Weihnachtsmärchenwald. Verschiedene Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verschiedene Autoren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754924617
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ein Wort auf das Geplauder zu erwidern, zog der Geheimrat seinen Geldbeutel aus der Tasche und gab der Kleinen dreißig Pfennig. Was ging den vornehmen Herrn die Krankheit der Mutter an, solche Redensarten beachtete er nicht weiter. Hatte er doch die Erfahrung gemacht, daß arme Leute stets Krankheit vorschützen, wenn sie betteln gehen, wahrscheinlich glaubte das Kind, mehr Geld durch seine Worte für den Weg zu erzielen.

      Die Verkäuferin lud Lenchen die Tanne auf, und da sie selbst arm war, hatte sie auch ein Herz für die Armen. Das hübsche offene Gesicht des Kindes gefiel ihr, sie sah ihm gleich an, daß es die Wahrheit sprach.

      „Du bist ein gutes Kind,“ sagte sie und klopfte ihm die Wangen. „Bleib nur so brav, dann wirst du vorwärts kommen. Du hast wohl einen weiten Weg?“ fragte sie noch, und als Lenchen die Straße genannt hatte, nahm sie eiligst den Kaffeetopf von den Kohlen und schenkte eine Tasse ein.

      „Du lieber Gott, das ist ein weiter Weg,“ sagte sie mitleidig, „der Baum ist nicht leicht, dir werden die Hände erfrieren. Da trink erst den Kaffee, er wird dich erwärmen.“

      Lenchen nahm dankend die Tasse in Empfang, und als sie ausgetrunken hatte, machte sie sich vergnügt auf den Heimweg.

      Sie nahm sich vor, recht, recht schnell zur Mutter zu eilen, so schnell als sie nur mit dem schweren Baume fortkommen konnte.

      Manchmal mußte sie ihn niedersetzen, um auszuruhen, dann sah sie natürlich rechts und links zu den Buden hinüber, es machte ihr gar zu großes Vergnügen, die schönen Sachen betrachten zu können.

      „Stück für Stück nur zehn Pfennig, meine Herrschaften! Alles, alles, was Sie sehen, nur zehn Pfennig! Kaufen Sie, kaufen Sie, ehe es zu spät ist!“ tönte es an ihr Ohr, als sie eben vor einer Bude vorübergehen wollte.

      Sie setzte den Baum nieder, um sich zu erholen, eigentlich aber um einen Augenblick zuzusehen, wie der Mann Stück für Stück in die Höhe hielt, um es den Herumstehenden zu zeigen. Zögernd trat Lenchen näher, sie hätte so gerne etwas für Karl gekauft, sie wagte nur nicht, darum zu handeln. So gern hätte sie das kleine hölzerne Pferdchen gehabt, aber sie hatte keinen Mut, den Verkäufer darum anzugehen. Wie sie, noch alles betrachtend und zweifelnd, dastand, trat eine dicke Frau mit einem Körbchen am Arme dicht vor die Bude hin und drängte Lenchen mit ihrer großen Tanne zur Seite.

      „Was stehst du da und gaffst?“ fuhr sie das Kind an, „mach Platz, du kaufst doch nichts!“ Und nun fing sie an, ein Stück nach dem andern auszusuchen. Schachteln mit Kochgeschirr von Blech, eine kleine Schäferei mit Häuschen, kleinen grünen Bäumen, Schäfer, Schafen und Hunden – jedes Stück für zehn Pfennig, Kaffeetassen für Puppen, – ach, und noch viele andere Herrlichkeiten wählte die Frau aus.

      Wie staunte Lenchen alles an, wie wünschte sie nur die Hälfte davon zu besitzen.

      Die Frau war nun zu Ende mit ihrem Einkauf, und der Kaufmann rechnete mit ihr zusammen.

      „Vierzehn Stück,“ sagte et, „macht eine Mark vierzig Pfennig.“

      Lenchen hatte mitgezählt und war so eifrig dabei, daß sie nicht bemerkte, wie die Frau mit ängstlicher Hast ihren Korb durchsuchte. Als dieselbe plötzlich aufschrie: „Mein Geldbeutel ist fort! Gestohlen ist er mir!“ da fuhr sie erschreckt zusammen.

      „Hier hat er gelegen,“ fuhr die Bestohlene in höchster Aufregung fort, „hier! der Korbdeckel war fest geschlossen – jetzt liegt er lose darauf. Ein Spitzbube hat ihn abgeschnitten! O, mein Geld – es waren über fünfzehn Mark – alles ist fort!“

      Die Frau war ganz verzweifelt, und als sie mit lauter Stimme ausrief: „Wer hat's gestohlen?“ blickte sie aus die Menschen ringsum, als ob sie den Dieb mit ihren Augen herausfinden könnte.

      Aber sie bekam keine Antwort, denn niemand wußte es zu sagen.

      Aller Augen waren auf die hellerleuchtete Bude gerichtet. Niemand würde geglaubt haben, daß der Knabe, der dicht hinter Lenchen gestanden hatte, der Spitzbube sei.

      Er war so nett und anständig gekleidet, wie guter Leute Kind. Mit seinen wasserblauen Augen blickte er so treuherzig umher, und bei dem Rufe der Frau: „Wer hat's gestohlen?“ – hatte er auch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, der freche Bube.

      Als er zufällig in die Nähe der dicken Frau zu stehen kam, merkte er bald, daß dieselbe etwas Wertvolles m ihrem Korbe aufbewahre. Sie fühlte so oft nach dem Deckel desselben, um sich zu überzeugen, daß er auch fest verschlossen sei. Einmal hatte sie ihn sogar ein wenig geöffnet und mit der Hand hineingefühlt. Als sie sich überzeugt, daß alles in Ordnung war, hatte sie den Deckel wieder fest daraufgedrückt.

      Dem Jungen war nichts entgangen. Dicht drängte er sich an die Frau, und als sie gerade recht vertieft im Aussuchen der Spielsachen war, nahm er sein Taschenmesser zur Hand, schnitt schnell und gewandt den Deckel hinten am Korbe ab, griff hinein – und der Geldbeutel war in seiner Hand. Ohne sich zu rühren, behielt er ihn wenige Minuten in der Hand, dann blickte er sich vorsichtig um, ob auch niemand etwas gemerkt habe. Er konnte ruhig darüber sein, kein Mensch sah nach ihm. Da öffnete er behutsam den Geldbeutel, nahm das Geld heraus und steckte es in seine Tasche. Den leeren Geldbeutel wollte er wegwerfen; der schlaue Junge wußte recht wohl, daß ihn derselbe leicht verraten könne.

      Wie er nun eben im Begriff war, den Geldbeutel unbeachtet zur Erde fallen zu lassen, erblickte er Lenchens offen stehende Kleidertasche. Ohne Besinnen ließ er ihn dort hineingleiten und lachte schadenfroh, als die Kleine gar nichts davon merkte und so arglos dastand.

      „Die wird Augen machen, wenn sie das Ding in ihrer Tasche findet,“ dachte er, „und wenn es dann leer ist, wie wird sie sich ärgern! Das ist ein köstlicher Spaß!“

      Nach seinem bösen Streich verließ er seinen Platz, denn er fühlte sich nicht ganz sicher in der Nähe der Frau.

      Die Menschen drängten sich in dichtem Knäuel an die laut jammernde Frau, und Lenchen wurde es himmelangst. Sie konnte weder vor- noch rückwärts, ihre kleine Gestalt wurde beinahe erdrückt. Die große Tanne hatte sie dicht vor sich stehen und bei dem heftigen Drängen drückten sich die stachlichten Nadeln derselben tief in ihr Gesicht und taten ihr weh.

      „Bitte, lassen Sie mich durch, bitte, bitte!“ rief sie angstvoll den Nächststehenden zu. „Ich muß nach Hause, ich muß den Baum forttragen!“

      Niemand achtete auf des Kindes Flehen, sein dünnes Stimmchen verklang ungehört. Sie fing zu weinen an, und als sie noch einmal so recht kläglich rief: „Lassen Sie mich durch,“ stand plötzlich ein Schutzmann vor ihr.

      „Was ist hier los?“ wandte er sich an die Frau. Diese erzählte unter Klagen und Jammern ihr Unglück, aber so hastig und verworren berichtete sie das Vorgefallene, daß der Schutzmann nicht klug daraus wurde.

      „Was ist Ihnen gestohlen worden?“ fragte er kurz.

      „Mein Geldbeutel, Herr Schutzmann. Sehen Sie, hier – hier hat er gelegen,“ – dabei hob sie den Korb in die Höhe und zeigte ihm die Stelle. „Der Korb war fest geschlossen, Herr Schutzmann, und nun –“

      „Wieviel Geld war darin?“ unterbrach sie der Schutzmann.

      „Fünfzehn Mark zwanzig Pfennig. Sehen Sie, ich hatte den Korb fest verschlossen – so – so,“ dabei bemühte sie sich eifrig, ihm genau und umständlich jede überflüssige Kleinigkeit zu erzählen. Er hörte gar nicht darauf hin, sein Auge musterte die nächststehenden Leute. Da drang plötzlich Lenchens weinende Stimme an sein Ohr und machte ihn auf dieselbe aufmerksam.

      „Warum heulst du, Mädchen?“ fuhr er die Kleine barsch an.

      Sie antwortete nicht gleich, Lenchen war zu erschrocken, der Schutzmann sah sie so böse an.

      „Warum du heulst?“ fragte er noch einmal mit erhobener Stimme. „Kannst du den Mund nicht auftun?“

      „Ich muß nach Hause,“ hub sie zitternd an, – „ich muß den Baum –“

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