Weihnachtsmärchenwald. Verschiedene Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Verschiedene Autoren
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754924617
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zwei ärmlich gekleidete Kinder. Das ältere, ein Mädchen von zehn Jahren, trug ein dünnes Kattunkleid und darüber eine wollene Jacke, die zwar nicht zerrissen, aber doch recht dünn und fadenscheinig war. Der kleine Knabe, den sie an der Hand hielt, mochte wenig über vier Jahre zählen, auch er war nett und reinlich, aber viel zu leicht für den kalten Wintertag gekleidet. Seine Händchen sahen rot und blau aus von der Kälte, die Füße staken nur in leichten Lederstiefeln, und unermüdlich trippelte er von einem auf den andern. Aber die Kleinen merkten nichts von Kälte und Schnee; ganz verloren in den Anblick all dieser herrlichen Sachen, die hier vor ihren Augen ausgebaut waren, standen sie da.

      „Du, Lene,“ sagte der Kleine, „weißt du, wenn ich einmal reich bin, dann kaufe ich mir den Nußknacker da, – siehst du, den da mit der roten Mütze und den schwarzen Augen, – und dann knacke ich viele, viele Nüsse! Für dich, für mich und für die Mutter auch. Und die Soldaten, Lene, die kaufe ich auch. Dann spielen wir damit, nicht, Lene?“

      Lenchen hörte nur mit halbem Ohre, ihre ganze Aufmerksamkeit war auf eine wundervolle Puppe gerichtet. So schön hatte sie noch niemals eine gesehen. Als ob sie lebte und eben sprechen wollte, so hielt sie das Köpfchen mit den blonden Haarzöpfen etwas zur Seite gewandt. Die Lippen waren halb geöffnet und zeigten wirkliche, wahrhaftige Zähnchen. Und nun dieser Anzug! Ein rosaseidenes Kleid mit langer Schleppe, dazu ein weißes Mäntelchen, ein weißer, entzückender Strohhut ganz kokett zurückgesetzt – und in der Hand einen allerliebsten aufgespannten Sonnenschirm von weißer Seide mit Spitzen besetzt.

      „Karl,“ rief Lenchen ganz entzückt, „sieh diese Puppe!“

      „Die kaufe ich dir auch, wenn ich reich bin, und noch viel, viel mehr,“ sagte der Kleine.

      „Du reich!“ Und Lenchen lachte herzlich, als sie diese Worte ausrief: „Du reich! Ja, wo willst du es denn herkriegen? Wir sind einmal arm, und die schönen Spielsachen dort sind nur für die reichen und vornehmen Kinder.“

      „Ich will aber reich werden!“ rief der Kleine. „Tausend Mark will ich haben und dann kaufe ich den ganzen Laden voll Spielsachen!“

      „Tausend Mark!“ wiederholte Lenchen, und bei dem Gedanken an diese, für sie unerhört große Summe lachte sie wieder fröhlich aus. „Ach, Karlchen, so viel Geld werden wir niemals haben, – dann wären wir ja reich! – Nun aber komm, wir haben die schönen Sachen genug besehen, jetzt wollen wir nach Hause gehen. Die Mutter wartet.“

      Karl riß sich schwer von dem verlockenden Anblick los, aber Lenchen nahm ihn an der Hand und führte ihn fort. Nun die herrlichen Sachen seinen Augen entschwanden, fing der Kleine an zu frieren.

      „Es ist so kalt,“ jammerte er. „Au, au, meine Hände!“

      „Sei nur ruhig, Karl, wir sind bald zu Hause,“ tröstete das Mädchen, „und dann bekommst du Kaffee, schönen, heißen Kaffee.“

      „Und Butterbrot, nicht, Lene?“ Diese verlockende Aussicht ließ ihn auch wirklich für wenige Augenblicke die bittere Kälte vergessen. Aber der Wind trieb ihm den feinen Schnee in die Augen, und er fing von neuem an bitterlich zu weinen.

      „Meine Füße sind so kalt,“ klagte er, „und der alte, böse Wind weht mir die Augen zu.“

      „Warte, du garstiger Wind, du sollst meinem Karlchen den Schnee nicht mehr in die Augen blasen,“ scherzte Lenchen und band schnell ihre Schürze ab. „So, nun hast du einen Schleier vor,“ fuhr sie lustig fort, indem sie dem Knaben ihre Schürze an seiner Mütze befestigte, „nun bist du eine vornehme Dame, nicht, Karlchen?“

      „Ich kann nicht sehen, du hast mir die Augen zugebunden. Ich weiß nicht, wo ich bin,“ rief Karl ungeduldig.

      „Komm, gib mir deine Hand. So, nun führe ich dich,“ beruhigte sie ihn. „Jetzt bist du der alte, blinde Mann, dem wir vorhin begegneten, und ich bin deine Frau.“

      „Der alte Leierkastenmann?“ fragte der Kleine und mußte über Lenchens Einfall lachen.

      Mit rührender Vorsicht führte das Mädchen sein Brüderchen Straße auf, Straße ab. Obgleich es selbst tüchtig fror, wurde es nicht müde, ihm allerhand lustige Dinge vorzuplaudern.

      „Nun zähle einmal: eins, zwei, drei,“ sagte es plötzlich, „und wir sind zu Hause.“

      Der Kleine riß die Schürze herab und blickte sich um. Richtig, da standen sie gerade vor dem großen, schönen Hause, in dessen Hintergebäude sie wohnten. Sie bogen um die Ecke in eine schmale Gasse und traten, nachdem sie an einer langen Mauer vorübergegangen waren, hinter welcher der schöne Garten der Herrschaften im Vorderhause lag, in eine kleine Seitenpforte ein. Durch einen schmalen Gang und einen dunklen Hof gingen sie nun, und endlich hatten sie die Haustür eines baufälligen Hauses erreicht. Stockdunkel war es darin, aber Lenchen wußte Bescheid. Bald hatte sie die wackelige Treppe gefunden und jetzt ging es treppauf, vier Stock hoch, bis unter das Dach. Karl bekam wieder Lebensmut und rief: „Mutter, mach auf, wir kommen!“

      Da öffnete sich zur Seite eine Bodentüre und eine blasse, ärmliche Frau erschien mit der Lampe in der Hand. „Ihr bleibt ja lang aus, Kinder,“ sagte sie, „konntet ihr euch von den schönen Sachen auf dem Christmarkt nicht trennen?“

      Der Kleine vergaß alle ausgestandene Kälte und fing an, lebhaft zu erzählen, was er alles gesehen. Dabei wollte er gleich an der Mutter vorbei in die Stube huschen.

      „Erst den Schnee abschütteln und die Schuhe abstreichen, sonst machst du die Stube schmutzig,“ ermahnte die Mutter und hielt ihn zurück. „Du weißt doch, daß ich sie erst heute gescheuert habe.“

      Gehorsam schüttelte der Knabe den Schnee herunter und Lenchen zog ihm die nassen Stiefel von den erstarrten Füßen, dann steckte sie diese in ein Paar alte, warme Filzschuhe.

      Es war ein kleiner Raum, in welchen sie jetzt eintraten, Küche, Wohn- und Schlafzimmer zugleich. Not und Dürftigkeit hatten ihre Wohnung darin aufgeschlagen, und wo die einmal hausen, da ist auch die Sorge nicht fern.

      Ihr kleinen Mädchen und Knaben, die ihr Armut kaum dem Namen nach kennt, die ihr in Freude und Wohlstand großgezogen werdet, wie würdet ihr staunen, wenn ihr gleich einmal aus eurer behaglichen Häuslichkeit in das Dachstübchen der Frau Braun versetzt würdet! Ein alter, wurmstichiger Tisch am Fenster, drei hölzerne Stühle, ein Bett, eine bunt bemalte Lade, noch aus Frau Brauns Mädchenzeit, – das war die ganze Einrichtung. Draußen, dicht an der Stubentür, stand noch ein Schränkchen, – ihr seliger Mann hatte dasselbe einst aus einer alten Kiste gezimmert, – Tassen und Töpfchen standen darin. Karl liebte diesen Schrank besonders, weil die Mutter auch Brot und Butter darin aufbewahrte, – manchmal sogar ein paar Äpfel, wenn das Obst recht billig war.

      Die Mutter hatte den Tisch dicht an den warmen Ofen gerückt, am Fenster war es zu kalt, der Wind zog hindurch, ja heute blies er sogar kleine Schneeflocken durch die Spalten und Ritzen des kleinen morschen Fensters. – Lenchen trug die Stühle heran, und als die Kinder sich gesetzt hatten, schenkte ihnen die Mutter Kaffee ein und reichte jedem ein Stück Brot dazu.

      „Da eßt, Kinder,“ sagte sie. „Butter kann ich heute nicht geben, wir müssen sparen. In acht Tagen muß die Miete bezahlt werden, das wißt ihr doch.“

      „Aber Sirup kannst du doch aufschmieren, der kostet nicht viel,“ sagte der kleine Karl und sah seine Mutter ganz altklug dabei an.

      „Nein, Karlchen, heute gibt es gar nichts weiter als trockenes Brot. Vielleicht kann ich euch auch das bald nicht mehr reichen,“ setzte sie mit einem schweren Seufzer hinzu.

      Der Kleine nahm unterdessen sein Brot und aß und trank mit einem Vergnügen, als ob er Kuchen und Schokolade verzehrte; es war eine Lust, dem Knaben, der trotz der kärglichen Kost so gesund und blühend aussah, zuzuschauen.

      Als er aufgegessen hatte, holte er sich einen kleinen hölzernen Schemel aus der Ecke, setzte ihn dicht zu Füßen seiner Mutter, lehnte sein Köpfchen an ihren Schoß, erzählte noch einige Augenblicke von den vielen schönen Sachen, die er gesehen und die er alle kaufen