»Was machst du?«, fragte May.
Aber Sarsar hob nur eine Hand, um ihr zu bedeuten, dass sie schweigen sollte.
May sah Riath an, und sie zuckten beide mit den Schultern. Sie hatten jetzt keine Geduld, um sich mit ihrem wunderlichen Bruder rumzuschlagen. Magie war ohnehin nicht ihr Metier, und Sarsar würde sie ohnehin nicht einweihen, das tat er nie. Der Einzige, mit dem er über Magie sprach, war Xaith, aber dieser kümmerte sich gerade nicht um das, was Sarsar tat.
Riaths grüner Blick wanderte wie von selbst wieder zu dem frischen Liebespaar auf der Fensterbank, man konnte förmlich riechen, wie sich die zarte Blüte der Liebe zwischen ihnen entfaltete. Die Angst um ihren Vater brachte sie näher zusammen, als Riath lieb war.
Er lehnte sich wieder zurück, verschränkte die Arme vor der massigen Brust, sodass die helle Seide spannte, und schloss die Augen. Kaum waren seine Lider zugefallen, sah er wieder dieses grüne Schimmern vor sich. Diesen ansehnlichen, hübschen Rücken mit dem anmutigen Schwung, in der Taille fast so schmal wie ein Weib, aber die Schulterblätter eines Mannes. Und natürlich diese dunkelgrünen Schuppen, die wie mit Diamantstaub bestäubt glitzerten. Und dann diese großen Augen, die ihn befürchtend über die Schulter hinweg angesehen hatten, leuchtend, frostblau, im silbrigen Licht des Mondes…
Allein die Erinnerung an diesen Burschen ließ sein Innerstes vibrieren und war eine hervorragende Ablenkung von allem anderen. Von Xaiths und Vaaks` offensichtlicher Zuneigung, und von der Angst um seinen Vater. Nur ein Gedanke an diese schimmernde Rückseite, und er konnte nur noch daran denken, wie sie sich wohl anfühlen würde.
»Ich weiß, wo er ist«, sagte Sarsar plötzlich mit ernster Miene. »Ich weiß, was geschehen ist.«
Riath öffnete die Augen und schnaubte. »Und das hat dir eine Weinpfütze gesagt, ja?«
Mit einem schneidenden Blick sah Sarsar ihn an. »Einem Troll kann man nicht erklären, wieso der Regen fällt.«
Riath runzelte zugleich verwirrt und wütend die Stirn. Verdammt, er hasste es, wenn Sarsar solche Sachen sagte, er verstand sie einfach nicht.
»Und warum hast du das erst jetzt gemacht, Lord Schlauberger?«
»Weil ich nicht wusste, ob die Alten Götter mich erhören und ich Wexmell keine falschen Hoffnungen machen wollte«, konterte Sarsar schnippisch. Er wandte sich an Xaith, der ihn neugierig beobachtete, und verkündete erleichtert: »Es geht ihm gut! Vater lebt!«
Kapitel 4
Es war der Geruch, der ihn letztlich aus der tiefen Schwärze zog. Ein Geruch, der ihm eigentlich fremd war und doch eine zutiefst vertraute Note transportierte, die in seine Nase stieg, um all seine Sinne zu wecken. Das erste, was er fühlte, war Sehnsucht und Traurigkeit, die ihn so heftig wie ein Wirbelsturm überkam und ihn stöhnen ließ. Für einen Moment kam er sich wie in der Zeit zurückversetzt vor. Dieser Geruch… er war so vertraut und löste das höchste allen Sehnens in ihm aus. Sein Herz war hin- und hergerissen zwischen freudiger Aufregung und schmerzhaftem Zerreißen.
Er spürte, wie sich sein Körper von selbst auf den Rücken drehte, der Boden war hart und seine Kleidung fühlte sich nass und klebrig an. Blinzelnd versuchte er, die Augen zu öffnen, warmer Sonnenschein stach ihm in die Pupillen und seine schwarzen Wimpern waren verklebt. Etwas lief ihm in die Augen und er schloss sie wieder schmerzvoll. Stöhnend rieb er mit Daumen und Zeigefinger die brennende Flüssigkeit von seinen Lidern.
Als nächstes nahm er neben dem Geruch auch Geräusche wahr. Ein pfeifender Wind, wie er nur auf einem Berggipfel wütend zischen konnte, und leises Stimmengewirr, das nach und nach immer lauter wurde, weil er immer mehr Bewusstsein erlangte.
Ein Schatten fiel über ihn und er zwang die Augen auf, während er in seinem langsam erwachenden Verstand nach Erinnerungen wühlte.
Das Gesicht, das über ihm schwebte, klärte sich nach einigem Blinzeln. Und es war ihm nicht fremd, ganz und gar nicht. Der andere legte den Kopf schief und lächelte zurückhaltend, als sei er ein verängstigtes Kind, das er nicht verschrecken wollte.
»Ich muss tot sein«, sagte Desiderius rau und streckte seine Hand nach dem Gesicht aus, um es sanft zu berühren. Beinahe wäre er zusammengezuckt, als er die lebendige Haut unter seinen Fingerspitzen spüren konnte. Fassungslos strich er über die Wange zu dem warmen Mund, über den lebendiger Atem floss. Das konnte nicht wirklich sein!
»Du bist nicht tot«, antwortete Cohen, der quick lebendig über ihm hockte und das Gesicht unter einem schwarzen Umhang vor dem hellen Tageslicht schützte. Nun strich er ihm mit zwei Fingern das nasse, klebrige Haar aus der Stirn. »Aber du wurdest gerade buchstäblich ausgekotzt und bist etwas … vollgesabbert. Kein Wunder, dass du durcheinander bist.«
Desiderius hörte nicht die Worte aus Cohens Mund, er starrte ihn einfach an und versuchte zu begreifen, dass er nicht nur einen sehr intensiven Traum hatte.
Das Letzte, woran er sich erinnerte, war das Maul des Drachen, danach war es sehr schwarz geworden und durch den schwefelhaltigen Atem im Mund des Tieres hatte er schnell das Bewusstsein verloren.
Und im nächsten Moment öffnete er die Augen und sah Cohens Gesicht über sich schweben. So, wie er es kannte, eine verboten süße Mischung aus Jugend und markanter Männlichkeit.
»Du … du … lebst?«, raunte er und sperrte den Mund auf.
Cohens Mimik nahm etwas Bedauerndes an. »Nicht ganz. Aber das ist eine lange Geschichte, ich …«
Weiter kam er nicht, Desiderius hatte bereits sein Gesicht gepackt und ihn zu seinem Mund herabgezogen. Ihre Lippen lagen übereinander und Desiderius saugte intensiv an Cohens bittersüßem Mund, Tränen brannten in seinen Augen, Tränen der ungläubigen Freude, ebenso wurde ihm der Hals verräterisch eng.
Nur am Rande bekam er mit, dass Cohens Kuss nur zurückhaltend war, regelrecht notgedrungen. Seine Lippen waren hart und wollten sich nicht so recht verführen lassen. Doch das war Desiderius im Moment gänzlich gleich. Er küsste Cohen voller Inbrunst und konnte ein überschwängliches Lachen nicht zurückhalten, wobei sein Verstand noch immer nicht begreifen konnte, wie verflucht noch mal Cohen hier sein konnte. Bei ihm. Warm und lebendig und …
Verdammt, er würde sicher gleich aufwachen und feststellen, dass er nur geträumt hatte. Deshalb hielt er Cohens Mund umso entschlossener fest auf seinem.
Es war kein Kuss der Leidenschaft, sondern ein Kuss der puren, fassungslosen Freude, die ihm auch letztlich ein paar Tränen bescherte.
Er wollte nie wieder aus diesem schönen Traum aufwachen. Nie wieder.
Doch da legte ihm Cohen eine Hand auf die Brust und drückte ihn ziemlich nachdrücklich auf den Boden, um sich von ihm lösen zu können. Er keuchte, als hätte ihn eine heftige Erregung ergriffen und atmete daraufhin schwer. »Langsam, ich muss vorsichtig mit … sterblichem Kontakt umgehen.«
Verwirrt blinzelte Desiderius zu ihm auf, doch als Cohens Gesicht nicht wie ein Traumgebilde einfach verschwand, konnte nichts seine Freude trüben.
»Es ist kein Traum«, flüsterte er rau und lachte dann ziemlich dümmlich auf, sodass Cohen über ihn schmunzeln musste. Verdammt, dieses schöne, schüchterne Schmunzeln, das er so sehr vermisst hatte. »Du lebst! Das ist kein Traum, du bist wirklich hier!« Desiderius wollte Cohens Umhang lüften, aber dieser hinderte ihn sofort daran und drückte ihm die Hände auf die Brust. Desiderius machte sich frei und griff stattdessen wieder nach Cohens Gesicht, musste es in seine Finger nehmen, es fühlen, es begutachten und streicheln. Cohen ließ ihn mit einem nachsichtigen Blick gewähren.
Da fiel es ihm auf und seine Mimik verzog sich zu einem tiefen