Weihnachtsmärchenwald. Verschiedene Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verschiedene Autoren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754924617
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mich ins Gefängnis stecken und“ – vor Schluchzen konnte es nicht weiter sprechen.

      Frau Braun strich liebevoll des Kindes Wange. „Sei nur ruhig, mein Lenchen,“ sagte sie, „weine nicht so, – es wird ja schon alles gut werden.“

      Dabei rannen ihr selbst die heißen Tränen aus den Augen und tropften auf des Kindes Scheitel.

      Der Wachtmeister, der am Tische sah und schrieb, hatte diese kleine Szene still mit angesehen, und es war ihm dabei ganz eigentümlich um das Herz geworden. Er hatte schon so viel verlogenes Gesindel vor sich gehabt in seinem Leben, er wußte genau, wie die großen und kleinen Spitzbuben es machen. Wie sie mit der unschuldigsten Miene alles weglügen, wie sie jammervoll weinen und wehklagen können, und wie am Ende alles nur abscheuliche Verstellung ist, – aber was er eben sah und hörte, das klang anders, und schien ihm die Sprache der Wahrheit zu sein.

      Er stand auf und trat zu Frau Braun. „Reden Sie ihr einmal ins Gewissen,“ sagte er ziemlich barsch. Denn er durfte doch seiner Würde nichts vergeben, „ich bekomme kein Wort aus dem Mädchen heraus.“

      Nun erzählte er der Mutter ausführlich, was ihm der Schutzmann berichtet, und was ihr, meine kleinen Leser und Leserinnen, schon wißt.

      „Sie antwortet auf keine Frage,“ fügte er am Schlusse hinzu, „ja nicht einmal wie sie heißt habe ich von ihr erfahren können. Wenn sie – offen gestände, wäre es besser, ich würde sie laufen lassen. Der Geldbeutel hat sich ja doch einmal in ihrer Tasche gefunden. Nicht wahr, du hast ihn genommen? Nun sag auch, wo du das Geld hingetan!“ wandte er sich an Lenchen.

      Lenchen antwortete ihm nicht, nur fester klammerte sie sich an die Mutter an, und als ob sie von ihr Schutz erwarte, blickte sie angstvoll fragend zu ihr auf.

      Die Frau hatte, ohne zu unterbrechen, die Anklage gegen ihr Kind angehört. Fest war sie von seiner Unschuld überzeugt und doch – als der Mann sagte, „der Geldbeutel fand sich in ihrer Tasche“, – stieg einen Augenblick ein fürchterlicher Verdacht in ihrem Herzen auf.

      Wenn Lenchen ihn doch genommen hätte! Wenn sie vielleicht, um der Mutter in ihrer Not zu helfen, sich zu diesem unglücklichen Diebstahle hätte verleiten lassen!

      „Lenchen,“ sagte sie so ruhig, als sie es vermochte, und nahm das Kind bei beiden Schultern, „sieh mir einmal fest ins Auge – nun sprich die Wahrheit, ich weiß, du kannst nicht lügen. Hast du – hast du den Geldbeutel genommen?“ Es wurde ihr schwer, die letzten Worte hervorzubringen.

      Die Worte der Mutter brachten die Kleine in furchtbare Aufregung. Ihr Körper schüttelte sich krampfhaft, und von neuem umklammerte sie dieselbe. Sie hatte geglaubt, die Mutter würde sie schützen – und den Männern sagen: „Mein Kind stiehlt nicht!“ Statt dessen fragte sie, wie jene es getan. Konnte sie denn zweifeln?

      „Mutter!“ schrie sie außer sich, – „du kannst mich fragen? Denkst du denn auch, daß ich gestohlen habe? O, nun komme ich ins Gefängnis, – nun schleppen sie mich fort!“

      Mehr als alle Beteuerungen es getan haben würden, überzeugte Lenchens verzweifelter Ausruf die Mutter von ihrer Unschuld. Sie nahm das furchtbar geängstigte Kind in den Arm und liebkoste es, und mit vor Tränen erstickter Stimme sprach sie ihm tröstend zu.

      „Nein, nein, du hast es nicht getan – ich glaube dir. Ich weiß, mein Lenchen würde eher verhungern, als daß sie einen Pfennig nähme.“ –

      „Da soll einer klug daraus werden,“ unterbrach der Wachtmeister diese rührende Szene. „So etwas ist mir ja in meinem Leben noch nicht vorgekommen! Ist denn das Mädchen so verstockt, daß es die Wahrheit durchaus nicht sagen will?“

      „Es sagt die Wahrheit,“ erwiderte Frau Braun und versuchte die Tränen zu trocknen, die immer von neuem hervorbrachen; „es hat noch niemals gelogen. Ich bin eine arme Frau, Herr Wachtmeister, aber ich halte meine Kinder streng zu allem Guten an. Gott weiß, wie der Geldbeutel in ihre Tasche kam, genommen hat sie ihn nicht.“

      Der Wachtmeister war im Herzen selbst davon überzeugt, aber er durfte es nicht eingestehen. War nicht der Schein gegen Lenchen?

      „Sie hatte auch Geld in ihrer Tasche, – dreißig Pfennig waren es wohl, – wissen Sie darüber Auskunft zu geben?“

      „Das war ihr Botenlohn für den Baum, der hier steht!“ rief sie schnell und ein Schimmer von Freude flog über ihr blasses Gesicht. „Herr Geheimrat Falk kann es bezeugen, er hat ihn gekauft und sie sollte ihn nach Haus tragen.“

      Der Wachtmeister machte erstaunte Augen, – hatte das Kind, als es nach dem Gelde gefragt wurde, nicht auch von einem ›Geheimrat‹ gestammelt? Die Aussagen der Mutter stimmten ja damit überein, und doch, konnten sich die beiden nicht darüber verabredet haben?

      „So hat sie die Tanne nicht genommen?“ fragte er, und es blitzte freudig aus in seinen grauen Augen.

      „Nimmermehr!“ rief Frau Braun.

      Frau Braun mußte ihre Aussagen wiederholen, und er schrieb alles genau auf. Auch Wohnung und Namen wollte er von ihr wissen. Sie nannte ihm beides, und während er Frage auf Frage an sie richtete, kehren wir noch einmal zu Frau Stein zurück.

      Die gute Alte hatte eben drei Tannen auf einmal verkauft und vergnügt über ihr gutes Geschäft setzte sie sich wieder auf ihren Platz. Vorher aber nahm sie erst den Kessel vom Kohlenbecken und trank recht behaglich ein Täßchen ›Heißen‹, wie sie zu sagen pflegte.

      Als sie nun so still dasaß, kehrten ihre Gedanken wieder zu der unglücklichen Frau zurück, und sie hätte etwas dafür gegeben, wenn sie gleich gewußt hätte, was aus derselben geworden.

      Ihr gegenüber stand eine Pfefferkuchenbude. Herrliche Sachen wurden dort feilgeboten, – Süßigkeiten aller Art waren kunstvoll aufgebaut und ausgebreitet und lockten groß und klein zum Kaufen an.

      Zwei Jungen hatten schon seit einer kleinen Weile dicht vor Frau Stein sich aufgepflanzt und warfen sehnsüchtige Blicke zu der mit Gasflammen hell erleuchteten Bude hinüber.

      „Du,“ hörte Frau Stein den älteren sagen, – es war ein schlechtgekleideter Bube von fünfzehn Jahren vielleicht, – „du, August, nun mache endlich und besinne dich nicht ewig. Kaufe der da drüben etwas ab – sieh, die hat schöne Sachen! Donnerwetter, sind das große Pfefferkuchen! Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich sie nur ansehe.“

      Gierig blickte er hinüber und zog den andern vorwärts, als er diese Worte sagte, dabei schnalzte er förmlich mit der Zunge. „Aber Süßigkeiten und Schokolade mußt du auch kaufen, die esse ich so gern! Nun aber mach,“ fuhr er ungeduldig fort, als der andere noch immer zögerte, und versetzte demselben einen kleinen Stoß in die Seite – „ich will nicht mehr warten!“

      Wer meint ihr wohl, daß dieser andere Knabe war? Blond und blauäugig sah er aus, auch war er nett und sauber gekleidet. Nun wißt ihr schon, daß August niemand anders war, als der böse, böse Junge, der dem armen Lenchen so viel Herzeleid bereitete. Der schlecht gekleidete, schmutzige Knabe war ein guter Freund von ihm, der ihn zu manchem bösen Streich verführte. August hatte ihn geholt und ihm mit Freuden seinen Diebstahl mitgeteilt. Jetzt waren sie dabei, das gestohlene Geld zu vernaschen.

      Sie waren beide an die Bude getreten und kauften ein. Von allem verlangten sie, und der zweite Knabe, Ludwig, konnte nicht genug bekommen.

      „Nun noch Schokolade,“ sagte er und nahm einige Tafeln, die er zu dem schon großen Pakete legte – „und schließlich noch diese Zuckerzigarren“ – dabei steckte er gleich eine in den Mund und tat, als ob er rauche.

      Die Honigkuchenfrau packte alles zusammen und August griff in die Tasche, um zu bezahlen. Frau Stein konnte deutlich erkennen, daß er ein Goldstück hinreichte. Hatte es schon ihre Verwunderung erregt, daß die beiden Jungen so viel Näschereien einkauften, so war sie noch weit mehr erstaunt, als sie das Goldstück erblickte.

      „Wie kommt der Junge zu dem vielen Gelde?“ dachte sie. Vielleicht wunderte sich auch die Honigkuchenfrau