12 fette Frauen. Cathrin Sumfleth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathrin Sumfleth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774965
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manchmal einfach auf etwas einzulassen. Auch mit Raum-Karma kennt sie sich aus. Also falls wenn Sie da mal 95 simple Tricks brauchen ..." Er brummt noch immer vor lachen, als wir erneut den Wohnkomplex betreten. Ich stelle mir vor, wie seine Frau wohl so wohnt. Sicher in etwa so wie Ulla. Clausen stelle ich mir in einer Junggesellenbude vor, 2 Zimmer. Im Schlafzimmer ein großes Bett, im Wohnzimmer ein fetter Fernseher auf einem Hocker und ein durchgesessenes Sofa. In der Küche ein Tisch mit 2 Klappstühlen, Aschenbecher und Whiskeyflasche bereitgestellt. Ich nicke mir im Stillen zu, während wir den Fahrstuhl betreten. Wir setzen heute im 9. Stock an. Schon im Hausflur riecht es nach Nag Champa-Räucherstäbchen. „Hat Ihre Frau hier ihre WG?", frage ich. „Ha-ha!", sagt er nur und flüstert: „Ich hasse diese indischen Raumverpester!", was das Bild von seiner Wohnung in meinem Kopf nur bestätigt. Eine dicke kleine Frau mit langen grauen Haaren öffnet uns die Tür. Gudrun. Gudrun Möller-Ruth. Nach der allgemeinen Vorstellungsrunde bittet sie uns freundlich hinein. Clausen rümpft die Nase, ich muss über ihn lachen. Dann wundere ich mich kurz, dass er mich überhaupt weiterhin dabei haben will. Ich fühle mich heute wie die unseriöseste Ermittlerin der Welt. Albern, aufgekratzt, unorganisiert. Wir befragen nun die vierte von elf Frauen. Die Einrichtung in Gudruns Wohnzimmer ähnelt der von Ullas Wohnung, nur dass es keine Katzen gibt. Gudrun schenkt uns einen grünen Tee ein und beginnt selbst mit dem Verhör: „Maria war eine gute Seele. Das letzte Mal habe ich sie beim Rommé-Spielen gesehen. Bei Ayse und Hatice, im fünften Stock." „Wirkte Sie verändert auf Sie?", fragt Clausen. „Um ehrlich zu sein, ja ... etwas beschäftigte sie", sagt Gudrun, „irgendwas aus der Vergangenheit. Sie war so ... abwesend. Hat ihren Einsatz verpasst. Ist auch als Erste aus dem Spiel ausgestiegen." „Haben Sie eine Idee, was es war?" „Vielleicht ihre Tochter? Die ist doch vor Jahren verschwunden. Jedenfalls ... Maria hatte immer deren Kette um. Ein goldenes J für Jennifer. Sie hat am Sonntag die ganze Zeit daran rum gespielt. Na ja. Es kann auch etwas anderes gewesen sein. Aber sie hatte so eine Aura ..." Ich frage mich kurz, ob Gudrun Ulla kennt. Vielleicht sollten sie sich mal mit Clausens Frau zum Auren-Lesen verabreden. Clausen hakt noch ein wenig nach. Ich probiere derweil Gudruns selbstgebackenen Dinkelkekse, die hervorragend schmecken. Als wir uns auf den Weg in den 8. Stock machen, nehme ich mir noch einen mit. Gudrun reicht Clausen zum Abschied die Hand, mir streicht sie kurz über die Schulter und sagt: „Mädchen, manchmal sind nicht die anderen das Problem. Sie müssen tiefer graben. Wer weiß, vielleicht finden Sie dabei mehr als nur einen toten Goldfisch." Schon hat sie die Tür hinter sich geschlossen. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Woher weiß sie von Waldi? „Scheiß Hippies", sagt Clausen. „Kommen Sie jetzt. Und schmeißen Sie diesen verdammten Dinkelkeks weg. Da ist sicher Marihuana drin." „Der schmeckt aber gut", schmatze ich und folge ihm die Treppe hinunter. Im 8. Stock wohnt Olga Worobjow. „Nachname kommt von Vogel: Spatz", erklärt sie, als wir in ihrer Küche sitzen. Sie hat einen starken russischen Akzent und wirkt bestimmt, aber sehr freundlich. „Zuerst, als wir gekommen Deutschland, ich habe immer gesagt Spast statt Spatz. Jetzt, ich sage auch noch Spast, aber nur für meine dumme Ehemann", sie lacht. „Möchten Sie Kaffee haben?", wir nicken, sie schenkt ein. Dann zündet sie sich eine Zigarette an und platziert den sauberen Aschenbecher in der Mitte des Tisches. Clausen holt, wie zu erwarten, die Zigarillos raus. Ich nippe an meinem Kaffee. Olga erzählt weiter. „Mein Mann ist Pawel. Er ist gute Mann, aber denkt nicht besonders schnell und lässt die meiste Geld bei Spielautomat", sie verdreht die Augen. „Maria hat immer gesagt, soll ich Pawel verlassen. Aber hab ich nicht übers Herz gebracht. Er ist wie kleiner Hund: Weiß einfach nicht besser. Immer kein Geld ist scheiße, weiß ich das, aber weiß ich auch, ohne Mann ist noch mehr scheiße." Sie lacht. Kenn ich, denke ich. Clausen nickt. Olga erzählt, dass Maria die erste Person war, die sie hier im Haus kennengelernt hat. Damals hat sie noch kaum ein Wort Deutsch gesprochen, außer Schnaps, Wurst, Kaffee und Arschloch. Es waren außer einer Matratze noch keine Möbel in der Wohnung, Pawel musste arbeiten und sie hat voller Tatendrang allein einen Sessel gekauft, den sie dann mit den öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren musste. „Leute haben geguckt als bin ich dumme Frau die bringt eigene Sitz mit in Bus." Vor dem Gebäudekomplex ist sie dann auf Maria gestoßen, die direkt mit angepackt hat. „2 dicke Frau und ein dicke Sitz, geht das besser." Um sich zu bedanken, hatte Olga am nächsten Tag mit einem traditionellen russischen Essen an Marias Tür geklingelt und über die Jahre war eine wirklich gute Nachbarschaft daraus geworden. „Von erste Tag hatte ich nichts von Sitz, weil immer Pawlowski seine dicke Po drauf gesetzt hat nach Arbeit. Aber hatte ich Maria. Sie war gute Frau. Und sie hatte immer in Zukunft geguckt mit Karten. Manchmal ich wundere, wo die gute Zukunft bleibt. Ich hatte auch bei ihr für gute Zukunft gehofft", sie schweigt und zündet sich noch eine Zigarette an. Die Zeugen Jehovas haben nie bei ihr geklingelt, auch wenn sie eigentlich immer zu Hause ist. Sie geht nicht gern raus, fühlt sich nicht wohl in Steilshoop. Meistens strickt sie Pullover und Socken für ihre Enkel in Russland, liest oder kocht. Die Karrierechancen hat sie sich besser vorgestellt, als sie nach Deutschland kam. Und das deutsche Essen auch. „Passt ihr gut auf euch auf, ja?", sagt sie zum Abschied und nickt uns zu. „Man weiß nie, was in Leben noch erwartet." Im Treppenhaus klingelt mein Handy. Es ist meine Schwester. „Paulaaa, na?", quietscht sie. „Hi, du, Marie, ich hab gerade keine Zeit." „Ich wollt nur kurz Bescheid geben, ... Mama kommt morgen auch." Das hatte ich ja fast vergessen - die Steuererklärung meiner Schwester. „Okay", sage ich knapp. „Guuuut, ich mein, dann weißt du Bescheid. Mama hat anscheinend irgendwas zu erzählen. Bestimmt hat Papa wieder irgendwas verbockt. Lol. Ich freu mich, dann bis morgen! Bussi!", und schon hat sie aufgelegt. Meine Schwester ist wirklich der einzige Mensch der Welt, der Dinge wie lol, *gg* und rofl laut ausspricht und es ernst meint. Seit der Anfangszeit des Internets lässt sie von Sternchensprache, sogar in gesprochener Form, nicht ab. Früher war das ja alles noch recht normal, heute ist es einfach eine Frage der Medienintelligenz. „Lol", murmle ich vor mich hin. „Was is?", fragt Clausen. „Nichts", sage ich schnell, „Meine kleine Schwester ..." „Ah ja", sagt er, "ich hab auch eine." „Clausen, Sie sind ein Mann mit einer unerwartet großen Familie", lache ich. „Ausgesucht hab ich mir das nicht", sagt er trocken. Verstehe ich. „Sie waren sicher immer der Held Ihrer kleinen Schwester." „War", sagt er, "das geht nie vorbei. An den meisten Tagen ist es furchtbar." Ich habe mir immer einen großen Bruder gewünscht. Eventuell hat sich aber nie ein großer Bruder mich gewünscht. Wie war das? Der Boden der Tatsachen: Hier bleibe ich heute. Im siebten Stock angekommen, hoffen wir darauf, Nilüfer anzutreffen. Angeblich hatte es ja, wie Elfriede erzählte, einen Streit zwischen Maria und ihr gegeben. Allerdings öffnet uns keiner. Clausen klingelt erneut. Dieses Mal habe ich das Gefühl, Stimmen im Flur zu hören. Aber es tut sich nichts. Clausen seufzt und drückt noch einmal auf die Klingel. Nichts. Er zieht die Schultern hoch. „Da Freitag ist, würde ich vorschlagen, wir fahren wieder." Er schaut auf die Uhr: „17 Uhr, ... reicht ja auch." „Mir egal", sage ich, „wie Sie wissen, bin ich ohnehin eine Untätige." Clausen lacht, „Genau genommen ist es schlimmer: Sie arbeiten unbezahlt während der Arbeitslosigkeit." Ich ziehe eine Augenbraue hoch: „Ganz genau genommen bin ich nicht mal arbeitslos, da meine Kündigung keine Kündigung war." Ich berichte Clausen vom Schreiben meines Chefs. Es amüsiert ihn sehr. „Wann erzählen Sie ihm, dass Sie gar nicht schwanger sind?", hakt er nach. Ich zucke mit den Achseln. „Keine Ahnung." „Nicht, dass er enttäuscht ist." „Enttäuscht? Der wird doch eher einen Luftsprung machen vor Freude", sage ich. „Den Gefallen will ich ihm gerade wirklich nicht tun. Der soll lieber noch ein paar Tage in sich gehen und über sein Leben nachdenken." „Pha!", macht Clausen. „Bestimmt ist er schon voller väterlicher Vorfreude auf seinen Spross. Glauben Sie mir, Paula! Jeder Mann auf dieser Erde will sich fortpflanzen, das ist reine Evolutionsbiologie!“ Ich verdrehe die Augen. „Sie spinnen, Clausen!" Wir stehen jetzt vor dem Gebäude, Clausen bietet mir einen Zigarillo an. „Auf ihre Nicht-Schwangerschaft!", lacht er. Ich grinse. „Irgendwie ist es tragisch. Tragisch-komisch. So wie mein Leben." „Was macht eigentlich DJ Dumpfbacke?", fragt Clausen. „Wer?" „Na, Ihr Roman!" „Ach ja, richtig! ... Na, das war eigentlich eher ein Scherz." „Sie sollten wirklich ein Buch schreiben, wissen Sie. Wer bekommt schon so viel Zeit geschenkt? Und falls Sie sich entscheiden, nicht in Ihren Job zurückzukehren, dann ... ja, dann haben Sie immerhin ein Buch geschrieben!" Er schmunzelt und scheint es ernst zu meinen. „Hm!",