Die Angst übermannte ihn und ließ ihn mit Tränen in den Augen aus dem großen, leeren, beängstigen Gemach flüchten. Doch als er die Tür zum hell erleuchteten Gang öffnete, drehte er sich noch einmal um, rannte auf nackten Sohlen zum Bett und schnappte sich ein Kissen – als Waffe oder nur zum Trost – und rannte dann hinaus, dem warmen Licht der Fackeln entgegen, die die ganze Nacht in den Fluren der Festung brannten.
Im Licht beruhigte sich sein rasender Herzschlag etwas, aber noch immer fürchtete er sich. Der Donner grollte über die nackten Wände, der Berg, auf dem die Festung stand, schien zu beben, es krachte und splitterte bei beinahe jedem Blitz, mal nah, mal fern. Die Wachhunde bellten und der Regen setzte überlaut ein, wie unheilvolle Trommeln, die immer schneller schlugen.
Er wollte nicht allein sein, seine kindliche Angst saß zu tief und er sehnte sich nach dem Schutz und der Wärme seiner Eltern.
Er rannte natürlich zuerst den Flur entlang zur Turmtreppe und hinauf zur Tür seiner Mutter. Natürlich eilte er zu seiner Mutter, wie es vermutlich jeder Junge getan hätte. Mit dem Kissen an der Brust, das fast so groß war wie er, blieb er jedoch unschlüssig stehen, statt zu klopfen. Er drehte langsam den Kopf über die winzige Schulter und blinzelte. Im Turm des Hexenzirkels war es finster, kalt und grabesstill, sodass der Donner noch lauter hallte als in seinen Gemächern. Die Blitze stachen durch die Buntglasfenster, als wollten sie dem Ungeheuer, das über die Festung gekommen war, den Standort des Jungen preisgeben.
Panisch wollte er in das Zimmer seiner Mutter stürmen, doch wie immer rannte er nur gegen eine verschlossene, schwere Tür. Sie öffnete auch nicht, als er mit einer Hand aufgebracht gegen die Tür schlug und nach ihr rief. Tränen rannen über seine zarten Wangen, aber seine Mutter erhörte seinen Ruf nicht.
Das hatte sie nie, sie brauchte Ruhe, um ihre Kräfte aufzufüllen, deshalb durfte er niemals nachts zu ihr ins Bett kriechen. Er sei ein Junge und müsse lernen, seine Angst zu besiegen. Trotzdem führte sein kindliches Herz ihn immer wieder zuerst zu ihr.
Der Turm wirkte bedrohlich, verlassen, der Junge kam sich unerwünscht vor, einsam. Wieder ließ ihn die Angst rennen, dabei stolperte er beinahe die Treppe des Turms hinab. Als er dieses Mal in das Licht der Flurfackeln tauchte, beruhigte er sich nicht. Aus irgendeinem unbestimmten Grund hatte er plötzlich Angst, ganz allein zu sein. Dass ihn seine Familie verlassen hätte. Dass seine Mutter vielleicht gar nicht in ihrem Zimmer war, sondern verschwunden, und sie deshalb nicht öffnete. Vielleicht waren sie vor dem Unwetter geflohen und hatten ihn vergessen. Furcht ließ ihn weinen und schneller laufen. Es war still, zu still, und die Festung wirkte bei Nacht noch riesiger und verwirrender als je zuvor. Er war drauf und dran, sich unter einer Fackel zusammen zu kauern und nach einer Wache zu rufen, die nachts die Treppenaufgänge bewachten.
Doch bevor seine Furcht ihn gänzlich übermannte, schafften es seine zitternden Beine, ihn zu der Tür seiner Väter zu tragen.
Sie war geschlossen, das wunderte ihn, sie war niemals geschlossen, sondern immer nur angelehnt. Aber eine Flut anheimelnden Lichts sickerte durch den Türspalt hervor. Er atmete erleichtert auf, er war nicht allein, seine Familie hatte ihn nicht einfach mitten in der Nacht verlassen.
Mit tränennassen Wangen stampfte er in kindlicher Manier auf die Tür zu und drehte den Knauf ohne zu klopfen.
»Vater…?«, begann er mit leiser, heller Stimme und spähte in den Raum hinein.
Das Kaminfeuer brannte wie frisch entzündet, überall standen Kerzen und fluteten den Raum, und die Samtvorhänge waren fest verschlossen. Natürlich waren sie das, seine Väter schlossen die Vorhänge immer richtig, es war die Frau, die ihm das Leben geschenkt hatte, die sie immer nur nachlässig zuzog, sodass das Mondlicht Schattenmonster an die Wände malen konnte, vor denen er sich jede Nacht vor dem Einschlafen fürchtete.
»Vater?«, hakte er nach, dabei bebte sein Stimmchen. Er öffnete die Tür noch weiter und suchte mit tränenverschleiertem Blick den Raum ab.
Sie waren im Bett. Zusammen. Aber sie schliefen nicht und sie bemerkten ihn auch nicht. Ihr amüsiertes Gelächter auf den Decken und ihr nacktes Gerangel übertönte den Sturm.
Der Junge erschrak sich und zog den Kopf zurück, mit hochroten Wangen zog er schnell die Tür zu. Er wusste nicht ganz genau, was sie taten, aber natürlich hatte er eine Ahnung, dass es nicht für seine Augen bestimmt war. Und dass sie gerade keinen Platz für ihn hatten.
Schon einmal hatte er sie gestört, als sie unbekleidet gekämpft hatten – so hatten sie es genannt. Doch damals hatten sie ihn bemerkt und zu sich geholt, doch irgendwie wollte er sie nicht noch einmal stören. Es war ihm peinlich, was er gesehen hatte. Unsagbar peinlich.
Aber immerhin waren sie da und ihr gedämpftes Gelächter war durch die Tür zu vernehmen, sodass er sich davor kauerte und das Kissen umarmte. Müdigkeit überkam ihn, als sich sein Herz etwas beruhigte. Falls die Monster zurückkämen, waren seine Väter jetzt zumindest ganz nah.
»Hast du Angst?«
Erschrocken sah er auf, als sich ein kleiner Schatten aus einer Nische löste. Sein Bruder trat hinter einer mannshohen Vase hervor und setzte sich neben ihn.
Riath nickte nur und grub die Nase in sein Kissen, weil er sich für seine Furcht schämte. Angst machte einen Mann schwach, sagte seine Mutter immer.
»Ich auch«, gestand Xaith und schürzte die Lippen. »Mutter sagt, ich solle es aussitzen.«
Riath sah ihn an. »Meine Mutter hat die Tür verschlossen.«
Xaith nickte. Er fummelte nervös an seinen Fingern, weil er kein Kissen hatte, an das er sich klammern konnte.
Eine Weile saßen sie so da, während der Sturm wütete und es im Zimmer ihrer Väter stiller wurde. Sie hatten sich selten etwas zu sagen, waren sich aber in diesem Moment seltsam nahe. May und Sarsar schliefen vermutlich bei ihren Müttern, Vaaks bekam vermutlich nicht einmal etwas von dem Sturm mit, denn nichts brachte ihn aus der Ruhe.
Aber sie… sie waren allein, wenn die Tür ihrer Väter geschlossen war.
Seltsamerweise war die Nähe zu seinem stillen Bruder tröstend. Riath wurde schläfrig, er musste gähnen. Und als aus dem Gemach hinter ihnen ein seltsames Klopfen ertönte, sah Xaith ihn an.
»Willst du in mein Bett kommen?«, fragte er und seine Drachenaugen leuchteten im Schein der Fackeln wärmer und anheimelnder als es jedes Kaminfeuer vermocht hätte.
Riath hätte vor Erleichterung beinahe eine Träne verloren, doch er nickte nur steif.
Sein Bruder nahm ihn an der Hand und zog ihn hoch, gemeinsam schlurften sie zu ihrem Flur zurück.
»Ich lasse einfach die Tür auf«, sagte Xaith, »dann vertreibt das Licht aus dem Flur die Schattenmonster.«
Normalerweise machten Riath und Xaith sich über die Ängste des anderen lustig, aber nicht in jener Nacht. Riath nickte nur stumm und drückte sein Kissen an sich. Xaiths Zimmer war kleiner und wirkte dadurch nicht so bedrohlich, weil man alles erkennen konnte. Es gab weniger finstere Ecken, in denen etwas Böses lauern konnte.
Zusätzlich zündete Xaith für Riath noch eine Kerze im Raum an, obwohl ihre Väter ihnen verboten hatten, Licht brennen zu lassen, wenn sie schlafen gingen, aus Furcht, etwas konnte Feuer fangen.
Erst als Xaith um ihn herum ging, krabbelte Riath auf das Bett und schlüpfte unter die warme Decke. Xaith legte sich zu ihm und sie rückten nahe zueinander. Riath zitterte trotzdem, als es lautstark donnerte.
»Hab keine Angst, Riri, gemeinsam sind wir stark. Kein Monster kann uns holen, wenn wir zusammen sind«, beruhigte Xaith ihn und strich ihm über den Kopf.
Selbstverständlich schmiegte Riath die Wange an die schmale Schulter seines