Und Bellzazar wachte über ihn, während er ihn mit Blicken durchbohrte und darüber nachgrübelte, was mit seinen Gefühlen los war.
Eines wusste er, er würde keine roten Wangen bekommen, wenn Cohen ihn anlächelte, er würde keinen Blumen die Blütenblätter ausreißen, verträumt seufzen oder gar ihre Initialen in eine Rinde ritzen und mit einem Herz versehen.
Er war nicht verliebt, er hatte nicht das Bedürfnis, sich in jedem Augenblick in Cohen zu versenken, auch wenn ihn die fleischliche Begierde das ein oder andere Mal überkam. Er wollte nicht jeden Moment seines Daseins in Cohens Nähe verbringen, ihn ständig anstarren und ihn immerzu berühren, dem Klang seiner dunklen Stimme lauschen, und überhaupt drehte sich sein ganzes Dasein nicht nur darum, sich an Cohen reiben zu wollen, wie eine läufige Hündin.
Aber eines wusste er, sein zerschnittenes Herz fühlte sich warm und heil an, wenn er Cohen in seinem Bett liegen sah, als gehörte er genau dorthin. Bellzazar wollte, dass er dorthin gehörte, dass er schlicht ihm gehörte. Wenn sie sich berührten, prickelte seine Haut. Cohens Blicke ließen ihn die Einsamkeit vergessen, die ihn wie einen Schatten begleitete. Er sehnte sich nicht immer zu danach, aber wenn es geschah, genoss er es wie nie zuvor.
Und als er dachte, er würde Cohen für immer verlieren, hätte er lieber das gesamte Universum mitsamt allen Welten niedergebrannt, als ihn gehen zu lassen.
Er hätte gar sich selbst oder seinen Bruder geopfert, wenn es nötig gewesen wäre.
Und das machte ihm Angst, denn es hatte noch nie irgendetwas oder jemanden gegeben, das oder den er über Desiderius gestellt hätte.
Bei Cohen war der Gedanke ganz präsent, Bellzazar dachte seit Stunden darüber nach. Was wäre, wenn er vor die Wahl gestellt würde, Cohens Leben gegen Desiderius`? Er war auf die Frage aufmerksam geworden, als ihm auffiel, wie leicht und instinktiv ihm die Entscheidung gefallen war, er oder Cohen. Er hätte sich das Herz auch dann herausgeschnitten, wenn es dafür sein eigenes Ende bedeutet hätte.
Und sein Herz kannte auch die Antwort auf die andere Frage: Cohen. Er würde sich immer wieder für Cohen entscheiden.
Nur, dass dieser sich niemals für Bellzazar entscheiden würde, stünde er vor der gleichen Wahl.
Bellzazar machte sich nichts vor, auch wenn Cohen in seinem Bett lag und duldete, dass er ihn berührte, ihn sogar nahm, seine große Liebe war und würde immer Desiderius sein und bleiben.
Wie tragisch, dachte er bei sich und seufzte. Sein Herz krampfte, aber er ignorierte es. Er kannte das Gefühl, er war gewohnt, zu leiden. Liebe war Leid, deshalb war er auch nie verliebt gewesen. Er hatte diesen verblödeten Zustand immer sofort übersprungen, hatte gleich die Liebe gespürt, die blieb, wenn der Nebel aller Triebe verflogen war.
Trotzdem schmerzte es mehr als sonst, wenn er zu sehr darüber nachdachte. Er schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken. Er wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, wem Cohens Liebe gehörte, im Moment sollte er einfach genießen, dass dieser in seinem Bett lag. Auch wenn nur die Lust auf Fleisch sie vereinte. Das war besser als nichts.
Verdammt, hatte er das gerade wirklich gedacht? Besser als nichts?
Nun ja, irgendwie war dem auch so. Denn Cohen war seitjeher das einzige Geschöpf, das es vermochte, die Einsamkeit zu vertreiben. Und das nicht nur aus diesen Räumlichkeiten, sondern allein durch den Gedanken an ihn aus Bellzazars Bewusstsein.
Nein, nein, neckte ihn eine innere Stimme, du bist ganz bestimmt nicht verliebt…
Nicht verliebt! Er schüttelte den Kopf. Aber er befürchtete, dass es bereits viel schlimmer war.
Schlimmer…
Na ja, wem machte er denn eigentlich etwas vor? Er hatte diese seltsame Anziehung zu Cohen schon gespürt, als er noch bei Desiderius lag. Und es überraschte ihn nicht, Cohen besaß die Jägergabe, zudem auch noch eine besonders mächtige Art davon. Deshalb hatte der Drachengeist in Desiderius auf ihn reagiert, und deshalb reagierte auch Bellzazars innerer Totenwolf auf ihn.
Es brachte nichts, darüber nachzugrübeln, gegen die Macht der Natur kam nicht einmal ein Dämonenfürst an. Sie beschritt eigene Wege und Ziele, die sich dem Einfluss aller Magie entzog.
Wie gesagt, alles, was er wusste, war, dass Cohen in seinem Bett lag, und ihn dieser Umstand mehr als glücklich stimmte.
Er war es schlicht nicht gewohnt, glücklich zu sein. Nicht nach all den Jahrtausenden voller Verachtung, Argwohn, Einsamkeit und Kälte.
Aber jetzt, in diesem Moment war er es. Und damit bewies er mal wieder eine äußerst egoistische Haltung, denn immerhin hatte er Cohen zu einem Dämon gemacht, um glücklich zu sein.
Er konnte nicht behaupten, dass er Reue empfand. Höchstens ein gewisses Bedauern, dass Cohen nun etwas war, dass er abgrundtief verabscheut hatte.
Ob er sich nun selbst hasste?
Bellzazar stieß sich vom Bettpfosten ab und kletterte auf die Matratze. Cohen erwachte nicht, auch als er sich an dessen Seite drängte und ihm über die nackte Schulter strich. Die ausgeprägten Muskeln seines Oberarms fühlten sich so steinhart an, wie sie aussahen, aber die Haut darüber war warm und samten, fast zu weich für diesen strammen Körper.
Er war schön, Cohen war schon immer schön gewesen, das wollte Bellzazar gar nicht bestreiten. Doch ihn überraschte, dass er solch eine lodernde Begierde für einen Mann empfinden konnte. Natürlich hatte er auch bei Männern gelegen und einen Mann geliebt, aber wenn es rein um Begierde ging, stellte Cohen alles in den Schatten. Weiber, Kerle … alles dazwischen. Auf seine starke, männliche Art war er schön, doch sein Gesicht war es, was Bellzazar immer mal wieder den Atem raubte, wenn er unvorbereitet hineinsah. Selbst jetzt im Schlaf barg es diese tiefe, geheimnisvolle Ausstrahlung, eine unerschütterliche Entschlossenheit, Stärke und Stolz. Es wirkte immer ein wenig einsam und verloren, aber nicht schwach. Cohen war wie ein Gestrandeter, der nirgendwo richtig hingehörte, aber immer kämpfte, immer auf der Suche nach … irgendetwas, das nur er kannte. Vermutlich wusste er selbst nicht, was ihm fehlte, um zufrieden zu sein.
Das hatten sie gemein.
Und man wollte ihn retten, ihm eine Hand entgegenstrecken und auf eine schwimmende Insel ziehen. Man wollte das Geheimnis hinter seiner ewig andauernden Melancholie ergründen.
Vielleicht konnte Bellzazar das. Hier und jetzt.
Er rückte an Cohen heran, spürte ein Prickeln unter der Haut, als er dessen Wärme und Geruch wahrnahm. Auch als Dämon roch er nach Frost, der sich über eine Blumenwiese legte. Frisch und lieblich zugleich, das Versprechen auf einen unschuldigen, stillen Morgen.
Bellzazar zog ihn an sich, schloss die Augen und vergrub das Gesicht in seinem seidenen, rotbraunen Haar, um ihn im Traumreich aufzusuchen. Dort, wohin die Dämonen gingen, wenn sie träumten.
*~*~*~*
Er saß mit angezogenen Beinen an einem flachen Ufer und starrte auf einen glitzernden Bach, der sich über graues Gestein einen Weg durch hohe Berge bahnte. In den winzigen Tälern zwischen den Bergriesen waren die Wiesen mit roten Blumen getüncht und teilweiße mit einer puderzuckerartigen Schneedecke bedeckt.
Cohen genoss das Gefühl der Kälte auf der Haut und den Geruch des Frostes in der Nase. Es war der Geruch seiner früheren Heimat. Das südliche Gebirge Nohvas, wo er als Bastard geboren wurde und ein Leben voller Schicksalsschläge angetreten hatte. Doch ihn verbanden auch gute Erinnerungen mit seiner Heimat. Sie war im Krieg immer seine sichere Zuflucht gewesen, dort hatte er sich zum ersten Mal richtig verliebt – wenn auch in den falschen Mann –, seinen ersten Kuss bekommen, seine beste Freundin getroffen, die Kinder seines Bruders großgezogen und ein eigenes gezeugt. Er hatte den Anblick der majestätischen Berge, die über allem thronten, so sehr geliebt. Ebenso wie den Schnee und die weißen