Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
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ihr Bedürfnis nach Erleichterung und Hygiene nur stärker.

      Er hatte ihre Unruhe bemerkt.

      »Nach dem Frühstück machen wir uns auf. In der Nähe gibt es ein Waldstück mit einem kleinen Gewässer. Dort ist alles da für unsere Morgentoilette.«

      Das Frühstück bestand aus frisch gebackenem, noch heißem Brot, dem gleichen Käse wie gestern, der kalte Braten war in dünne Scheiben geschnitten. Etwas Butter gab es auch, sie aßen sie aber nicht, denn sie sah ranzig aus. Das kalte Getränk erinnerte wirklich an Pfefferminztee, war aber auch mit anderen Kräutern gebrüht worden.

      Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, ging er in die Küche und holte die Wegzehrung ab, von der er ihr erzählt hatte. Brot, Braten und Käse, alles einzeln in Lappen eingewickelt, die er der Küchenmagd vorher gegeben hatte. Der Proviant war reichlich, geeignet, einen zweitägigen Marsch gut zu überstehen. Die Magd hatte es gut gemeint. In zwei lederne Schläuche ließ er sich Getränke einfüllen, in den einen den Kräuteraufguss, in den größeren Apfelwein. Der Magd hatte er ein für hiesige Verhältnisse üppiges Trinkgeld zugesteckt.

      Zurück im Schankraum nickte er Julia zu. Sie stand auf und gesellte sich zu ihm. Sie war sich nicht im Klaren, wie sie damit umgehen sollte, dass er über ihren Kopf hinweg entschieden hatte, sie nach Königstein mitzunehmen und dort zu lassen. Einerseits verfluchte sie ihn für seine Arroganz, die ihr einen freien Willen abgesprochen hatte, andererseits wusste sie, dass sie keinesfalls hierbleiben konnte. Sie hatte kein Geld in der hiesigen Währung, keine Kleidung zum Wechseln, das von ihm angesprochene Gewässer zum Waschen oder Baden war sicher meilenweit weg in einer ihr unbekannten Richtung – und sie hatte Angst. Angst vor den Menschen hier. Und Angst vor dem Verlorensein in dieser seltsamen Welt.

      »Außerdem muss er mich nach Freiburg bringen«, wiederholte sie in Gedanken ihr Credo.

      »Übrigens danke«, ließ sie sich vernehmen.

      »Wofür?«

      »Dass du heut´ Nacht nicht über mich hergefallen bist.«

      Die Antwort schluckte er hinunter. Sein spitzbübisches Schmunzeln sagte genug.

      1.

      Die Temperatur war herbstlich lau. Schwacher Wind trug von irgendwoher den Duft nach Heu. Sie folgten dem Weg nach Nordosten. Es war ein besserer Trampelpfad, ausgetreten von Bauern und Händlern zog sich eine Spur verdichteter Erde durch bräunlich-grünes Steppengras. Wenige Schritte vor dem Tor hatte er sich dreigeteilt, die beiden anderen Wege führten links und rechts die Mauer entlang und verloren sich grob in Richtung Nordwesten und Südosten. Julia wunderte sich über die eingeschlagene Richtung, hatte Mike doch behauptet, er wolle nach Süden. Sie sagte aber nichts. Den letzten Menschen waren sie auf halber Sichtweite zum Dorf begegnet.

      »Was zwinkerst du mir eigentlich dauernd zu?« versuchte sie, ein Gespräch zu beginnen. Das Schweigen war ihr unangenehm, und endlich hatte sie einen Ansatzpunkt gefunden.

      »Ich zwinkere nicht. Aber wenn ich die Augen zukneife, kann ich schärfer sehen. Bei einer meiner ersten Rangeleien mit einem Goblin habe ich meine Brille eingebüßt.«

      Als sie ihn mit offenem Mund ansah, lachte er.

      »Den Verlust habe ich verschmerzt. Es gibt hier wenig zu lesen. Außerdem ist meine Sehfähigkeit hier besser geworden. Das muss an der Magie liegen.«

      »Magie? Willst du mich auf den Arm nehmen?«

      »Gewiss nicht! Die Natur ist voll davon. Man muss sie nur erkennen und zu nutzen verstehen. Aber nun lass mal, wir sind da.«

      Seit einiger Zeit hielt er den Blick gesenkt, hatte fast nur noch in das Gelände unmittelbar rechts des Pfades geschaut. Sie lief in ihn hinein, so abrupt blieb er nun stehen.

      »Am Wasser? Ich seh´s nicht.«

      Er schüttelte den Kopf und deutete auf eine kleine Pyramide aus vier oder fünf flachen, runden Steinen. Ohne ihn hätte sie sie übersehen. Er trat wenige Schritte neben den Weg, dann zog er den Tornister vom Rücken, kniete sich hin und begann mit den Händen in der losen Erde zu scharren.

      »Werkzeug lohnt nicht«, erklärte er, als er ihren fragenden Blick bemerkte, sagte aber nicht, was er ausgraben wollte.

      Das war ohnehin nur von einer dünnen Schicht bedeckt, und nicht einmal vollständig, wie sie nun bemerkte. Es sah aus wie eine hölzerne Trage, nur dass sie dreieckig war, gefertigt aus Birkenstämmen und Leder. Über die Last spannte sich grauer Stoff.

      »Mein Schlitten. Für dich ist er leider nicht stabil genug. Ich hoffe, du bist gut zu Fuß.«

      Er richtete sich auf, ging bis zum Weg zurück und verwischte mit einem herumliegenden toten Zweig die Spuren bis zu ihrem Standort. Die Steine hatte er in verschiedene Richtungen zwischen die Büsche geschleudert. Er legte den Tornister auf die Trage, wickelte sich den Riemen ums Handgelenk und richtete sich auf.

      »Da lang.«,

      Er zeigte mit der freien Hand querfeldein in grob südliche Richtung, in der sie Wald ausmachte.

      »Ich hatte dir ja einen Platz zum Waschen versprochen. Den musst du dir jetzt erarbeiten.«

      Damit zerstreute er endgültig ihre Befürchtung, diesen und vielleicht auch die nächsten Tage verschwitzt und mit juckender Haut zubringen zu müssen. Von einem Bach hatte er gesprochen, sie freute sich darauf, und die eine Meile würde sie noch aushalten.

      »Gibt es denn hier keinen Weg zum nächsten Dorf? Bei unserem Aufbruch habe ich mindestens zwei gesehen. Einer ging nach Süden, wo du hinwillst.«

      »Klar gibt es Wege, aber die meisten Dörfer in Richtung Königstein sind von Räuberbanden besetzt, und ich habe keine Lust, mich in jedem Weiler mit fünfzehn bis zwanzig dieser Galgenvögel anzulegen. Das ist manchmal gefährlicher als ein Kampf mit Orks. Vor allem bringt ein Angriff fast immer die Dorfbewohner in Gefahr. Die werden sozusagen in Geiselhaft gehalten, aber bis auf Diebstahl und Vergewaltigung passiert ihnen recht wenig.«

      »Raub und Vergewaltigung sind für dich wenig?« Julia wurde heftig. »Denkst du gar nicht an die Opfer, an ihre Schmach und die Peinlichkeit?«

      »Erstens habe ich es so nicht gesagt, und zweitens würde ich es nicht peinlich nennen«, verteidigte er seine Rede, »wenn eine Frau vergewaltigt wird. Es ist aber immer noch besser, als erschlagen zu werden, nur, weil einen einzelner tapferer Retter erpressbar ist. Wir bringen jede Stunde einen Dorfbewohner um, wenn du dich nicht stellst. oder Für jeden von uns sterben drei von denen. So läuft das.«

      »Und die Soldaten des Königs? Reguläre Truppen, Stadtwachen?«

      Sie redete immer hastiger, lauter. Schließlich blieb sie stehen.

      Er zog an ihr vorbei und zwang sie so weiterzugehen.

      »Die Soldaten sind am Nordwall gebunden, und Stadtwachen – aber es gibt bis Königstein ohnehin keine Städte – trauen sich nicht aus ihren Mauern heraus. Zumindest nicht, solange sie nicht selbst angegriffen werden.« Mike zupfte nachdenklich an seinem Kinnbart. »Und sollte irgendwann einmal der Krieg vorüber sein, dann werden die Dörfer durch die heimkehrenden Truppen von diesem Gesindel gesäubert. Bis dahin müssen wir uns in dieser Gegend querfeldein durchschlagen.« Er zuckte die Schultern, und als Julia nichts erwiderte, fasste er die Leine seines Schlittens ein Stück kürzer,

      »Erzähl mal«, knüpfte sie ein paar hundert Meter weiter an das Gespräch vom Vorabend an, »wie bist du hierhergekommen?«

      »Eine längere Geschichte«, entgegnete er, »es war ein Betriebsausflug. Von Sonthofen aus.«

      Auffordernd nickte sie ihm zu. Die wellige Landschaft bot wenig Sehenswertes,