Автор: | Cathrin Sumfleth |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783742774965 |
einen deutschen Schlager nach dem anderen an. Ansonsten ist das Nachtlicht leer – abgesehen von Carmen, den Jungs und mir. Ich bin in Gedanken, als einer von Svens Kumpels zu Carmen sagt: „Alles klar, dann lass uns los." Sie wollen sich zu dritt ein Taxi teilen, die beiden wohnen wie Carmen in Altona. Sven doch eigentlich auch? „Wo musst du hin?", frage ich ihn. „Na, zu dir!", sagt er. „Ähm. Nein?!", patze ich ihn an. Er lacht nur. Warum verdammt noch mal lacht er? „Tschüüüüss", Carmen und Svens Kumpels winken uns noch einmal zu. Nein, will ich schreien. Neiiiin, Carmen, lass mich nicht hier zurück, aber sie ist zu betrunken und viel zu schnell durch die Tür. Ich seufze. „Also, mal im Ernst ... wo musst du hin?", frage ich noch einmal. „Nach Bahrenfeld", sagt Sven. "Okay, ... ich auch. Also, wir nehmen gleich auch ein Taxi. Ich sag kurz den Herren Bescheid, dass wir schließen." Das mache ich auch, dann räume ich die letzten Flaschen weg und schmeiße die Schnapsgläser in die Spüle. Er grinst mich über den Tresen an und zieht eine Augenbraue hoch. „Was?!", frage ich ihn. „Ich wohne gar nicht in Bahrenfeld. Du aber schon, hihi." Ich stöhne laut. „Sven, ganz im Ernst: Wenn du meinst, du musst heute noch so dringend einen wegstecken, dann ruf doch eine von deinen Notfallkontakten an, hm. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du keine Anwärterinnen auf der Liste hast." Er wirkt kurz tatsächlich etwas vor den Kopf gestoßen. Die Wahrheit ist nun mal hart, denke ich. Dann sammelt er sich und sagt: „Notfallkontakte? Dein Ernst? Du denkst, ich bin so einer?" „Äh. Hast du mal in den Spiegel geguckt? Klar denke ich das." Unbeeindruckt spüle ich ein paar letzte Schnapsgläser. Er schüttelt den Kopf und sieht fast ein bisschen traurig aus, so aus dem Augenwinkel heraus. Ich schaue von der Spüle auf und merke, dass mein Puls auf einmal in die Höhe schießt. Was sage ich da eigentlich für gemeine Dinge zu ihm? Und wieso? Er lässt die Schultern hängen. „Entschuldige", sage ich und mein Herz pocht in meiner Brust. Die Rollen sind hier gerade komplett falsch verteilt. Der oberflächliche Mensch, der andere nach ihrem Äußeren beurteilt und sie dann in eine Schublade einsortiert, der bin auf einmal ich. Ich mache mit ihm genau das, was andere Leute mein Leben lang mit mir gemacht haben. Das sage ich ihm auch. „Es tut mir leid, Sven." „Alex", sagt er. „Es tut mir auch leid, dass ich deinen Namen nicht auf die Reihe kriege. Ich habe eigentlich gar kein schlechtes Namensgedächtnis." „Es sind also nur die Namen von Fitnesstrainern, die du dir nicht merken kannst?" „Hm, nein, nicht mal das. Ich kann mir nur deinen Namen nicht merken." Er grinst, ganz unerwartet. „Solange du mich Sven nennst und nicht ... Jochen oder so." „Oder Eberhard." „Oder Vitali." „Vitali würde auch zu dir passen." „Weil ich so vital bin?" „Genau!" Er lacht. „Ich trinke eigentlich auch gar keinen Schnaps." „Nein?" „Nein." „Und Bier?" „Nein." „Nein?!" „Nur Eiweiß-Shakes." „Pha!" „Okay, okay. Das war ein Scherz. Ich trinke Bier." „Gottseidank. Ich hatte schon kurz Angst, dass ich dich ins Krankenhaus bringen muss. Damit die deine Vitalfunktionen überprüfen." „Das sollten die eh." Er sieht mir etwas zu lange in die Augen und kommt immer näher. Ich drehe den Kopf weg. „Ich kann das nicht", sage ich. „Es liegt ... gar nicht an dir, also, wahrscheinlich nicht. Eher an meinem Ex, der gar nicht mein Ex war, meiner Kündigung, der angeblichen Schwangerschaft und an dem Mord an Carmens Mutter. Ein wenig sicher auch an Clausen und den 11 fetten Frauen, die wir zur Zeit verhören ... und ehrlich gesagt fühle ich mich ein bisschen wie DJ Dumpfbacke gerade." Er schaut mich erstaunt an. „Ooo-kay. Also, Paula, das ist zu viel Transferleistung für meinen Pegel. Vielleicht erzählst du mir das alles ganz in Ruhe?" „Jetzt?" „Klar." „Bei ... mir?" Er grinst doof. „Ich hab auch keine andere Wahl. In der Zwischenzeit hab ich 25 Notfallkontakte angeschrieben und keine von ihnen hat Zeit. Nötig hätt ich's jetzt aber schon." „Pha", mache ich. „Bekleidet natürlich!" „Natürlich, bekleidet. Komm!" Wir nehmen wirklich ein Taxi zu mir. Schon auf der Fahrt sprudeln die Worte nur so aus mir raus. Sven ist ein guter Zuhörer, vielleicht auch gerade, weil er insgesamt nicht so viel von sich preisgibt. Das fällt mir zwar auf, ich spreche es aber nicht an. Ich will ohnehin sowieso lieber selbst reden – und zwar ohne Punkt und Komma. Wir liegen in Klamotten auf meinem Bett und ich erzähle von Maria, meiner Jugend auf dem Land, meiner stets bevorzugten kleinen Schwester, meiner unvollendeten Karriere in der Kita, dem sinnbefreiten Kreativ-Studium, meinem egozentrischen Agentur-Chef, Said, meinem Goldfisch Waldi und dessen Beisetzung, von der Katzenfrau und schlussendlich von Clausen und seiner Vorstellung von einem guten Kartoffelsalat. „Dass man überhaupt Salat zu Kartoffeln in Mayo sagt. Das verstehe ich nicht. Aber ist es nun eine Beleidigung oder ein Kompliment? Salat ist ja nicht von sich aus besser, gesünder vielleicht, aber das muss ja nichts heißen." Dann schlafe ich ein. Als ich aufwache, ist Sven verschwunden. Ich seufze, bin irgendwie erleichtert und auch ein wenig traurig zugleich. Falls er wirklich an mir interessiert war, auf welcher Ebene auch immer, dann habe ich ihn spätestens mit meinem mehrstündigen Monolog abgeschreckt. Clausen hatte Recht: 30 Sekunden hätten vermutlich genügt. Und ich habe ihm mein Leben kurz und knapp in 30.000 wichtigen Fakten um die Ohren gehauen. Ich vergrabe meinen Kopf unter dem Kopfkissen. „Scheiße", murmle ich. „So eine Scheiße." Da höre ich eine Stimme. „Paula, du bist ja wach! Möchtest du auch einen frisch gepressten O-Saft?" „Nein, Kaffee", murmle ich und ziehe das Kopfkissen langsam von meinem Kopf. Da steht er tatsächlich in meiner Tür, strahlend wie eh und je mit einem Glas O-Saft in der Hand. „Vitali. Lass den Quatsch und mach mir Kaffee." Er lacht. „Probier halt wenigstens. Ich war extra beim Kiosk." Er stellt das Glas auf dem Nachttisch ab und hoppelt energetisch wieder in die Küche, wo ich nun die Kaffeemaschine höre. Ich schaue auf die Uhr. Erst 11 Uhr. Was stimmt nur nicht mit ihm? Wir waren doch mindestens bis 6 Uhr wach. Ich seufze, probiere den Orangensaft und verschlucke mich. „Vitaminschock?", er kommt mit einer Tasse Kaffee um dich Ecke, setzt sich zu mir aufs Bett und klopft mir auf den Rücken, bis ich mich beruhigt habe. „Hm, scheint so", brumme ich. „Gib mir lieber den Kaffee ... warum bist du eigentlich schon wach?" Er legt sich neben mich und streckt sich. „Ich muss um 12 Uhr arbeiten." „Igitt." „Ja, ich weiß." „Ich muss um 14 Uhr zu meiner Schwester. Ich glaube, ich sag ab." „Hm. Das klingt nach Luxus." „Kannst du nicht deine Schicht tauschen oder so was?" „Hab ich schon", sagt er kleinlaut. „Eigentlich hab ich am Wochenende immer die frühen Schichten." "Argh. Warum?", frage ich. "Na ja. Weil meine Angestellten die nicht unbedingt gern machen und ich mir Mühe gebe, ein guter Chef zu sein." "Du bist der Chef von dem Laden?" "Hätte ich euch sonst eine Gratis-Mitgliedschaft schenken können?" "Hm. Okay, macht Sinn." Ich bin schon ein bisschen beeindruckt, stelle den Kaffee ab und lege mich ebenfalls wieder hin. So als Untätige, die ihren Nachmittagstermin aus alkoholischen Gründen absagen wird, neben einem trainierten, hart-arbeitenden Founder-Typen zu liegen – irgendwie unangenehm. „Hast du gar keinen Kater?" frage ich ihn. Er dreht sein Gesicht zu mir, weil er merkt, dass ich ihn anstarre. Ich habe bei ihm ein paar kleine Lachfalten entdeckt, an denen ich mich aufhänge. Er hat Falten! Ha! „Doch, und wie." Seine Augen sind recht trüb, einige Äderchen sind geplatzt, er hat tatsächlich Augenringe und ... Poren. Eindeutig ein echter Mensch und keine Alien-Invasion, wie zuerst befürchtet. „Warum leidest du gar nicht?", frage ich ihn. „Hm?", macht er. „Na, du wirkst ganz zufrieden." „Bin ich auch ... also, mal abgesehen von den Kopfschmerzen." „Hast du auch so einen fiesen Schädel? Au ...", ich reibe mir eine Schläfe. „Ja. Verdammter Jägermeister. Aber weißt du, eine Frau hat mal zu mir gesagt, sie hätte kein Mitleid für Menschen mit geringem Körperfettanteil", er grinst. „Darum jammere ich lieber nicht." „Ha-ha", mache ich und bin zugegeben amüsiert. Verbal bewaffnet ist er ja – und auch ein bisschen charmant. „Ich hab übrigens nachgedacht", sagt er. Jetzt kommt's, denke ich, aber er spricht weiter: „Dieser Zeuge Jehovas, der bei Maria war. Der ist eigentlich eure beste Chance, also, euer einziger Verdächtiger! Und ihr müsst mit Nilüfer sprechen. Wobei ich irgendwie nicht glaube, dass jemand aus der Rommé-Runde Maria vom Balkon schubsen würde. Aber das ist natürlich nur so ein Gefühl." „Du weißt noch, was ich dir erzählt habe letzte Nacht?", ich ziehe ungläubig eine Augenbraue hoch. „Jedes Wort." „Es waren ziemlich viele Wort." „Das stimmt." „Willst du nicht ... vielleicht mal was über dich erzählen? Also, weil, ich fühl mich schon ein bisschen schuldig, dass ich dich einfach so zugetextet hab." „Nein. Alles gut." „Also, du kannst aber gern auch was über dich erzählen, ich höre gar nicht so schlecht zu, wie es rüber kommt", biete ich an. Er lächelt. „Danke, Paula. Vielleicht