Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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gebogen, dann aber zu früh hatte zurückschnellen lassen, erzählte er nie deshalb jemandem.

      »War … das Zufall, oder kannst du wirklich mit dem Orkschwert umgehen?« Der Spießgeselle des Grobians konnte seine Neugierde nicht mehr zügeln.

      »Ihr könnt es ja auf einen Versuch ankommen lassen.« Dann wandte sich der Fremde zu dem Holzfäller.

      »Ich hoffe, das war eine Lehre für dich.«

      Den beruhigte sein schelmisches Zwinkern keineswegs.

      Der Fremde drehte sich nun zum Wirt um, der noch immer um seine Fassung rang.

      »Meister Wirt, lasst den Tisch richten, ich komme für den Schaden auf. Und bringt jedem am Tisch einen Humpen Apfelwein auf den Schrecken, und diesem Kerl gleich zwei, damit er wieder ins Leben zurückfindet.«

      Der drohende Aufstand der Holzfäller war im Keim erstickt.

      Seit er sie von der Bank gezogen hatte, war die Frau zu keiner Bewegung fähig. Scheinbar teilnahmslos verfolgte sie die Szene. Nun sah sie ihren Retter dem Kerl auf die Schulter klopfen, fühlte sich dann von ihm unvermittelt am Oberarm gepackt und mitten durch die zurückweichende Meute zu seinem Tisch gezerrt. Unmittelbar darauf fand sie sich seinem Platz gegenüber auf die Bank gedrückt. Ihr Sträuben und ihr verängstigter Blick berührten ihn wohl keineswegs. Dass es nur zu ihrem Besten war, hatte sie nicht erfasst. Seine vorgetäuschten Besitzansprüche bewahrten sie vor weiteren Pöbeleien, denn nach dem Vorfall mit dem Holzfäller wollte sich keiner mit ihm anlegen. Sie jedoch hasste ihn instinktiv wegen der blauen Flecke, die seine Umklammerung hinterlassen würde. Genau da, wo der kurze Ärmel endete, wären sie über Tage sichtbar! Stumm rieb sie die schmerzende Stelle. Für einen Protest fehlte ihr die Kraft.

      »Erzähl«, hörte sie ihn sagen, »was machst du in dem Aufzug in dieser Gegend? Bist du lebensmüde? Am ersten Haus oder Hof, wo du vorbei gekommen bist, hättest du dir was zum Anziehen besorgen sollen, das hierher passt. Du fällst auf wie der berühmte bunte Hund. Mit so was machen die hier kurzen Prozess.«

      Sie mit einem korrekten Sie anzusprechen, kam ihm offensichtlich nicht in den Sinn. Diese Unhöflichkeit gab ihr den Rest, und ihre Verzweiflung nahm überhand. Sie verfiel in ein kaum hörbares, trockenes Schluchzen.

      »Ich weiß nicht, wo ich bin und was ich hier soll. Vor vier Tagen fand ich mich in plötzlich im Wald wieder. Der war ganz anders als der Park, in dem ich spazieren gegangen war. Ich hab´ lange gebraucht, um den Wechsel zu realisieren. Dann fand ich nicht mehr zurück. Und an die Bauernhöfe traute ich mich nicht ´ran, die Leute sahen so wild aus. Außerdem bin ich an zweien vorbeigekommen, die brannten. Menschen haben geschrien, und große Kerle haben sie gejagt. Hier dachte ich, die Menge bietet mir Schutz.«

      »Mmh. Vier Tage. Vermutlich der Langewald vor den Morgenbergen. Kenn´ ich. Hunger?« Auf ihre Beobachtungen der Überfälle ging er nicht ein.

      Unvermittelt kam ihr die Entbehrung während dieser Zeitspanne ins Bewusstsein.

      »Ich könnte ein Pferd verschlingen!«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Braten muss reichen. Was anderes gibt´s hier sowieso nicht.«

      Dann drehte er sich zum Wirt um.

      Der hatte zwei Mägde mit Krügen zu dem Tisch der Holzfäller geschickt. Die beiden bedienten im Laufschritt, galt es doch, über ein Dutzend schwere Humpen zu servieren, und die Kerle waren ungeduldig. Der Wirt hatte die Geste des Fremden bemerkt. Zögernd trat er an den Tisch, an dem die Frau sich etwas beruhigt hatte und nun erschöpft mit Kopf und Schultern an der Wand zur Nische mit den Kaufleuten lehnte. Die hatten nur Auge und Ohr für den Fremden und seine neue Bekanntschaft. Man tuschelte, hütete sich aber, die Neugierde zu offensichtlich zu zeigen.

      Der Wirt nahm seinen ganzen Mut zusammen und unterbreitete seine Rechnung.

      »Die Zeche für fünfzehn Krüge Apfelwein beträgt fünfundsiebzig Kupferstücke. Da ist euer Verzehr noch nicht eingerechnet. Alles zusammen und der Preis für das versprochene Nachtlager belaufen sich nun auf über ein Silberstück. Auf eine Ausbesserung des Tisches verzichte ich, vielmehr will ich das abgeschlagene Stück Holz in der Nische an einen Balken nageln.« Er lachte kurz auf. »So hat man immer einen Anlass, bei einem guten Humpen den Vorfall in Erzählungen wieder aufleben zu lassen.«

      Insgeheim fragte er sich, ob der Fremde über ausreichend Barschaft verfügte oder ob er einen Zechpreller vor sich hatte. Dann hätte er, wie schon öfter, seine stärksten Knechte rufen lassen, die den Kerl vom Hof geworfen hätten. Anschließend hätte er sich an seinem Gepäck schadlos gehalten.

      Der wiederum bot ihm ein breites Lachen feil, griff in eine Westentasche und förderte Kupfermünzen und ein Silberstück zutage. »Das ist mehr, als ihr gefordert habt. Dafür verlange ich noch eine Mahlzeit für die Frau. Außerdem sagt mir, ob für sie noch ein Schlafplatz frei ist.«

      Der Wirt, der ob der widerspruchslos dargebotenen Bezahlung seinen Mut wiedergefunden hatte, schüttelte den Kopf.

      »Alles, was frei ist, ist die Ecke oben in der Scheune. Da, wo ihr schon zu nächtigen gedenkt. Ihr müsst eben zusammenrücken.« Dann fügte er mit einem anzüglichen Blick auf die Frau hinzu: »Aber haltet euch zurück!«

      Gut gelaunt zahlte der Fremde die geforderte Summe. Die Frau würde seinen Schlafplatz mit ihm teilen.

      Sie zuckte zusammen. Ob sie einverstanden war oder nicht, schien ihn nicht zu kümmern.

      Vor Mattigkeit fand sie keine Widerworte. Sie fügte sich in ihre Lage, in der sie schon längst nicht mehr über sich selbst zu bestimmen hatte. Aber als ihr Essen gebracht wurde, wurde sie munter. Ein großes Stück Braten, frisch vom Spieß und heißer als seines vorhin, sowie Brot und der etwas streng riechende, würzige Käse. Sie rutschte vor zur Kante, beugte den Oberkörper über den Tisch und begann zu essen. Alles roch gut, das braune Brot war noch warm, die Rinde knusprig. Wie alle aß sie mit den Fingern. Besteck hatte die Magd nicht gebracht, und auch ihr Gegenüber machte keine Anstalten, ihr sein Messer zu reichen, das er selbst benutzt hatte. Er saß zurückgelehnt an die Wand, hielt seinen Humpen mit beiden Händen umfasst auf dem Schoß und beobachtete sie wortlos. Ab und zu trank er einen Schluck. Sie hatte ihr Fleisch schon fast gegessen, Zu schnell, wie sie selbst feststellte. Das gehörte sich nicht. Wie sonst wäre es zu erklären gewesen, dass ihr Bratensaft aus dem Mundwinkel lief. Sie wischte ihn sich mit dem Unterarm vom Kinn. Eine Magd knallte ihr einen Humpen Apfelwein auf den Tisch. Ohne zuvor daran zu riechen oder sonst irgendwie feststellen zu wollen, um welches Getränk es sich handelte, setzte die Frau den Krug an und leerte ihn zur Hälfte. Sie verschluckte sich, setzte ab und verzog ihr Gesicht zu einer säuerlichen Miene. Der Fremde grinste schadenfroh. Er prostete ihr zu und nahm selbst einen Schluck. Nun erkannte auch sie, wie komisch ihr Schlingen gewirkt hatte. Ihr anfangs verschämtes Lächeln steigerte sich unwillkürlich zu einem befreienden Lachen. Sie blickte ihrem Gegenüber geradewegs in die Augen. Trotz ihrer Erschöpfung und der daraus resultierenden Anspannung war das Eis gebrochen.

      4.

      Es war Abend geworden. Der Wirt hatte die Tür anlehnen lassen. Die meisten Dörfler waren in ihre Häuser oder Hütten zurückgekehrt. Geblieben waren vor allem Reisende, zumeist Männer. Frauen waren außer ihr und den Mägden nur noch zwei anwesend.

      Sie hatte den zweiten Krug Apfelwein angetrunken. Sie war zu aufgekratzt, um sich jetzt auf ein wie auch immer geartetes Lager zu begeben. Zudem war ihr der Gedanke, mit wem sie sich den Schlafplatz teilen sollte, nicht gerade angenehm. Das ließ sich aber unter den gegebenen Umständen kaum vermeiden. Die vergangenen drei Nächte hatte sie auf dem Waldboden zugebracht oder in einem verrotteten Heuschober geschlafen. Das wäre Luxus gewesen, wäre das Heu nicht feucht und schimmlig gewesen. So war sie heute früh unausgeruht aufgestanden, und Stunden hatte es gedauert, den Modergeruch aus der Nase zu bekommen. Ihr Weg durch endloses Brachland mit blühenden Büschen und stark riechenden Wiesenblumen half ihr dabei. Trotzdem fühlte sie sich immer noch schmutzig. Bei dem Gedanken an ihren Zustand fiel sie wieder in