Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
Скачать книгу
sonst hätte er hier ja kaum ein derart groβes Haus mit ständig darin wohnendem Hauspersonal. Wenn ich Justina richtig verstanden habe, soll er sich hier ja oft mit irgendwelchen Geschäftsleuten treffen. Menschenskind, bin ich froh, dass es hier einen Menschen gibt, mit dem ich mich richtig unterhalten kann! Sie hat etwas davon gesagt, dass sie aus einer „Kolonie“ kommt. Ein Ort mitten im Urwald, wo nur Deutsch gesprochen wird. Seltsam… aber, hat nicht Walter aus Sennestadt so was Ähnliches auch mal erwähnt? Es gibt hier ganz und gar deutsche Siedlungen. Auch Deisenhofer soll ja in einer deutschen Siedlung wohnen. Aber, wenn ich das richtig verstanden hab, sind das zwei unterschiedliche Orte. Und noch nicht einmal nahe zusammen liegend. Wie Justina dann hier ins Haus zu den Deisenhofers gekommen sein mag? Ach, womöglich einfach über zufällige Bekanntschaften. Werde ich ja alles noch erfahren. Und bis Deisenhofer kommt, müssen ich und der Kleine hier irgendwie klar kommen. Ich begreife nur nicht, was das Ganze hier eigentlich ist. Gleich zwei „Haushälterinnen“, die die Stadtwohnung eines … ja was? Eines reichen Geschäftsmannes aus dem Inland in Stand halten? Das ist doch alles irgendwie unlogisch. So, wie sich diese beiden Frauen anhören, leben sie ja nicht gerade aus purer Freundschaft unter einem Dach.

      Es sollte noch relativ lange dauern, bis Arthurs Vater sämtliche Zusammenhänge für den Grund dieser Wohngemeinschaft durchschauen würde. Vorerst nur so viel dazu: Luisa, die schon wesentlich länger als Justina in dem Haus lebte, hatte von Anfang an eine gewisse Überlegenheit gegenüber der hinzugezogenen Mitbewohnerin und Mitarbeiterin an den Tag gelegt. Und Justina hatte sich nie dagegen aufgelehnt, war sie doch froh, dass sie hier überhaupt eine kostenlose Bleibe gefunden hatte und dass sie meistens lediglich die Küchenarbeit erledigen musste. Das Wenige, was sie an Bargeld benötigte, um sich selbst und ihre Tochter einzukleiden, verdiente sie sich mit gelegentlichen Näharbeiten. Manchmal brauchte eine der Damen aus Frau Deisenhofers Bekanntenkreis ein Kleid, oder sie nähte Hosen für die Arbeiter, die bei Julius Deisenhofer in Independencia im Wald und auf dem Feld beschäftigt waren.

      Luisa schien mit ihren Anweisungen zum Menü des nächsten Tages fertig zu sein. Sie drehte sich um und lächelte Arthurs Vater herausfordernd an. Dabei blitzten ihre schönen Zähne. Mit einer leicht herrisch wirkenden Geste machte sie ihm deutlich, dass er mitkommen sollte, um die Kleidung für sich und seinen Sohn auszupacken, um sie dann in einem der Fächer im Schrank, das sie inzwischen frei gemacht hatte, unterzubringen.

      Indessen waren Arthur und Maria Celeste glücklich darüber, dass sich die Erwachsenen so lange nicht um sie kümmerten. Zuerst waren sie sich im Zuber nur gegenübergesessen, hatten sich gegenseitig genau betrachtet und angelächelt. Ihre Unterhaltung verlief schweigend, auf unhörbarer Ebene. Einmal streckte Arthur die Hand nach Maria Celeste aus, als wolle er feststellen: „Gibt es dich wirklich?“ Da beugte sie sich spontan vor, um mit ihrem Gesicht Arthurs Fingerspitzen zu erreichen. Lachend bewegte sie mehrmals ihr Gesicht auf und ab, so dass seine Finger an ihrer Wange entlangstrichen.

      Jegliches Treiben, Kommen und Gehen im Patio war für die beiden unwichtig. Sie hatten weder auf Justina und Hildegard geachtet, als diese an ihnen vorübergegangen waren, noch bemerkten sie die Frau, die mit einem Kind an der Hand und einem Kleinkind im Arm zu Luisa ins Schlafzimmer gegangen war und kurz darauf den Hof wieder verließ. Erst als Luisa mit einem groβen Badetuch an die Wanne trat und sie kräftig abrubbelte, kehrte ihr Interesse für die Umgebung zurück. Die Sonne senkte sich bereits und lieβ die Schatten länger werden.

      Im Laufe des Abends lernte Arthur die kleinen Brüder seiner neuen Freundin sowie Justina und Hildegard kennen. Zu Beginn war er tief beeindruckt von den anderen Kindern, die im Haus lebten, jedoch würde er nur zu bald feststellen, dass ihn die Spielereien der beiden Jungen, von denen der Kleinere noch nicht einmal gehen konnte, langweilten. Die groβgewachsene Hildegard hingegen übte von Anfang an eine gewisse Faszination auf ihn aus, da sie sozusagen ein „Schwellenwesen“ war. Sie stand auf der Schwelle zwischen Kind und Erwachsenem. Mit ihren fast dreizehn Jahren war sie beinahe so groβ wie eine erwachsene Frau, wies jedoch bei fast knabenhafter Magerkeit keine für Frauen typischen Rundungen auf. Sie benahm sich auch nie wie die Großen und reagierte immer sofort darauf, wenn einer von den Erwachsenen sagte „Kinder, macht dieses oder jenes.“

      Die neu zusammengewürfelte Hinterhausgemeinschaft hatte zu Abend gegessen, jetzt krabbelten Arthur und Maria Celeste in das gemeinsame Bett. Sie kicherten noch lange über irgendetwas, am Ende schliefen sie Händchen haltend ein.

      Luisa hatte auch ihre beiden kleinen Söhne schlafen gelegt, danach fing sie an, in einer Ecke des Gartens Holz aufzuschichten. Allem Anschein nach wollte sie ein kleines Lagerfeuer anzuzünden. Leicht verwundert fing Arthurs Vater an, ihr zu helfen. Auch wenn er sich Mühe gab, seine Blicke nicht aufdringlich an ihr kleben zu lassen, beobachtete er Luisas geschmeidige Bewegungen sehr genau. Das Feuermachen schien eine alltägliche Angelegenheit zu sein. Jeder ihrer Handgriffe war geübt, selbstsicher und irgendwie elegant.

      Tief in die einfachen Gartenstühle gedrückt saβen sie wenig später am Feuer und versuchten fast krampfhaft, so etwas wie eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Arthurs Vater musste immer wieder gähnen, wartete insgeheim darauf, dass auch Justina irgendwann herauskommen und sich dazusetzen würde. Sie war nach dem Abendessen aufgestanden und hatte die anderen energisch aus der Küche geschickt. Wer noch das Bedürfnis hatte zu duschen, dem würde sie einen Kessel heiβes Wasser bereitstellen, aber dann hieβ es „raus!“ Sein Angebot, ihr beim Aufräumen der Küche behilflich zu sein, hatte sie wortlos, mit kategorischem Kopfschütteln abgelehnt.

      Das Gespräch im Garten zog sich in schwerfälliger Suche nach dem richtigen Vokabular in Richtung freundliches Schweigen.

      Irgendwann wird Justina ganz bestimmt noch herauskommen, überlegte Arthurs Vater seufzend. Kann ja nicht ewig dauern, die Küche in Ordnung zu bringen... Luisa ist ja wirklich bezaubernd und ich will, so schnell ich kann, diese verflixte Sprache lernen, aber für heute habe ich eigentlich genug. Ich möchte nur noch ein paar brauchbare Informationen über den groβen „Don Julio“ und den Ort Independencia hören. Justina kann mir bestimmt noch vieles erzählen. Sie muss doch endlich herauskommen... Ich höre gar kein Töpfegeklapper mehr aus der Küche. Sie ist demnach mit dem Abwasch fertig.

      Justina gesellte sich nicht zu den anderen im Garten.

      Auch am nächsten Abend blieb sie nach dem Essen allein in der Küche.

      Und an kommenden Abenden ebenso.

      Die nächsten Tage nutzte Arthurs Vater, um sich die Stadt anzusehen. Täglich schnürte er am Morgen nach dem Frühstück seine Wanderschuhe und ging einfach los. Zielloses Erkunden. Auf diesen ziellosen Erkundungsgängen hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Im Grunde hatte er keine konkreten Vorstellungen, was er als nächstes tun sollte, um hier in Paraguay Fuβ zu fassen und seine Träume zu verwirklichen. Vertrauensselig hatte er sich darauf verlassen, dass sich am Ende schon alles irgendwie „ergeben“ werde. Schlieβlich hatten ihm die Freunde in Asemissen und Sennestadt versprochen, dass Julius Deisenhofer alles in die Wege leiten würde. Er konnte also vorerst gar nichts anderes tun, als auf diesen Deisenhofer zu warten. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn trotzdem, wenn er daran dachte, dass er die Gastfreundschaft eines Fremden einfach beanspruchte, ohne eine konkrete Abmachung mit ihm getroffen zu haben. Noch nicht einmal persönlichen Briefkontakt hatte er aufgenommen, sondern seine Absicht, nach Paraguay zu kommen, nur über Freunde angekündigt.

      Wenn er mir nun am Ende eine Rechnung stellt, die ich gar nicht bezahlen kann? Er hat mir zwar ausrichten lassen, dass er mich in Empfang nehmen würde, und dass er sich über einen neuen Siedler in Independencia freuen würde, aber von Geld hat keiner geredet. Nun ja, immerhin habe ich nichts unterschrieben.

      Bei dem Gedanken, am Ende vielleicht doch zur Rückreise nach Deutschland gezwungen zu sein, lief ihm ein Schauer über den Nacken. Sein Kapital wäre nach einer weiteren Schiffsreise beträchtlich zusammengeschrumpft. Und dann? Ein dumpfer Anflug von Schuldbewusstsein legte sich auf sein Gemüt, wenn er daran dachte, wie ärgerlich seine Schwestern über sein Weggehen gewesen waren. Gewissermaβen hatte er dadurch alle Brücken abgerissen.

      Was soll’s, dachte er seufzend. Jetzt bin ich hier und muss schauen, was ich