Siebenreich - Die letzten Scherben. Michael Kothe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kothe
Издательство: Bookwire
Серия: Siebenreich
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752909401
Скачать книгу
ihr. Mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis ließ sie zu, dass er sofort anfing, sie trockenzureiben. Sie wickelte sich das zweite Tuch um den Kopf und wrang sich damit das Wasser aus dem Haar. Dann genoss sie die wohlige Wärme, die sein Frottieren verursachte. Sie blickte an sich herab auf ihre gerötete Haut, nahm ihm die Decke aus der Hand und begann ihrerseits, ihn damit zu massieren. Dass seine Haut schon trocken war, wollte sie nicht bemerken.

      Als sie von ihm abließ, breitete er die große Decke auf dem Moos aus. Sie legten sich hin, und er nahm sie in den Arm.

      »Gelegenheit macht Liebe«, heißt es in Abwandlung eines alten Sprichwortes.

      4.

      Später saßen sie nebeneinander am Ufer und genossen ihre Mahlzeit. Ihnen kam die ewig gleiche Zusammenstellung aus Brot, Braten und Käse keineswegs eintönig vor. Abwechslung war hier ein Luxus, der nicht jedem zugänglich war. Ihre Leibwäsche trocknete noch, ihre ledernen Anzüge hatten sie zum Lüften unweit davon an festere Äste gehängt. Alles brauchte noch Zeit, bis es wieder angezogen werden konnte. Nachdem sie mit essen fertig waren, hatte sie nachgeschaut.

      Sie stutze, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn unwillkürlich näher betrachtete. Trotz seines angenommenen Alters, das sie immer noch viel zu niedrig schätzte, machte er eine gute Figur. Aufrecht, straffe Schultern. Kein Sixpack, aber auch im Sitzen blieb sein Bauch flach, ohne dass er ihn eingezogen hätte. Feste Oberschenkel, stramme Waden. Alles geprägt durch ständige Bewegung in freier Natur. Dass er ausdauernd war, hatte sie nicht nur beim Laufen mitbekommen.

      Sie verspürte wieder Lust auf ihn.

      »Du wolltest wissen, …«

      »Äh, wie bitte?«

      Seine Worte beendeten ihre beginnende Erregung. Da sie merkte, dass er auf ihre unterwegs gestellten Fragen einging, ließ sich ablenken und hörte ihm zu.

      Vielleicht danach?

      Sie errötete leicht, was ihm aber nicht aufzufallen schien. Zumindest machte er keine diesbezügliche Bemerkung, sodass ihre Verlegenheit sich gleich wieder legte.

      »Also«, fing er an, »du wolltest wissen, was das für Sachen sind, und wo sie herkommen. Einfach erklärt, bin ich vor drei, vier Tagen am Nachmittag fast über einen Trupp Orks gestolpert. Zwei Goblins waren auch dabei. Sieben Mann insgesamt. Sie hatten einen unpraktischen Ort zum Lagern ausgesucht, von allen Seiten einsehbar. Gerade waren sie dabei, ihr Abendessen aus ihren Bündeln zu packen. Sie steckten rohes Fleisch in ellenlangen Fetzen auf angespitzte Stöcke und legten es griffbereit neben die Feuerstelle. Naja, einen kegelförmig aufgeschichteten Haufen trockener Äste, die sie auf Unterarmlänge gebrochen hatten. Ordentlich, die dünnen Zweige innen, nach außen wurde das Brennholz dicker, und ganz innen Stroh. So, wie man´s eben macht. Auf das Ausheben einer Feuergrube, die den Feuerschein verborgen hätte, hatten sie verzichtet. Sie fühlten sich halt sicher.«

      Nun hing sie begierig an seinen Lippen, wollte an seinem Wissen über das Leben hier draußen teilzuhaben.

      »Die zwei, die sich mit den Feuersteinen herumplagten, waren nicht besonders erfolgreich. Der ganze Trupp wohl Rotärsche.«

      »Rot…was?« Sie zog die Stirn in Falten.

      »Neulinge. Anfänger.«

      »Ach so, verstanden!« Sie nickte.

      »Schließlich widmeten sich alle sieben dem Feuermachen. Zwei oder drei wetteiferten miteinander mit trockenem Holzmehl aus faulen Baumstämmen oder mit trockenen Gräsern. Die übrigen gaben gut gemeinte Ratschläge. Einer pustete jeden aufglimmenden Funken wieder aus, anstatt zu warten, bis eine kleine Flamme das trockene Zeug wenigsten stellenweise entzündet und sich Glut gebildet hätte. Alles in allem stümperhaft, und an ihre Sicherung hatten sie überhaupt nicht gedacht. Normalerweise hätte einer oder hätten zwei Wache halten müssen und sich so lange gar nicht am Lagerleben beteiligen dürfen.«

      »Du warst allein?«

      »Natürlich, wie gewöhnlich. Bin halt Einzelgänger. Orks zu jagen ist kein schönes Geschäft, und die anderen Orkjäger sind selten nach meinem Geschmack. Im Gasthof zusammen einen trinken, ja. Gespräche schön und gut. Jeder prahlt dabei, ich auch. Aber noch lieber höre ich zu, ich kann jede Menge Neuigkeiten dabei aufschnappen.«

      Er nahm einen Schluck Apfelwein aus dem Lederschlauch.

      »Also habe ich meinen Kampfzauber ausgepackt und die ersten drei ins Jenseits geschickt. Das war für sie schnell und schmerzlos. Ich habe erst lernen müssen, dass so etwas auch den Orks gegenüber nur fair ist. Sie sind eben so, wie sie sind. Sie kennen es nicht anders. Deswegen muss ich sie nicht zu Tode quälen. Dann habe ich an meinem Ring gedreht, meine Schwerter gezogen und bin zu ihnen gerannt. Es war einfach, sie bewegten sich nicht einmal. Sie hatten sich über das Zusammensacken ihrer Gefährten genauso gewundert wie du gestern Abend bei den beiden Räubern.«

      Er bemerkte ihre gefurchte Stirn.

      »Mein Kampfzauber. Und sehen konnten sie mich nicht. Das mit dem unsichtbar machenden Ring hast du ja wohl vorhin erkannt. Der Waldboden war weich. Moos, keine Zweige, keine trockenen Blätter. Also war ich lautlos über ihnen, solange sie noch über ihre Kumpane gebeugt standen. Ein Dutzend schneller Hiebe. Keine Gegenwehr. Die Überraschung war zu groß, außerdem standen sie sich gegenseitig im Weg und hätten ihre Waffen gar nicht ziehen können. Alles hat keine halbe Minute gedauert. An Beute nimmst du dann nur mit, was du verkaufen kannst. Dazu gehört eigentlich alles, was aus Eisen ist, obwohl es am meisten wiegt. Der Rest ist grobes, brüchiges Leder, aber das kauft dir kein Mensch ab. Und sonst haben sie nichts, was auch nur einen gewissen Wert hätte.«

      Er zuckte die Schultern, überzeugt, alles Wissenswerte weitergegeben zu haben.

      »Aber«, warf sie zaghaft ein, »das waren doch offenbar noch halbe Kinder, wenn sie sich so verhalten. So unvorsichtig, meine ich. Und hatten sicher Familie.«

      Sie konnte sich die Verhältnisse einfach nicht vorstellen.

      Er schüttelte den Kopf und tischte ihr die landläufige Meinung auf.

      »Alle Orks hält man für stark. Und grundsätzlich für grausam, sogar sadistisch. Es gibt nur Krieger, Männer. Keine Frauen, erst recht keine Orkkinder. Keine kleinen Orks, die Ball spielten, Abzählverse singen oder mit Holzschwertern kämpfen üben. Jedenfalls hat man diesseits der Grenze zu den Orklanden die noch nie gesehen, Krieger aber zuhauf.«

      Die Sache mit dem Kampfzauber und dem Ring war in ihrem Entsetzen über den Tod der orkschen Kindersoldaten gar nicht bis in ihr Bewusstsein vorgedrungen. Sonst hätte sie ihn ausgefragt, was es mit der Magie auf sich habe. Er hatte sie gestern Abend und heute kurz nach ihrem Aufbruch nur als Teil der Naturgesetze angerissen, aber nicht weiter beschrieben.

      Die Lust auf ihn war ihr nach seiner Schilderung, wie er die wehrlosen, jungen Orks überfallen und abgeschlachtet hatte, vergangen. Sie schauderte. Sie fragte sich, wie sein im Grunde umgängliches Verhalten und seine Kaltblütigkeit zusammenpassten.

      5.

      Irgendwann waren sie zu dem Schluss gekommen, aufbrechen zu müssen.

      »Bis zum Abend schaffen wir es zu einem Wald, dessen Bäume uns guten Schutz vor wilden Tieren, Räubern und vielleicht Orks bieten. Man kann ziemlich leicht hinaufklettern, und das Laub verhindert, dass man von unten gesehen wird. In den Astgabeln haben wir gute Schlafplätze. Lass dich überraschen! Solche Bäume hast du noch nie gesehen.«

      »Ich bin noch nie auf einen Baum geklettert. Und du sprichst sicher nicht von Astgabeln in Schulterhöhe, sondern wohl ganz oben!«

      Gut gelaunt nickte er ein paar Mal.

      »Vertrau mir! Es wird einfacher, als du denkst.«

      Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich darauf zu verlassen, dass er nichts von ihr verlangte, das sie nicht schaffte. Oder er würde ihr helfen.

      Der Nachmittag verlief ohne nennenswerte Ereignisse.