Weihnachtsmärchenwald. Verschiedene Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verschiedene Autoren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754924617
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man muß nicht gleich das Schlimmste fürchten.“

      Sie traten jetzt in die Küche ein, und eine fröhliche Mädchenstimme rief: „Karoline, wo ist der Baum?“

      Die Tochter vom Hause, ein schönes junges Mädchen von achtzehn Jahren, stand vor ihnen und blickte erwartungsvoll nach der Tür.

      „Ach, Fräulein Käthchen, die Kleine ist noch nicht zurück vom Markte.“

      „Noch nicht zurück? Das ist ja unmöglich, Papa ist schon seit einer Stunde wieder da, und er hatte noch viele Besorgungen zu machen. Das Kind wird sich doch nicht verlaufen haben?“ fügte Käthchen besorgt hinzu.

      Karoline schüttelte den Kopf. „Verlaufen hat sie sich nicht, die kennt den Weg besser als ich! Aber,“ setzte sie zögernd hinzu, „Frau Braun meint, es könne ihr ein Unglück zugestoßen sein.“

      „O nein,“ tröstete Käthchen, „so schlimm ist es nicht, gute Frau!“

      „Ja, Fräulein, das sagen Sie wohl,“ widerlegte Karoline mit gewichtiger Miene. „Gibt es nicht gar zu viel böse Menschen in der Welt? Man hört alle Augenblicke von verlorengegangenen Kindern, bald haben sie Zigeuner mitgenommen, bald sind sie ins Wasser gefallen. Wie war es denn erst neulich mit der kleinen Voigt? Fort war sie, – verschwunden! Alles Suchen half nichts. Nach acht Tagen fanden sie den armen Wurm ertrunken in der Schleuse. Kein Mensch hat erfahren, ob das Kind hineingefallen ist, oder ob ein schändlicher Bösewicht es hineingestoßen hat.“

      „Aber Karoline,“ fiel Fräulein Käthchen der Redseligen ins Wort, „wie können Sie solche Sachen erzählen, sehen Sie doch die arme Frau an!“

      Die Köchin bereute bitter ihre Ungeschicklichkeit, als sie die am ganzen Körper zitternde Frau ansah.

      „Hier, trinken Sie, liebe Frau, das wird Sie stärken,“ sagte Käthchen, die schnell ein Glas Wein eingeschenkt hatte, „und lassen Sie sich durch Karoline nicht ängstigen. Sie sollen sehen, Ihre Kleine ist gesund und frisch. Jetzt will ich gleich Papa fragen, wo er sie verlassen hat.“ Flink lief sie hinein und nach wenigen Minuten kehrte sie mit dem Bescheide zurück. Frau Braun verließ darauf hastig die Küche und das Haus.

      Der Schnee trieb ihr eisig ins Gesicht, sie achtete nicht darauf, ja sie fühlte nicht einmal etwas davon. Aufmerksam spähte sie nach rechts und links, – jedes Kind, das ihr entgegenkam, sah sie prüfend an, – es konnte ja Lenchen sein. – Ach, sie war es nicht! Fremde Kinder gingen und kamen an ihr vorüber, von dem ihrigen sah und hörte sie nichts.

      Endlich hatte sie den Weihnachtsmarkt erreicht. Eine ganze Reihe von Tannenbäumen stand da aufgepflanzt, wie ein kleiner Wald waren sie anzusehen. Wie aber sollte Frau Braun unter den vielen Verkäuferinnen, die da dicht nebeneinander standen, die richtige herausfinden? Und konnte die ihr am Ende wohl Auskunft über ihr Kind geben? – Käthchen hatte nur ungefähr den Stand derselben angeben können, und die Verkäuferin als eine alte, freundliche Frau beschrieben. Du lieber Gott, bei der mangelhaften Beleuchtung sah eine wie die andre aus.

      Auf das Geratewohl trat sie zu einer Frau heran und fragte nach Lenchen. Die wußte von nichts. Die nächste, die sie ansprach, auch nicht. Sie wandte sich an die dritte, die gab ihr denselben Bescheid, aber, als sie eben weitergehen wollte, rief dieselbe sie noch einmal zurück.

      „Wie sah denn das Mädchen aus?“ fragte sie und sah mit ihrem schielenden Auge so recht lauernd Frau Braun an.

      Dieselbe beschrieb Lenchen ganz genau.

      „Ein schwarzes Kleid, kariertes Tuch und rote Kapuze auf?“ wiederholte die Verkäuferin. „Na, die haben sie nach der Polizei gebracht, die hat gestohlen.“ –

      „Gestohlen?“ schrie Frau Braun. „Nein, das war nicht mein Kind, nimmermehr!“

      „Einen Geldbeutel hat sie genommen, sie haben ihn bei ihr gefunden,“ fuhr das Weib unerbittlich fort, als ob es ihr recht viel Vergnügen machte, die arme Mutter noch mehr zu quälen. „Sie hatte ein kariertes Tuch um und eine rote Kapuze auf. In der Hand trug sie einen großen Tannenbaum, den hatte sie auch gestohlen.“

      Es war, als ob das Herz der unglücklichen Frau Braun in Stücke zerrissen würde bei den Worten der hartherzigen Alten, die keine Spur von Mitleid in ihren strengen Zügen zeigte.

      „Haben Sie Kinder?“ rief sie außer sich.

      „Nein,“ sagte die Angeredete. „Gott sei Dank, ich habe keine, und das ist auch recht gut! Man erlebt doch nur Schimpf und Schande an ihnen.“

      Die blasse Frau zitterte und war dem Umsinken nahe. „Sie haben kein Herz in der Brust,“ stieß sie hervor, „und wissen nicht, wie weh es tut, sein eigen Fleisch und Blut, das man wie sich selbst kennt, unschuldig angeklagt zu hören!“

      „Unschuldig? Ha, ha, ha,“ lachte die Verkäuferin boshaft. „Wie ist denn der Geldbeutel in ihre Tasche gekommen?“

      „Wie können Sie denn so gottlos sprechen, Frau Seifert!“ mischte sich jetzt eine andre Frau ein, die schon ein Weilchen zugehört hatte. „Sie wissen doch nicht, ob das Kind wirklich etwas genommen hat.“

      „Beruhigen Sie sich, liebe Frau,“ wandte sie sich an Lenchens Mutter, „gehen Sie gleich nach der Wache, sie ist drüben in der Breitenstraße, und hören Sie selbst, wie die Sachen stehen. Vielleicht ist es doch nicht Ihre Kleine, die sie festhalten, und Sie ängstigen sich ganz unnütz ab.“

      Die freundliche Frau hieß Frau Stein und war niemand anders als die Verkäuferin, bei der Lenchen eine Tasse Kaffee getrunken hatte.

      „War die große Tanne nicht auch gestohlen?“ fragte Frau Seifert hämisch. „Mitschleppen mußte sie das Mädchen und das war recht. Gerade hier, dicht vor meinem Platze, fragte der Schutzmann, wo sie den Baum herhabe, – ja, da blieb sie die Antwort schuldig. Erst wollte sie anfangen zu lügen und stotterte etwas von einem ›Geheimrat‹, aber da kam sie schön an. Die Polizei läßt sich kein X für ein U machen, – klatsch! hatte sie eins ins Gesicht, da hielt sie schön den Mund.“

      Die alte, böse Frau lachte mit dem ganzen Gesichte bei diesen Worten, und als Frau Braun unter Jammern ausrief: „Mein armes Lenchen!“ – stemmte sie so recht frech die Arme in die Seite und schrie:

      „Habt ihr's gehört? Nanu, wer hat denn recht? ›Mein armes Lenchen!‹ hat sie gerufen. Sie wird wohl wissen, wo ihr Balg das Geld gelassen hat!“

      Mit einemmal fiel Frau Stein ein, daß gegen Abend ein Herr mit einem Kinde einen großen Baum bei ihr gekauft habe, – sie erinnerte sich des Kindes noch ganz genau, sollte es Lenchen gewesen sein? Sie wollte noch eben ihre Bemerkung der geängstigten Mutter mitteilen, aber als sie sich nach derselben umwandte, war diese fort. Sie ging an ihren Platz, der gar nicht weit davon war, zurück, aber der Gedanke, daß Lenchen und die Diebin eine und dieselbe sein könnten, wollte ihr nicht in den Sinn. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie an des Kindes treue Augen dachte.

      „Das Kind lügt und stiehlt nicht,“ sagte sie vor sich hin, „so offen und ehrlich kann nur ein unschuldiges Menschenkind aussehen.“ Am liebsten wäre sie gleich selbst aus die Wache gegangen, um sich zu überzeugen, aber sie war allein und konnte ihren Stand nicht verlassen, und zum Feierabend war es noch zu früh. –

      Frau Braun lief indes wie verzweifelt nach der Polizeiwache. Die letzten Worte der bösen Alten klangen ihr noch immer im Ohre.

      „Mein armes, armes Kind!“ rief sie unaufhörlich, „du bist keine Diebin, nein, nein, du hast nicht gestohlen!“

      Einige Leute blieben stehen und sahen der aufgeregten Frau, die laut mit sich selbst sprach, erstaunt nach, sie mochten sie für eine Irrsinnige halten. Sie merkte nichts davon, immer nur mußte sie an ihr Lenchen denken, und es war ihr, als müsse sie den Verstand darüber verlieren.

      Als sie ihr Ziel erreicht hatte, mußte sie erst einen Augenblick stehenbleiben und tief Atem schöpfen, dann öffnete sie die Tür und trat ein.

      Im selben Augenblick