Weihnachtsmärchenwald. Verschiedene Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verschiedene Autoren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754924617
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Mutter nicht mehr.

      „Lieber Gott, was fange ich an?“ rief sie aus, „mein Kind stirbt, und ich kann ihm nicht helfen!“

      Da öffnete sich plötzlich die Tür und Karoline trat ein. Sie wollte nach Karlchen sehen, wie sie es Frau Braun versprochen hatte. Unten im dunklen Hausflur wäre sie beinahe über den Weihnachtsbaum gefallen, der Droschkenkutscher hatte denselben dorthin gestellt, die Frau in ihrer Todesangst hatte gar nicht weiter darauf geachtet.

      „O Karoline,“ rief sie derselben entgegen, „Sie schickt der liebe Gott! Sehen Sie hier mein Lenchen!“

      Die Köchin blickte auf das todkranke Kind. „Du mein Himmel, was ist denn da vorgefallen?“ fragte sie erschrocken. Aber so gern sie auch alles ganz genau gewußt hätte, sie wartete keine Antwort ab, sah sie doch, daß hier schnelle Hilfe not tat.

      „Wir wollen nasse Umschläge machen,“ riet sie und holte Wasser und Tücher herbei.

      Das Kind hatte etwas Linderung davon, aber nicht lange, dann tobte und fieberte es noch heftiger.

      „Ich werde den Arzt holen,“ sagte Karoline und stieg so schnell sie konnte die Treppe hinunter, ergriff im Hause den Baum und trug denselben hinauf in ihre Wohnung. Fräulein Käthchen stand auch richtig schon wartend in der Küche. „Endlich ist der Baum da!“ rief sie. „Nun ist es bald zehn Uhr!“

      „Ach, Fräulein, das ist ein Unglücksbaum,“ erwiderte Karoline und berichtete in aller Eile von dem kranken Kinde. „Es muß ihm etwas Schreckliches begegnet sein, das Kind liegt im furchtbarsten Fieber und schreit immer,›ich will nicht ins Gefängnis!‹ Sie sollen sehen, das Mädchen stirbt. – Ich will nur gleich zu unsrem Arzt laufen, die arme Frau ist ganz allein und kann das Kind nicht verlassen.“

      „Schnell, schnell, Karoline – eilen Sie, was Sie können,“ sprach Käthchen, die mit der innigsten Teilnahme zugehört hatte, – „bitten Sie den Arzt in meinem Namen, er möge gleich – ja gleich kommen!“

      Karoline eilte hinweg, und Käthchen trat in das Wohnzimmer zurück, wo ihr Vater und Bräutigam – die Mutter hatte sie schon früh verloren – an dem mit Silbergeschirr reichgedeckten Teetisch saßen.

      Wie herrlich war es in diesem Raum, der tageshell durch eine reiche Gaskrone erleuchtet war. Schwere Vorhänge ließen auch nicht den kleinsten Luftzug hindurch – ein kostbarer Teppich bedeckte den Boden. Sofas, Lederstühle und kleine reizende Sessel, mit rotem Samt überzogen, standen geschmackvoll geordnet umher, Bilder und Vasen schmückten die Wände. Maiblumen, Hyazinthen, Veilchen und Krokus standen zwischen hohen Blattpflanzen in einem vergoldeten Blumentische und verbreiteten den lieblichsten Frühlingsduft.

      Sogar ein Papagei im großen Messingkäfig fehlte nicht, und als sie eben wieder in das Zimmer trat, rief er: „Guten Abend, Käthchen! Gib Kuchen!“

      Aber sie hörte nicht auf das lustige Geplauder des Vogels, ihre Gedanken waren mit dem armen, kranken Kinde beschäftigt. Mit traurigem Gesichte erzählte sie, was sie soeben gehört.

      „Du hilfst den Leuten, Papachen,“ sagte sie und streichelte ihm dabei die Hand, „nicht wahr? Sie sind so arm,“ fügte sie mitleidig hinzu.

      „Wir wollen erst hören, ob alles so ist, wie Karoline sagt, und ob hier wirklich eine Unterstützung angebracht ist,“ wandte der Herr Geheimrat Käthchens Bitte vornehm und kühl ab. „Es gibt zu viel Gesindel und Betrüger in der Residenz.“

      Käthchen setzte sich betrübt nieder. Der Vater erschien ihr so hart, sie konnte nicht begreifen, daß er nicht wie sie dachte und empfand.

      „Wie kann man lange überlegen, wenn Hilfe so nötig ist, Papa,“ sagte sie. „Ich weiß von Karoline, daß die Frau brav und ordentlich ist. Ihr Mann ist verunglückt, und sie steht mit ihren Kindern allein –“

      Hugo von Geldern, so hieß Käthchens Verlobter, ergriff ihre Hand.

      „Hänge das Köpfchen nicht, Liebchen,“ sagte er zärtlich, denn er war glücklich über das gute Herz seiner Braut, „ich verspreche dir, wenn die Frau so hilfsbedürftig ist, wie du sagst, zu helfen. Bist du nun zufrieden?“

      Ob sie es war! Sie wußte, daß er Wort hielt und daß er reichlich gab, wenn er wirkliche Not sah. Glücklich und dankbar sah sie zu ihm auf, und als jetzt der Baum hereingebracht wurde, schmückte sie denselben unter Scherzen und Lachen und schlug vergnügt in die Hände, als er fix und fertig, behangen mit dem schönsten Konfekte, vor ihr stand. – –

      Karoline hatte den Arzt geholt und leuchtete ihm mit einem kleinen Wachsstocke die steile Treppe hinauf. Sie fanden Lenchen, wie Karoline sie verlassen hatte, es war keine Änderung in ihrem Zustand eingetreten. Der Arzt trat an das Bett und fühlte ihren Puls; als er die Hand auf ihre Stirn legte, warf sie dieselbe zurück.

      „Rühr mich nicht an!“ schrie sie – „du zerdrückst mir den Kopf! – Au, mein Kopf! Du hast ihn geklemmt, mach die Tür wieder auf – es ist so dunkel im Gefängnis! – Die Ratten beißen mich tot. – Mach auf – mach auf!“

      Des Kindes Geschrei klang so schauerlich. Frau Braun war still und starr vor Jammer, und Karoline, die sonst so beherzt war, zitterte am ganzen Leibe.

      Der Arzt verordnete Eisumschläge und verschrieb eine beruhigende Arznei.

      „Hat die Kleine eine Aufregung gehabt, vielleicht eine große Angst ausgestanden?“ fragte er.

      Frau Braun erzählte offen und wahr, was sie erlebt. Sie tat es ohne Scheu, glaubte sie doch fest an die Unschuld ihres Kindes. Auch Karoline stimmte ihr bei. – „Sie hat das Geld nicht genommen – ich nehme Gift darauf!“ sagte sie fest überzeugt.

      Vielleicht war der Arzt nicht so ganz der Meinung. „Sonderbar – sonderbar!“ murmelte er, und der Geldbeutel fand sich in der Tasche?“ fragte er dann. „Hm, hm,“ – und damit ging er fort und versprach, am andern Morgen wieder zu kommen.

      Das Rezept mußte sogleich zur Apotheke, das Eis ebenfalls herbeigeschafft werden. Karoline wollte alles besorgen, aber mit einem Male fiel Frau Braun ein, daß sie nicht so viel Geld habe, um bezahlen zu können. Ohne Besinnen nahm sie ihre warme Jacke und reichte dieselbe der Köchin.

      „Da – da nehmen Sie – und leihen Sie mir etwas darauf,“ bat sie flehentlich, „ich habe weiter nichts. Ach, wenn nur mein Kind gerettet wird!“

      Mit Entrüstung wies Karoline dies Anerbieten zurück.

      „Das fehlte mir noch!“ sagte sie, „was denken Sie denn von mir? Ich werde schon alles richtig besorgen!“ – Hatte sie nicht viel Geld aus der Sparkasse und lagen nicht schon wieder fünfzig Mark da, die sie dorthin schaffen wollte? Freudig nahm sie von ihrem Gelde und eilte in die Apotheke. –

      Nun aber müssen mir meine kleinen Zuhörer wieder zurück in die Wachtstube folgen. Ihr müßt doch wissen, was aus dem Bösewicht geworden ist, der so viel Unheil angerichtet hat.

      Nachdem Frau Braun mit Lenchen fortgegangen war, nahm der Wachtmeister August in ein strenges Verhör. Zuerst mußte Frau Stein erzählen, was sie gesehen und was sie gehört hatte, und sie tat es, nichts verschwieg sie. Vom Goldstück fing sie an, und jedes Wort, das die Buben miteinander gesprochen hatten, wiederholte sie getreu. „So,“ schloß sie ihre Erzählung, „nun habe ich gesagt, was ich weiß, und wenn es sein muß, will ich einen Eid darauf ablegen.“

      „Wo hattest du das Goldstück her?“ fragte der Wachtmeister.

      Der Junge sah tückisch zur Seite und antwortete nicht.

      „Hast du noch mehr Geld in der Tasche?“ fragte er weiter und wollte in dieselbe hineingreifen.

      „Nein!“ log der Junge und hielt sie zu.

      „Hand weg!“ fuhr ihn der Wachtmeister an und schlug tüchtig darauf. Mit einem Griffe zog er nun eine ganze Handvoll Geld aus der Hosentasche.

      „Sieh einmal, Bursche, ist das kein Geld? Sechs Mark zwanzig