber red´ weiter, das wird dir gut tun.«

      »Ohne Orientierung bin ich durch den Wald gehetzt, später über Wiesen. Regen hatte die Luft saubergewaschen, es duftete nach frischem Gras. Am dritten Tag erst, also gestern, kam ich in eine bewohnte Gegend. Das half mir aber nicht. Die Leute sahen so wild und ungepflegt aus. Ich hatte Angst vor ihnen. Nur einmal, einmal habe ich eine alte Frau angesprochen. Sie war allein unterwegs, trug ein Bündel auf dem Rücken. Ärmlich sah sie aus in ihrer fadenscheinigen Kleidung, aber wenigstens sauber.«

      Ihre letzten Worte hatten rau geklungen, so, als habe sie einen trockenen Mund. Sie griff ohne hinzuschauen nach dem Humpen und wunderte sich, dass er ihn ihr entzog. Da erst merkte sie, dass sie aus seinem hatte trinken wollen. Er kippte ihn leicht, und sie bemerkte, dass er leer war. Sie griff nach ihrem, nahm ein paar Schlucke und hielt ihn ihrem Gegenüber hin.

      »Willst du?«

      Wie geistesabwesend schüttelte er den Kopf. Er hatte gerade einer Magd zugewinkt, dass sie ihm noch etwas bringen sollte.

      »Ähm, nein danke.« Erst nach einer Weile antwortete er und nahm den Faden wieder auf.

      »Bist du mit ihr mitgegangen? Was hat sie dir erzählt?«

      Es war das erste Mal, dass er auf ihren Bericht einging.

      »Erzählt? Ach so. Es war unglaublich! Sie sprach von Orks und Goblins, von einem Krieg weiter im Norden. Mittlerweile hätte sie aber auch von Überfällen in ihrer Umgebung gehört. Deshalb sei sie unterwegs nach Königstein, der königlichen Residenz. Dort sei die Welt noch in Ordnung. Noch, wie sie ein paarmal betonte. Denn da, wo sie herkäme, sei der Himmel dunkler geworden, und nicht einmal die Magier wüssten Rat. Ich war froh, als sie weiterzog.«

      »Das mit dem dunklen Himmel war nur eine Metapher für die Angst der Leute. Die Furcht legt sich ihnen aufs Gemüt. Warum hast du dich der Alten nicht angeschlossen. Offensichtlich kannte sie sich doch aus und hätte die helfen können.«

      »Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Wohl, weil mir alles so unwirklich vorkam. Außerdem hatte ich den Eindruck, sie fantasiere, und ihre Beschreibungen machten mir Angst. Als sie weg war, habe ich es bedauert.«

      Diesmal griff sie nach dem richtigen Krug.

      »Später entdeckte ich eine Gruppe Männer, die an einem Waldrand lagerten. Ich schlich mich so nah, dass ich Ihre Kleidung und Ausrüstung erkennen konnte. Der Wind trug ihre Gespräche zu mir herüber. Ich bekam solche Angst, dass ich mich fortschlich. Ich habe gebetet, dass sie mich nicht entdeckten. Fast kriechend bin ich durch die Büsche zurückgeschlichen. Dann bin ich gerannt, nur noch gerannt, bis ich vor Seitenstechen nicht mehr konnte.«

      Sie bemerkte seine hochgezogenen Brauen. Als er schwieg, zuckte sie die Schultern und fuhr fort.

      »Ob es ein Dutzend Männer waren oder nur ein halbes, weiß ich gar nicht mehr. Aber alle waren bewaffnet. Mit Schwertern, Morgensternen oder einem, einem … Kriegshammer. Auf so einen hat mich vor Jahren ein Bekannter aufmerksam gemacht, mit dem ich eine Ausstellung übers Mittelalter besucht hatte. Über Überfälle, Mord und Plünderung hatten die Kerle sich unterhalten. Vergewaltigungen waren auch dabei, gar nicht mal selten. Man wolle ja auch sein Vergnügen haben, hatten sie geprahlt. Für mich hörte sich das alles ernst gemeint an, nicht erfunden. Solche Art Fantasie kann nur einem kranken Hirn entspringen. Naja, einem gerade noch, aber gleich einem Dutzend? Was meinst du dazu? Kannst du dir vorstellen, wie froh ich war, unbemerkt entkommen zu sein?«

      Obwohl ihre Fragen rhetorisch gemeint waren, öffnete er den Mund, um etwas zu erwidern. Mit einer wedelnden Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen, bevor er auch nur ein Wort hatte sagen können. Sie zuckte zusammen, als sie bemerkte, dass ihre Geste doch recht brüsk erschien.

      »Entschuldige! Es war nicht böse gemeint. Mir ist nur aufgefallen, wie unhöflich ich war. Du hattest dich ja schon vorgestellt. Ich bin Julia. Von Juliane. Aus Freiburg.«

      Sie reichte ihm die Hand. Scheinbar irritiert ergriff er sie und schüttelte sie kurz. Sie fühlte, dass das hier eine ungewohnte Geste sein musste.

      »Juliane. Wie Juliane Werding. Am Tag, als Johnny Kramer starb«, schob er wie in Tagträumen versunken nach.

      Sie sprang nicht darauf an, bemerkte nicht, dass er gerade erklärt hatte, auch aus ihrer Welt zu stammen. Sie war noch fest verwobener Teil ihrer Eindrücke und Einbildungen, die ihr intensiv eine neue, unbekannte und grausame Realität aufdrängten.

      »Durch Freiburg bin ich zuletzt im August zwanzigsechzehn gefahren, das heißt, daran vorbei. Mit dem Auto von München nach Spanien. Atlantikküste, hinter Santiago de Compostela.«

      Mit einiger Verspätung begriff sie, dass er ihrem Bewusstsein noch einen Rettungsring zugeworfen hatte. Dankbar nahm sie die Hilfe an und ordnete ihre Gedanken um das Gehörte herum neu. Ein paar Augenblicke brauchte sie, dann hatte sie ihre Schlussfolgerungen gezogen. Ihre Miene hellte sich auf, sie suchte den Blickkontakt mit ihm.

      »Ihr seid eine Gruppe von Rollenspiel-Freaks, nicht wahr?« Sie sprach zu schnell und verhaspelte sich prompt. »Fan…, Fantasy oder so? Habt euch eure Welt gebastelt, eine Art Themenpark. Und verbringt hier eure Wochenenden oder Ferien mit dem Ausleben erfundener Geschichten.«

      Der Gedanke war für sie befreiend. Endlich eine handfeste, verständliche Erklärung für ihre Situation, in die sie hineingestolpert war und die ihr surreal und grotesk erschien! Zumindest unerklärlich. Die zahlreichen Ungereimtheiten blendete sie unbewusst aus.

      »Ich war mal bei der Landshuter Hochzeit und an einem Wochenende beim Kaltenberger Ritterturnier«, fügte sie hastig hinzu, als ob sie ihre Interpretation bestätigen und aus dieser Bestätigung Mut schöpfen wollte. »Dann bin ich hier ja goldrichtig. Ich bin ganz gut im Bogenschießen, bin immer noch Mitglied in der Freiburger Schützengesellschaft und war sogar einmal bei der Landesmeisterschaft dabei. Jetzt fehlt mir nur das passende Kostüm.« Ihre vermeintliche Erkenntnis vollendete sie mit einem Anflug von Galgenhumor, erleichtert, ihrer Verzweiflung die Schärfe nehmen zu können. »So etwas wie Robin Hood.«

      »Fast hast du Recht. Nur, dass wir uns keine