12 fette Frauen. Cathrin Sumfleth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathrin Sumfleth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774965
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nicht die Jugend von heute bin, folge ihr aber auf Schritt und Tritt, bis wir am Empfang des Fitnessstudios stehen. Als ich mich so umsehe, entdecke ich tatsächlich so ziemlich jeden Menschentypus, von Hausfrau bist Hulk. Ein ziemlich drahtiger Mensch in Uniformierung des Studios unterhält sich bereits mit Carmen, während ich meinen Blick noch schweifen lasse. Als sie mich in die Seite boxt, bemerke ich, dass er auch schon länger auf mich einzureden scheint. „Ich bin Alex, freut mich, dass ihr hier seid!", er streckt mir die Hand entgegen. „Paula", sage ich und bin genervt und etwas eingeschüchtert zugleich. Ich setze meinen Rundumblick fort und bleibe unbewusst am Hintern einer Blondine hängen, die gerade im offenen Bereich auf dem Laufband joggt. Alex Blick haftet immer noch auf mir. „Habt ihr euch bestimmte Ziele gesteckt?", fragt er. Carmen redet wie ein Wasserfall. Sie ist wirklich motiviert und hat viele Ideen für ihr Training. Die richtige Mischung aus Ausdauer-und Krafttraining - für Muskelaufbau und schlussendlich natürlich auch Gewichtsreduktion. Eventuell sogar eine Ernährungsumstellung, nur halt recht ungern am Wochenende, aber da müsse man halt mal sehen. Die Blondine hat einen tollen Po. Carmen schlägt mich erneut. „Und du?", fragt Sven, (oder wie hieß der jetzt?) mich. „Was auch immer sie macht", sage ich. Er lacht. „Gut, dann geht euch doch kurz umziehen und wir legen in 10 Minuten los." Carmen schießt raketenartig in Richtung Umkleidekabine. Ich trotte hinterher und zucke mit den Achseln. Der Trainer grinst mich amüsiert an. „Arme dicke Frau", denkt er sich bestimmt. Na ja, genau genommen denke ich ja das selbe. Also grinse ich zurück. In der Kabine bewundere ich die nackten Körper der anderen Frauen, während ich eigentlich nur meine Sportschuhe wechsle. Man bekommt hier Körperteile zu sehen, die man nie hatte sehen wollen. Es ist fast wie an einem FKK-Strand und ich frage mich, ob die Leute einfach generell so gern nackt sind oder es hier einen geheimen Codex gibt, der besagt „Präsentiere dich voller Stolz, egal ob du zurecht stolz bist oder nicht". Ein junges Mädel betrachtet die Cellulite an ihrem Po im Spiegel. Ihre Freundin wirft ebenfalls einen kritischen Blick darauf und sagt dann: „Ist echt schon viel besser geworden". „Ja, oder?", antwortet das Mädchen lächelnd. Sie freuen sich gemeinsam. Carmen steht schon bereit, ihr Handtuch lässig über die Schulter geworfen. Sie sieht aus, als wäre sie genau am richtigen Ort, als würde sie schon nach fünf Minuten dazugehören. Ich hingegen hatte sogar bei meiner Kündigung ein angenehmeres Gefühl. Aber mir bleibt keine Wahl: Ich greife nach Trinkflasche und Handtuch und schlurfe zur Tür in Richtung Weltuntergang. Äh, Cardiobereich, meine ich. Aber es riecht ein wenig nach Weltuntergang … und Schweiß. Sven wartet dort schon lächelnd auf uns. „Fuckface", denke ich. "Blödes, makelloses, Zahnpastalächeln-tragendes Fuckface. Drück noch einmal beim Winken deinen Bizeps so raus und ich werd richtig sauer." Er beachtet Carmen gar nicht, grinst mich so an, als würde er mich damit ganz gezielt verletzten wollen. Weil er mir ansieht, wie unsportlich ich bin. Weil er genau weiß, dass an seinem Körper kein Gramm Fett vorhanden ist und ich ihm das vermutlich noch einmal vor Augen führe. Also klopft er sich innerlich sicher gerade auf die Schulter und macht sich im Kopf schon den nächsten Eiweiß-Shake. „Komm Paula, ich hab dir den besten Crosstrainer freigehalten. Das ist ein ganz neues Modell. Hier Carmen, du gehst auf den genau daneben. Und dann macht ihr ein 15-minütiges Warm-Up, ganz entspannt, … Guck", er stellt den Crosstrainer auf eine niedrige Stufe ein, „das reicht vollkommen. So kann man dabei auch noch quatschen." Er macht die Einstellung auch bei Carmen. Dann lächelt er mich wieder an. „Ich hol euch dann gleich wieder ab, dann machen wir ein bisschen Krafttraining." Und weg ist er. „Er ist nett, oder?", grinst Carmen mich an. Nett, pft. „Hmmm!", mache ich. Dann erzählt Carmen ein paar neue Geschichten aus dem Klönschnack. Die Stammkundschaft dort ist einfach auf eine kuriose Art und Weise total entzückend. Neben den ganz klassischen Alkoholikern, Kettenrauchern und Kaffee-Junkies kommt zum Beispiel auch Isolde jeden Tag in den Kiosk. Sie ist Rentnerin, spaziert morgens mit ihrem Chihuahua Pfiffi durch Altona und erreicht immer um Punkt 9 Uhr den Klönschnack. Dann kauft sie eine Banane, eine Schrippe und eine MoPo. Jeden Tag. „Heute", erzählt Carmen, „war sie spät dran, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Und jetzt rate mal, was los ist?", „Was?", frage ich gespannt. „Pfiffi ist schwanger!", quietscht Carmen. „Wow", sage ich, „ich wusste bis jetzt nicht mal, das Pfiffi ein Mädchen ist!" „Ja! Und gefühlt ist Pfiffi auch schon 100 Jahre alt!", ergänzt Carmen. „Es ist nun mal nie zu spät für die Liebe", lache ich. „Wenn selbst Pfiffi das hinkriegt, gibt es auch für dich noch Hoffnung", johlt Carmen, "... immerhin siehst du nicht aus wie ein Chihuahua!" „Haha, zumindest ein Punkt, den ich für mich verbuchen kann", lache ich, „Chihuahuas sind wirklich die hässlichsten Hunde der Welt. Ich mein, sie können ja nichts dafür, aber selbst wenn ich mich auf diesem Fitnessgerät fühle wie ... na, wie dieser Sport-Hippo, den es früher bei Kinderüberraschung gab, weißt du noch? Also, trotzdem möchte ich mich auf keinen Fall mit Pfiffi vergleichen müssen." Carmen lacht. „Paula, du bist so oberflächlich! Sie hat sicher einen guten Charakter." „Aber ob der so gut ist, dass er fünf neue Chihuahuas auf diesem Planeten rechtfertigt?" „Haha, wenn du weiter so gehässig bist, dann schenke ich dir einen von Pfiffis Welpen zum Geburtstag!" „Carmen! Wenn du mir zu meinem dreißigsten Geburtstag einen Chihuahua schenkst, dann ..." „Igitt, Chihuahuas!", auf einmal steht Sven neben mir. „Hey Alex", ruft Carmen ihm entgegen. Ach, verdammt: er heißt Alex. „Man fragt sich immer, was die für eine Daseinsberechtigung haben, oder?", Sven, der eigentlich Alex heißt, lacht sein schönstes Zahnpasta-Lachen. Innerlich verdrehe ich die Augen und möchte auf einmal lautstark mit Chihuahuas sympathisieren. Nur, weil sie nicht so trainiert und adrett sind wie er ... „Gefällt dir der Crosstrainer, Paula?", möchte er wissen. „Joa", sage ich, „ich hatte schon bessere Momente in meinem Leben, ... aber auch schlechtere." „Okay", sagt er, „Das ist doch schon mal ein Anfang! Dann schauen wir jetzt mal, ob du vielleicht beim Krafttraining den Spaß deines Lebens haben wirst" und fügt lachend hinzu: „Ich werde mir jedenfalls Mühe geben, also kommt mal mit." Carmen hastet ihm hinterher. Ich klettere langsam vom Crosstrainer und blicke mich um: überall schwitzende Menschen. Kleine, Dicke, Dünne, Große, Trainierte – und ich, der Fitness-Hippo in der Mitte. Sven, der eigentlich Alex heißt, dreht sich zu mir um: „Alles okay, Paula?" „Ja, ja ... Bin ja schon unterwegs. Also, schon ist gut, aber ich bin unterwegs." „Alles gut", sagt er. „Ich bin auch immer so drömelig", und lächelt. Genau, denke ich, drömelig bei der dritten Runde um die Alster – oder was? Und ärgere mich kurz über mich selbst. Sven gibt sich wirklich Mühe. Ich tapse ihm und Carmen hinterher. Ihre blonde Löwenmähne hat sie zu einem Zopf gebunden, das bunte Sportoutfit steht ihr gut. Sie würde eine hübsche Tennisspielerin abgeben, aber auch auf der Beinpresse macht sie sich hervorragend. Mit ihrer freundlichen, offenen Art kompensiert sie einfach jedes Kilo, das sie zu viel hat. Als ich an der Reihe bin, entschwindet mir der Rest an Freundlichkeit, den ich für den heutigen Tag noch in petto hatte. Die Beinpresse ist mein Feind. Ich fühle mich, als hätten bei mir, ganz ohne Schwangerschaft, die Wehen an der falschen Körperstelle eingesetzt. Ich möchte einfach nur nach Hause. Nach dem Training klopft Sven mir auf die Schulter. „Richtig gut gemacht!" Dann zückt er, zur großen Überraschung, unsere brandneuen „Gymeinde Altona"–Mitgliedsausweise und wendet sich an Carmen: „Für all die netten Gespräche im Klönschnack geht eure Mitgliedschaft aufs Haus." „Whoa!", sie ist ganz außer sich vor Freude und fällt ihm um den Hals. „Danke Alex! Das ist ja klasse. Echt, vielen Dank!" " „Danke!", murmle ich und versuche zu lächeln. Gymeinde. Auch wenn es ein Wortspiel ist und ich die meisten Wortspiele, vor allem die schlechten, großartig finde, ruft dieses Gratis-Abo einfach nichts Positives in mir hervor. Es ist, als hätte ich versehentlich beim Fit Shake-Gewinnspiel mitgemacht und gewonnen. Es ist die Art von sozialer Verpflichtung, die ich nie wollte. Ich bin nun Teil der Gymeinde. Ein teures Fitness-Abo geschenkt zu bekommen und einfach nicht hinzugehen ist nämlich keine Option – Sven weiß das genau. Er lächelt selbstgefällig. Carmen jubiliert. Ich brauche einen Schnaps. Meine Beinmuskulatur brennt. Als ich endlich zu Hause angekommen bin, fällt mir das Schreiben meines Chefs wortwörtlich wieder in die Hände. Ich hatte es vor meiner Spätschicht im Nachtlicht einfach im Flur liegen lassen und reiße es versehentlich mit meiner Sporttasche von der Kommode. Seufzend hebe ich es auf und setze mich mit dem Umschlag und einer Flasche Jägermeister aus dem Klönschnack in der Küche aufs Sofa. Carmen wollte eigentlich noch mitkommen, aber dann musste sie doch spontan für Rami einspringen, dessen bester Freund