Die Schule. Leon Grüne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Grüne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170724
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sie ihn und zeigte ihm neun Finger, die sie dann selbst noch einmal überprüfte und vorsichtshalber nachzählte. Er lachte herzlich, während sie angestrengt nachdachte ob nach der Acht nicht doch erst die Zehn kam.

      „David?“, rief ihn seine Mutter, die in der offenen Tür stand. Er drehte sich kurz um und stöhnte genervt auf. Ihr graues T-Shirt, welches ihr zwei Nummern zu groß war, flatterte im warmen Sommerwind um ihre Hüften und ließ deutlich erkennen, dass sie, wie so oft, keinen BH darunter trug. Zoe wich ein paar Schritte zurück. Sie hatte Angst vor ihr, weil sie öfter hörte, wie sie David anschrie. Und jemand, der ihren über alles geliebten David anschrie, konnte nur böse sein.

      „Na, dann fahr mal los. Ich schau mal, ob alles, was wir brauchen, da ist.“

      „Okay, ich beeile mich.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief auf ihr leicht rostiges Dreirad zu.

      „Bis gleich Zoe, ich hab dich lieb“, rief er ihr hinterher.

      „Ich dich auch“, antwortete sie abwesend und setzte sich auf den Sitz ihres kleinen Gefährts. Sie winkten sich ein letztes Mal strahlend zu. Dann verschlang ihn die trübe und graue Einsamkeit des gelb gestrichenen Hauses, in dessen Einfahrt er stand. Einen Moment lang blickte er ihr traurig hinterher und wünschte sich, er wäre mitgekommen.

      „David!“, rief seine Mutter ein weiteres Mal nach ihm.

      „Ja, ich komme doch!“, brüllte er ihr entgegen. Er rollte mit den Augen, hob seinen Rucksack vom Boden auf und ging gemächlich zur Haustür.

      „Wieso hast du so lange gebraucht?“, fragte sie besorgt. Es klang aufrichtig. Offensichtlich versuchte sie immer noch, den Anschluss zu ihm zu finden.

      „Das weißt du doch ganz genau“, erwiderte er trocken, ohne ihr in die Augen zu sehen.

      „Nein, das weiß ich nicht! Ich hab mir Sorgen gemacht!“

      David ging wortlos an seiner Mutter vorbei. Er warf seinen Rucksack unter die Garderobe, an der seine Lederjacke und eine schwarze Fleecejacke von den Sacramento Kings hingen. Er hatte sie schon länger nicht mehr getragen. Um genau zu sein das letzte Mal vor drei Jahren, als er sich auf dem Flur zusammengekauert hatte und hören musste, wie Ray es grade seiner Mutter auf dem Sofa besorgte. Das Nicht-Tragen der Jacke war Teil seines persönlichen Numbings.

      „Wo warst du?!“, fragte sie erneut und eilte ihm in die Küche hinterher.

      Jedenfalls nicht auf unserem Sofa, um mich durchnehmen zu lassen. Ohne zu antworten, öffnete er den Kühlschrank und holte eine Dose Diät Cola und eine halbvolle Tüte Milch daraus hervor. Er schüttelte die Milchtüte prüfend und stellte sie dann auf den großen dunklen Ebenholztisch, der als Ablagefläche exakt ein Meter und fünfzig Zentimeter von der Küchenzeile entfernt stand. Ihr erster richtiger Partner, nachdem Davids Vater sich von ihr getrennt hatte, Owen Sterling, war Tischler gewesen und hatte ihn ihr zu ihrem 34. Geburtstag geschenkt. Er war ein Perfektionist, weswegen der Tisch auch auf den Millimeter genau in dieser Entfernung zur Küchenzeile stehen musste. Und das war auch der Grund, warum sie es nicht mehr mit ihm ausgehalten hatte. Eines Tages hatte er tatsächlich eingefordert, dass man in einer Beziehung treu bleiben sollte. Trotz seines verletzten Stolzes und seiner perfektionistischen Art hätte er ihr sogar vergeben. Doch sobald er begonnen hatte, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen, war sie schon fertig mit ihm gewesen. Er schloss die Kühlschranktür und stellte seine Dose neben die Milchtüte auf den Tisch.

      „Warst du wieder mit diesem Süchtigen unterwegs?“, fragte sie ihn traurig und fuhr sich mit der rechten Hand durch ihre mokkabraunen Haare. Ihre rot lackierten Fingernägel bildeten einen schönen Kontrast zu dem dunkleren Braun. Gemeint war Trae. Seit sie letzte Woche gerochen hatte, dass ihr Sohn gekifft hatte, fragte sie ständig nach, ob er mit Trae unterwegs gewesen sei. Das war jedoch auch die einzige mütterliche Besorgtheit, die sie je gezeigt hatte.

      „Nein, und selbst wenn, geht dich das nichts an“, beantwortete er ihre Frage und wies ihren Annäherungsversuch erneut zurück.

      „Wieso musst du sie immer mit darein ziehen? Wenn du etwas willst, dann sag es mir und nicht ihr. Die Nummer zieht nicht mehr, also lass es ganz einfach!“

      „Wovon sprichst du? Mit wem soll ich geredet haben?“

      „Mit dem heiligen Geist natürlich“, sagte er und hockte sich auf den Boden, um Mehl, Backpulver und Zucker aus dem Schrank unter der Herdplatte zu holen. Als er keine Antwort erhielt, drehte er den Kopf zur Seite und sah sie über die Schulter hin an. Sie stand mit fragendem Gesicht dort und sah ihn an, als hätte er sich einen tanzenden Affen auf die Stirn tätowieren lassen.

      „Ach vergiss es“, sagte er genervt und wandte sich wieder den Zutaten für die Pfannkuchen zu. Die Türklingel läutete.

      „Wir unterhalten uns nachher! Noch hast du Zeit, dich für das eben zu entschuldigen!“, warnte sie ihn und ging zur Tür.

      „Das kannst du auch vergessen!“, rief er ihr hinterher und erhob sich mit den gefundenen Utensilien wieder vom Boden.

      „Ich warne dich David! Ich war immer sehr nachsichtig mit dir, aber langsam reicht es mir! Nimm das nicht auf die leichte Schulter!“ Sie öffnete die Haustür und fand die vom Geschrei verängstigte Zoe dort vor.

      „Hey Zoe“, begrüßte Faye sie mit einem strahlenden, falschen Lächeln, das so breit war, dass man meinen könnte, sie wolle einem Breitmaulnashorn Konkurrenz machen.

      „Hallo Ms. Williams“, grüßte sie ängstlich zurück und fummelte nervös an ihrem T-Shirtsaum herum.

      „Komm ruhig rein, Kleine.“

      „Danke.“

      „Möchtest du etwas trinken?“, fragte Davids Mutter freundlich, was Zoe mit einem eifrigen Kopfschütteln verneinte. Gefrustet von der Ablehnung des kleinen Mädchens hörte sie auf, ihr Fragen zu stellen oder etwas zu erwidern. Schweigend begab sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer, welches sich im oberen Stockwerk befand.

      „Überleg es dir gut! Verdirb es dir nicht noch mehr mit mir als ohnehin schon!“, zischte sie ihm zornig zu, als sie an der Küche vorbeiging. Zoe stand im Raum und fummelte erneut nervös an dem Saum ihres T-Shirts herum. Die Treppenstufen knarzten laut unter den stampfenden Schritten von Davids wütender Mutter.

      „Alles in Ordnung, meine Große. Sie ist weg und schreit niemanden mehr an“, beruhigte er sie und nahm sie in den Arm. Sie umarmte ihn ebenfalls und krallte ihre Finger in seinen Rücken.

      „Hört auf, immer zu streiten“, bat sie ihn traurig. Sie wurde jedes Mal furchtbar traurig, wenn sich jemand stritt. Kein Wunder, wenn sie ähnliche Szenarien tagtäglich zuhause zwischen ihren Eltern erleben musste.

      „Wieso ist dir das so wichtig?“, fragte David sie und fand die Frage im Nachhinein selbst ziemlich blöd, da er dachte, dass er die Antwort darauf eigentlich schon wusste.

      „Weil sie bald ganz sehr tot sein könnte und du dann nicht weißt, wie sehr lieb sie dich eigentlich hat“, antwortete Zoe mit wässrigen Augen. Ihre Antwort war bei weitem nicht das, was David erwartet hatte. Ihre Antwort handelte von Tod und davon, dass sie ihn doch eigentlich lieben würde. Beide Aussagen waren sowohl unerwartet, da er nicht wusste, dass sie über so etwas nachdachte und woher sie wissen wollte, dass sie ihn eigentlich liebte. Zudem verwirrte ihn der häufige Gebrauch des Wortes „sehr“. Es wirkte zwar so, als hätte sie es grade erst gelernt und machte deswegen so regen Gebrauch davon, aber es schien – unabhängig von der brüchigen Grammatik - trotzdem angebracht.

      „Da mach dir mal keine Sorgen. So schnell stirbt es sich nicht“, sagte er und begann, ihren Rücken zu streicheln. Auch wenn es ihn interessierte wie sie überhaupt auf diesen Gedanken gekommen war, fragte er sie nicht danach. Es war ihm unangenehm, über mütterliche Liebe, die er in der Form nie erhalten beziehungsweise anerkannt hatte, zu reden. Er merkte wie ihre wässrigen Augen langsam sein T-Shirt benässten, und versuchte, sie daher möglichst schnell wieder auf andere Gedanken zu bringen.

      „Hey.“ Er hockte sich hin und hielt ihren Kopf mit