Und genauso plötzlich wie die Stille eingetreten war, verschwand sie auch wieder, als alle satt waren und Justina die Mahlzeit für beendet erklärte, indem sie aufstand und anfing, den Tisch abzuräumen.
Luisa zog Adalberto am Arm nach drauβen und forderte ihn in neckischem Befehlston auf, Brennholz bei der üblichen Feuerstelle aufzuschichten. Über alle Maßen witzige Bemerkungen schienen zwischen den Arbeitern und Luisa hin und herzufliegen, denn die wenig geistreichen Gespräche endeten immer wieder in Luisas perlendem Lachen. Arthurs Vater konnte annähernd den Sinn verstehen, als sie dann die Stimme senkte und zu Miguel sagte: „Du könntest die Korbsessel von der Terrasse in den Garten bringen, während ich mich um die Kinder kümmere. Und lass dir von der Küchenhilfe eine Flasche Wein und Gläser geben! Ich bin gleich wieder da.“
Küchenhilfe! Ich lag also gar nicht so verkehrt mit meinem Eindruck, dachte Arthurs Vater. Luisa spielt vor den Arbeitern die überlegene Hausherrin. Ich möchte mal sehen, ob sie genauso herablassend über Justina spricht, wenn die Deisenhofers da sind.
Miguel hatte seine Finger in die Öffnungen der vier Gläser gesteckt, um sie zusammen mit der Weinflasche in den Patio zu tragen. Arthurs Vater wollte behilflich sein, und Miguel etwas abnehmen, dieser ignorierte ihn jedoch. Also beeilte Arthurs Vater sich, einen Hocker bereitzustellen. Miguel nickte nur, stellte Flasche und Gläser ab, dann machte er sich ohne ein Wort zu sagen daran, eine Hängematte zwischen den Pfeilern des Vordachs aufzuspannen. Adalberto tat das Gleiche, ebenfalls in tiefes Schweigen gehüllt.
Komisch, dachte Arthurs Vater, diese beiden Kerle scheinen nur mit Kindern und Luisa zu sprechen.
Er setzte sich. Miguel war mit dem umständlichen Knoten an seiner Hängematte fertig, also setzte er sich ebenfalls. Wenig später ließ sich auch Adalberto auf einen Stuhl fallen. Keiner der drei sagte etwas. Die Stille hing bleiern über ihnen, war irgendwie peinlich. Alle warteten auf Luisa.
Nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, kam sie langsam, mit leicht wiegenden Hüften in den Patio. Sie streckte sich genussvoll, fuhr mit der Hand über ihren Nacken und löste dabei wie zufällig die Spange, die ihr langes schwarzes Haar in einem dicken Pferdeschwanz zusammengehalten hatte. „Nun Männer, kriege ich ein Glas Wein?“, fragte sie mit kecker Stimme. Und sofort griffen alle drei Männer nach dem Weinglas, das man für sie bereitgestellt hatte. Luisa lachte etwas zu laut.
Auch wenn sie sich betont fröhlich gab und versuchte, die Männer mit ihrer guten Laune anzustecken, war die Stimmung am Lagerfeuer eher angespannt. Von der lustigen Ausgelassenheit, die beim Spielen mit den Kindern geherrscht hatte, war bei Deisenhofers Arbeitern nun nichts mehr zu spüren. Jeder von ihnen bemühte sich, Luisa in ein Gespräch zu verwickeln, wurde aber früher oder später vom anderen unterbrochen.
Ich glaub es kaum!, dachte Arthurs Vater. Die Beiden versuchen anscheinend, sich bei Luisa einzuschmeicheln und sich dabei untereinander auszustechen! Allerdings, wie mir scheint, nicht zum ersten Mal! Und Luisa, dieses kleine Biest, scheint das auch noch in vollen Zügen zu genieβen! Jedenfalls kichert sie heute herum, wie ein Backfisch. Der Wein tut das Seinige dazu.
Auch wenn er jetzt so tat, als ginge ihn die kleine gesellschaftliche Runde nichts an, beobachtete und interpretierte Arthurs Vater mit lauernder Achtsamkeit alles, was die fremden Männer taten oder sagen mochten. Denn nicht einmal ansatzweise konnte er verstehen, was da wirklich zur Sprache gebracht wurde. Zu häufig glitten die Arbeiter, und damit auch Luisa, ins Guaraní ab, die eigentliche Muttersprache der meisten Paraguayer. Und sosehr er auch versuchte sich selbst einzureden, dass es ihm einerlei sei, worüber die untereinander offensichtlich befreundeten Arbeiter mit Luisa reden könnten, konnte er sich nicht dazu entschließen, die Runde einfach zu verlassen und ins Bett zu gehen. Luisas häufiges Kichern in leicht überhöhter Tonlage wirkte einerseits abstoßend auf ihn, andererseits hätte er nicht abstreiten können, dass es ihn auch irgendwie faszinierte. Er tat also, als sei er angestrengt mit dem Lagerfeuer beschäftigt, stocherte in der Glut herum, schob die brennenden Holzscheite immer wieder zurecht und beobachtete aus den Augenwinkeln die sich anbahnende Rivalität der beiden Arbeiter. Miguel bemühte sich gerade deutlich darum, irgendetwas Originelles zu erzählen und Luisas Aufmerksamkeit zu fesseln, irgendwann schien sein Tonfall immer persönlicher zu werden, schließlich redete er regelrecht schmeichelnd auf sie ein, bis Luisa anfing schelmisch zu kichern, dann laut zu lachen. Da mischte sich Adalberto in das Gespräch, das eigentlich ein Monolog gewesen war und redete seinerseits über irgendetwas Witziges, über das Luisa lachen konnte, um dann wiederum in einen schmeichelnden Tonfall überzugehen. Immer wieder versuchte einer von beiden, Luisas Aufmerksamkeit ganz für sich zu gewinnen.
Arthurs Vater verstand nichts von der Unterhaltung, aber das war auch nicht notwendig. So viel war offensichtlich: im Alltag und bei der Arbeit waren die Männer Kollegen. Jetzt, am Lagerfeuer und in Gegenwart einer schönen Frau waren sie nur Rivalen. Je später der Abend und je höher der Alkoholgehalt im Blut der Besucher, desto deutlicher die Bereitschaft zum Wettstreit. Mochten sie ansonsten auch gute Kameraden, fast Freunde sein.
Arthur behauptet an dieser Stelle, dass allen Latinos eine gewisse Rivalität untereinander „angeboren“ sei. Selbst wenn sie sich als Freunde bezeichnen, käme in Gegenwart einer mehr oder minder schönen Frau immer so etwas wie eine „Hahnenkampf-Mentalität“ zutage.
„Ist es nicht so“, frage ich ihn herausfordernd, „dass dieses Balzgehabe bei allen Männern zu finden ist? Haben wir dann nicht alle das Bedürfnis, den Frauen angenehm aufzufallen? Ich glaube kaum, dass die Latinos da eine Ausnahme sind.“
„Ausnahme ist das falsche Wort. Wir haben sicherlich die gleichen biologischen Voraussetzungen... aber ich glaube, dass die unterschiedliche Lebensweise, die unterschiedlichen Kulturen sich auch in der Veranlagung niedergeschlagen haben.“
„Quatsch!“, rufe ich. „Es mag zwar richtig sein, dass man den Männern des Südens eine ausgeprägtere Heiβblütigkeit nachsagt, als uns Männern aus dem ’kalten Norden‘, aber das ist doch letztendlich eine Frage der Erziehung!“
„Bist du da wirklich sicher?“
„Ja natürlich! Ein Weißhäutiger aus dem hohen Norden kann genauso den Kopf verlieren, wie ein Südländer, wenn er verliebt ist. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Wer kennt das nicht? Nicht unsere hellere Hautfarbe macht uns ‘kalt’, sondern die antrainierte Beherrschung unserer Gefühle! Schon unseren Kindern bringen wir schlieβlich bei: halte deine Gefühle zurück, brülle deine Wut nicht unkontrolliert heraus, schreie nicht drauflos, wenn dir etwas nicht passt, weine nicht in der Öffentlichkeit, sobald du ein gewisses Alter erreicht hast, aber singe auch nicht lauthals, nur weil du grad’ fröhlich bist und so weiter! Und dieses Abgewöhnen von unkontrolliertem Verhalten geht schlicht und einfach mit der allgemeinen Bildung Hand in Hand! Mit Herkunft oder Hautfarbe hat das absolut nichts zu tun!“
„Ich wäre da nicht so sicher. Kann es nicht auch sein, dass sich das ständige Niederkämpfen von leidenschaftlichen Gefühlen auf unsere gesamte Veranlagung auswirkt? Es heiβt schlieβlich nicht umsonst, dass ein blasser Nordländer auch in seinen Gefühlen irgendwie ‘blasser’ ist, als beispielsweise der ‘heiβblütige’ Spanier oder Italiener, oder eben ‘Latino’!“
„Wenn du dir jetzt die Frage stellst, ob sich Verhaltensweisen, die über Generationen hinweg an- oder abtrainiert werden, irgendwann im genetischen Material festsetzen, muss ich passen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall glaube ich, dass unsere Vorfahren, die wilden Germanen, hübsch dieselben genetischen Veranlagungen hatten wie wir.“
Wie immer scheint Arthur meine Argumente einfach zu ignorieren, wenn ihm kein passendes Gegenargument