12 fette Frauen. Cathrin Sumfleth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathrin Sumfleth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774965
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Ich bin mir nicht einig, ob ich das Schreiben öffnen soll. Ich will die verdammte Kündigung einfach nicht sehen. Vermutlich hat Naughty Nord einen total unverschämten Kündigungsgrund aufgeführt und ein absolut unmögliches Arbeitszeugnis beigefügt. Ich lehne mich zurück und nehme einen Schluck aus der Flasche. Innerlich rege ich mich immer noch über Sven auf. Seine überfreundliche Art und dann dieser gemeine Trick mit dem Abo. Als würde ich nicht wissen, dass etwas Sport mir guttun würde. Es ist einfach nur dieses falsche Lächeln, das in mir Aggressionen auslöst. Soll er doch einfach sagen: „Frau, du bist zu dick – tu was!". Das wäre wenigstens ehrlich. Er erinnert mich an meine ehemaligen Kita-Kolleginnen, die die Kinder selbst für ein großes Geschäft gelobt haben und dabei so authentisch waren, als würden sie sich wirklich freuen. Kein Applaus für Scheiße, denke ich und lache leise vor mich hin, weil der Gedanke ungewollt viel zu passend ist, nehme noch einen Schluck, lache über das Wort „Gymeinde" und frage mich, wer sich das wohl ausgedacht hat. Und ob er dabei besoffen war. Und ob er lachen musste. Ein bisschen Sekten-Charakter hat es ja schon. Vermutlich muss ich mir nun neue Sportsachen kaufen, ich kann ja wohl kaum in meinen alten Bandshirts trainieren gehen – und andere T-Shirts hab ich kaum. Ich bin eher der Blusen-Typ, da kann man auch mal den einen oder anderen Knopf offen lassen und Bauchspeck kompensieren. „Gymeinde". Ich will nicht an der Brust abnehmen. Ich seufze. Can't touch this! Na na na na. Carmen ruft an. „Paula, Rami und sein Kumpel trinken jetzt hier im Laden. Ich geh schnell heim, dusche und komme dann vorbei. Ich beeil mich. Okay?" „Lääääuft!", sage ich. „Trinkst du etwa schon?" Ich betrachte die Flasche in meiner Hand. „Neeeheee. Ich geh jetzt auch duschen. Bis gleich!" Keine 45 Minuten später klingelt Carmen an meiner Tür. „Wie macht sie das nur?", frage ich mich, als ich in Handtuch und Birkenstocks die Tür öffne. Top geschminkt und gestylt huscht sie an mir vorbei. „Ich habe Vinoooo dabei! Einen neuen Primitivo für dich! Haha." „Äh, danke", sage ich, "einer von vielen in meinem Leben – aber gleichzeitig auch mein Liebster. Schenk doch schon mal ein, ich zieh mir kurz was über." Da Carmen so gut vorgelegt hat, entscheide ich mich für ein schwarzes Kleid mit einer cremefarbenen Bluse – und nicht für Jogginghose und Hoodie, wie ursprünglich geplant. „Ist das deine Kündigung?", ruft sie von nebenan. „Ja", schreie ich zurück. „Du hast sie ja noch gar nicht aufgemacht!" Frisch bekleidet gehe ich rüber in die Küche, setze mich zu Carmen und nippe am Primitivo. Sie hält den Umschlag mit dem NordMedia-Adressstempel in den Händen. „Mach ruhig auf!", sage ich zu ihr. Das lässt sie sich tatsächlich nicht zwei mal sagen. Wie ein Kind an Weihnachten reißt sie den Briefumschlag auf und faltet hastig das Dokument auseinander. „Ah. Lies bitte erst mal leise", sage ich. „Wenn er nur mit obszönen Beleidigungen um sich geworfen hat, dann will ich es gar nicht wissen." Ich fühle mich nicht bereit dafür und blende Carmen und meine Kündigung für eine Sekunde aus. Sie versinkt in dem Text und ich trinke noch einen Schluck Wein und denke an die Krätzer-Wohlbergs. Und Latifa. Und an Elfriedes Apfelkuchen. Dann frage ich mich, ob Clausen seine Frau erneut von sich begeistern konnte und ob er ab morgen ein anderer Mensch sein wird. Jemand ohne Flecken in der Kleidung, der nach Weichspüler riecht, anstatt nach Zigarillo. Jemand mit allen Knöpfen am Trenchcoat. Jemand, der nicht am Stehtisch an den Landungsbrücken Fast Food isst, sondern zu Hause die gutbürgerliche Küche seiner Frau genießt. Ich stelle sie mir zu zweit in einer rustikalen Küche sitzend vor, wie sie einen edlen Wein schlürfen und sich gegenseitig von ihrem Tag erzählen, im Radio läuft Slow-Jazz. Ich muss schmunzeln. Da reißt Carmens schrille Stimme mich aus meinen Tagträumen: „Das ist gar keine Kündigung!" Liebe Paula, es tut mir leid, dass ich dich in einem emotionalen Moment einfach gefeuert habe. Ich habe mich gehen lassen, das war sehr unprofessionell von mir. Auch wenn wir Fit Shake wohl nicht für NordMedia begeistern konnten, hätte ich deine Expertise nicht vor allen in Frage stellen dürfen. Ich hätte überhaupt nicht in einem solchen Tonfall mit dir reden sollen. Du bist eine hervorragende Art Direktorin und dein Gespür für Text ist exzellent. Als Geschäftsführer von NordMedia wäre ich ein glücklicher Mann, dich in meinem Unternehmen halten zu können. Da ich dich lediglich verbal entlassen habe, ist die Kündigung ohnehin unwirksam. Nimm dir gern den Rest des Monats, um die Option deiner Rückkehr in Erwägung zu ziehen. Du wirst natürlich weiterhin bezahlt. Dein Gehalt können wir generell gern nachverhandeln, wenn du dich weiterhin für NordMedia entscheidest. Bitte melde dich, sobald du dieses Schreiben erhalten hast. In einer persönlichen Sache würde ich dich gern recht zeitnah sprechen, deine berufliche Entscheidung ist davon vollkommen unabhängig und hat Zeit. Nicolas Nord (Geschäftsführer) Auf das Geschäftsführer hat er trotz allem nicht verzichten können! So ein PIMMEL!", rufe ich und bin überrascht von mir selbst. „Paula!", sagt Carmen mahnend, „dieser Text klingt fast so trüb, als hätte er geweint, als er ihn geschrieben hat." „Ach was, iwo! Weinen. Damit hat der nix am Hut", ich bin wütend. Und ich weiß nicht mal wieso. Ich würde gerade einfach lieber die Kündigung in meinen Händen halten. „War klar, dass die eigentlich nicht auf dich verzichten können", sagt Carmen. „Eben", sage ich. „Das ist auch schon der einzige Grund. Rein wirtschaftlich." „Hm", macht Carmen. „Und die persönliche Sache? Deine Schwangerschaft?", sie prustet ins Weinglas. „Wahrscheinlich." Ich trinke noch einen Schluck Jägermeister. Carmen reißt mir die Flasche aus der Hand. „Deine fachliche Expertise entbindet dich jetzt auch schon von der Verwendung von Schnapsgläsern, oder was? Ekelhaft!" Sie nimmt auch einen Schluck aus der Flasche. Dann schweigen wir eine Weile. „Eigentlich ist es gut", sagt sie. „Du wirst noch bezahlt. Fürs Nachdenken. Hinschmeißen kannst du Ende des Monats immer noch. Und den ganzen Amt-HickHack kannst du dir so auch erst mal sparen." „Hm", mache ich. Sie lehnt sich an meine Schulter. „Gehen wir morgen wieder zum Sport?" „Auf gar keinen Fall." Clausen holt mich am nächsten Tag um 14 Uhr mit dem Dienstwagen ab. Trotz Kater von Jägermeister und Primitivo habe ich heute Morgen schon die komplette Wohnung geputzt und fühle mich gut. Eventuell war es doch psychologisch wertvoll, gar nicht gefeuert worden zu sein. Meine Küche funkelt und glänzt und endlich kann man wieder guten Gewissens barfuß laufen. Ich werfe die Birkenstocks in die große Mülltonne vor dem Haus, bevor ich ins Auto steige. „Moinsen, Clausen!", trällere ich. „Was ist denn mit Ihnen los?", er guckt mich irritiert aus seinen kleinen Knopfaugen an, „Frisch verliebt oder was?" „Kein Stück!", sage ich, „Restalkohol vermutlich." „Oder es ist gerade das Nicht-Verliebtsein. Der Boden der Tatsachen ist ein schöner Ort." „Oha! Sind Sie heute etwa theatralisch unterwegs? Wie war's gestern?" „Der Grund für das Essen hatte gar nichts mit uns zu tun. Also, nicht im eigentlichen Sinne. Unser Sohn kommt bald zurück nach Hamburg ... und da sie bei sich eine verrückte Hippie-WG gegründet hat, wollte sie mich nur kurz darüber in Kenntnis setzen, dass er dann bei mir wohnen wird. Als wäre er 12. Verrückt ist sie, die Alte. Mein Sohn und ich haben schon vor Wochen abgesprochen, dass er zuerst bei mir wohnen und sich dann eine eigene Wohnung nehmen wird", er seufzt. „Stunden hat sie gebraucht, um mir diesen Sachverhalt zu erklären. Stunden. Das Telefonat zwischen meinem Sohn und mir hat 30 Sekunden gedauert." Er schüttelt den Kopf. „Entschuldigung, ich merke, wir Frauen sind mitunter offenbar wirklich etwas langsam ... Aber ich komme gerade nicht darüber hinweg, dass Sie einen Sohn haben." Er lacht. „Wollen Sie mir in einem knappen 3-stündigen Monolog verraten, was genau Sie daran verwundert?" „Ungefähr alles", lache ich. Er zieht eine Augenbraue hoch. „Okay, ich muss sagen, er ist nicht mein biologischer Sohn. Meine Frau war schon damals ... nicht ganz dicht. Also, liebenswert, aber ein Hippie eben. Sie war schwanger, als wir uns kennenlernten. Trotzdem: Ich war vom ersten Tag an sein Papa", er lächelt ein stolzes Lächeln. „Und die Ernährung, die hat er auch von mir, haha! Sie werden sehen", er lacht ein tiefes Lachen. Und das erste Mal merke ich ganz bewusst, dass er etwas unglaublich väterliches an sich hat. Clausens Sohn. Ich bin gespannt. „Also werde ich ihn kennenlernen?", frage ich. „Na, selbstredend! Er arbeitet zur Zeit in Berlin und lässt sich nach Hamburg versetzen – Morddezernat, auch wie der Papa. Mein Sohn wird also quasi ihr neuer Kollege. Ich gehe ja bald in den Ruhestand und ohne einen Clausen kann ich den Laden nicht zurücklassen." Er ist richtig redselig heute. „Sie werden sich mit ihm verstehen, wissen Sie, Sie erinnern mich ein bisschen an ihn, manchmal." „Oh! Clausen! Sie wollen mich doch nicht etwa mit Ihrem Sohn verkuppeln?" Ich verdrehe die Augen. Mit gespielter Empörung sagt er: „Ich bin nicht sicher, ob meine Familie für eine