Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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geschäftlichen Fragen abgesehen war es Arthurs Vater irgendwann am Abend gelungen, das Gespräch auf Luisa und Justina im Deisenhofer’schen Stadthaus in Asunción zu lenken. Zu oft kreisten seine Gedanken um die beiden Frauen im Hinterhaus. Es musste eine Erklärung dafür geben, dass eine Frau wie Luisa mit gleich drei Kindern in Deisenhofers Stadtwohnung praktisch schalten und walten konnte wie es ihr behagte.

      Was er von Deisenhofer über Luisas Geschichte erfuhr, verschlug ihm die Sprache. Dabei hatte Deisenhofer noch nicht einmal von ihren grausamen Kindheitserlebnissen gesprochen.

      „Das schöne Kind ist schon als Siebzehnjährige zu uns in mein Elternhaus gekommen“, fing Deisenhofer zu erzählen an. „Franzisco, ihr Vater, hatte schon viele Jahre vorher bei meinen Eltern als Feldarbeiter mitgeholfen. Verstehst du, mein Freund, er kam immer dann, wenn sein Geldbeutel leer war und hat die Felder sauber gehalten, bei der Weinlese mitgeholfen und so weiter. Mein alter Herr hat Franzisco immer wieder Arbeit gegeben, weil ein zäher Bursche war und eine angefangene Arbeit nie abgebrochen hat.“

      „Und seine Familie? Haben sie hier gewohnt?“, wollte Arthurs Vater wissen.

      „Nein. Zu Anfang wussten meine Eltern nicht einmal, dass er Frau und Kinder hatte. Die Familie, also auch unsere kleine Luisa, lebte einige Kilometer weiter südlich an der Straβe nach Villarica. Franzisco hat sich bei uns im Arbeiterhaus einquartiert, solange es bei uns etwas zu tun gab. Aber das sag ich dir, mein Freund, ein Kind von Traurigkeit war der nicht! Am Abend hat er sich fast immer irgendwo in der Gegend herumgetrieben und seinen Spaβ gehabt. Trotzdem kam er am Morgen immer auf’s Feld, sobald es hell wurde. Aber mit den Jahren fingen bei ihm dann die kleinen Zipperlein an: die Knochen taten weh, manchmal auch die Zähne, wie das so ist. Da war er dann zwar nicht mehr der Richtige für schwere Feldarbeit, aber er wurde immer beständiger, verschwand nicht mehr monatelang und mein Vater konnte sich auf ihn als Arbeiter verlassen, auch wenn er eigentlich nur noch zum Aufpasser und Handlanger taugte.

      Aber weißt du mein lieber Freund, mein Vater selbst wurde ja auch nicht jünger. Er wollte, dass mein kleiner Bruder Anton und ich die ganze Wirtschaft nach und nach übernähmen. Jeder zur Hälfte! Da gab es für meinen alten Herrn nichts, mein Freund. Von wegen ältester Sohn, Alleinerbe und so weiter. Das sag ich dir: mein Vater war da sehr gerecht! Ich hatte inzwischen meine Christa kennen gelernt und mein Vater hat mir geholfen, dieses Haus zu bauen. Anton ist bei den Eltern geblieben. Aber meine Mutter, die gute Frau, war eben auch schon recht alt und irgendwann fiel ihr die Hausarbeit schwer. Sie hatte zwar schon lange eine Haushaltshilfe, die das Haus sauber gehalten, gewaschen und gebügelt hat, aber Kochen, Einkaufen, Nähen und im Herbst das Obst einkochen und so weiter hatte sie sich nie nehmen lassen. Und auch das wurde ihr irgendwann zu viel, deshalb haben wir eine zweite Hausangestellte gesucht, die waschen, bügeln und putzen sollte, während das frühere Hausmädchen die Küchenarbeit übernehmen würde. Ja, und Franzisco hat meinen Eltern erzählt, dass er eine siebzehnjährige Tochter hätte… und alles Weitere ergab sich für unsere Luisa wie von selbst. Ich sage dir, mein lieber Freund, sie war glücklich über die Stelle. Meine Eltern waren zwar streng, aber immer freundlich und gerecht zu der Kleinen.“

      „Und wieso lebt Luisa heute in der Stadt?“, warf Arthur Vater ein.

      Deisenhofer grinste eine Weile schweigend, dann fuhr er fort: „Ja weiβt du, mein lieber Freund, mein kleiner Bruder Anton war damals, als dieses schöne Weibsbild zu meinen Alten ins Haus kam, grade mal fünfundzwanzig Jahre alt! Da kannst du sicherlich verstehen, dass mein lieber kleiner Bruder ganz und gar nicht abgeneigt war, dieses hübsche junge Ding näher kennen zu lernen, was? Es hat nicht lange gedauert, bis die beiden alles andere waren als ‘Sohn des Hauses’ und Hausangestellte, ha ha ha! Und wen hat das schon gestört? Warum sollte jemand etwas dagegen haben, dass Anton und das hübsche Dienstmädchen ihren Spaβ miteinander hatten? Ich glaube, meine alten Herrschaften haben zwar gewusst, dass ihr kleiner Bub das Hausmädchen dann und wann in seinen eigenen Dienst einspannte, aber niemand zerbrach sich den Kopf darüber.“

      Deisenhofer lächelte bei der Erinnerung. „Allerdings stand für uns alle immer fest: der Junge müsste irgendwann seine Hörner abgestoβen haben und sich eine Frau zum Heiraten und Kinderkriegen suchen. Und zwar eine Hellhäutige mit blauen Augen! Eine von uns eben!“

      Arthurs Vater schluckte peinlich berührt. Deisenhofers selbstgefälliges Kichern ärgerte ihn, er sagte aber nichts.

      Julius Deisenhofer entging nicht, dass seine Ansichten nicht gerade Zustimmung hervorriefen. „Überleg doch einmal: Da wartet ein bildhübsches Frauenzimmer allabendlich in ihrer Schlafkammer nur darauf, dass der junge Sohn des Hauses einen Besuch bei ihr abstattet. Und Luisa, dieses Frauenzimmer, war schon mit ihren siebzehn Jahren mit allen Wassern gewaschen, das sag ich dir, mein Freund. Also nein, das konnte man dem Anton nu’ wirklich nicht verdenken, dass er annahm, was die Kleine ihm nur zu bereitwillig geboten hat. Aber – wenn er am Abend Besseres zu tun hatte, als seine kleine Luisa in ihrer Kammer zu besuchen, dann konnte sie ihm natürlich keine Vorwürfe machen. Anton konnte ohne jegliche Verantwortung seine Erfahrungen sammeln. Und davon träumt doch jeder junge Mann! Diese unverbindliche Beziehung hat ihn doch allenfalls mal ein kleines Geschenk gekostet. Etwas Flitterkram in Form von bunten Plastikperlen oder mal ein kleines Taschenspiegelchen, da sind doch diese Weibsen glücklich und zufrieden, empfangen dich bereitwillig wann immer du willst. Jedenfalls war unsere Luisa vollkommen zufrieden mit ihrem Dasein und hat dabei nicht vergessen, auch meine alten Herrschaften immer zufrieden zu stellen mit ihrer Arbeit als Dienstmädchen. Denk’ dir doch mal, mein Freund, wie viel komfortabler ihr Leben im Haus meiner Eltern war. Bei ihnen zu Hause hatte es nur eine ärmliche Palmenhütte mit Löchern im Dach gegeben, dort musste sie auf dem Feld mithelfen, hat kaum richtig satt zu Essen gehabt.“

      Arthurs Vater nickte nachdenklich. Es leuchtete ihm ein, dass Luisa damals womöglich glücklich über ihre Arbeit als Hausmädchen gewesen war. Dass sich ein junges Mädchen von siebzehn Jahren jedoch für ein paar wertlose Geschenke an den Sohn ihrer Arbeitgeber wegwarf, wollte er nicht so ganz glauben. Er blickte hinüber zu Christa Deisenhofer, die bisher kein einziges Wort gesagt hatte. Sie saß da und schaute in die Ferne. Ihr Gesicht glich einer hölzernen Maske.

      „Irgendwann hatte unser Anton allerdings beschlossen, ebenfalls zu heiraten und in sein eigenes Haus umzusiedeln“, redete Julius Deisenhofer weiter. Der ablehnende Ausdruck auf den Gesichtern seiner Zuhörer schien ihn nicht zu stören.

      „Das heiβt, Vater und Mutter lebten nun allein in ihrem recht groβen Haus. Das Haus kann ich dir morgen einmal zeigen, mein lieber Freund, ist ja hier gleich um die Ecke. Haben wir für gutes Geld an den Schulmeister und seine Familie vermietet.

      „Nun gut, am Ende war Anton verheiratet, meine Eltern waren plötzlich allein, hatten eine Köchin und noch die Putz- und Waschfrau Luisa. Aber in ihrem Haushalt fiel, nachdem Anton ausgezogen war, gar nicht mehr so viel Arbeit an, dass meine Mutter gleich zwei Haushaltshilfen hätte voll beschäftigen können. Deshalb hatte die gute Luisa von heute auf morgen viel, viel freie Zeit. Und meine überaus praktisch denkende Mutter mit ihrem groβen Herzen bietet ihrer neuen Schwiegertochter an, ihr drei Mal pro Woche für ein paar Stunden eine ihrer Arbeitskräfte abzugeben. Verstehst du? Luisa sollte, wie immer, die Arbeit im Haus meiner Eltern erledigen, dann blieb noch genügend Zeit, Antons Frau unter die Arme zu greifen. Eine perfekte Lösung für alle! Ja, und anfangs war es das auch. Es hat nur leider niemand daran gedacht, dass Anton auch als verheirateter Mann noch Augen für das hübsche Dienstmädchen haben könnte. Seine Braut hatte ja auch nie erfahren, was da zwischen ihrem Anton und dem Mädchen jahrelang gelaufen war. Vielleicht hätte meine Mutter wissen sollen, dass das nicht gut gehen konnte.“

      „Was hat Luisa denn getan?, fragte Arthurs Vater, Ahnungslosigkeit vortäuschend, obwohl er natürlich längst begriff, auf welche Weise Luisa zu einem Problem für die Familie Deisenhofer geworden war. Julius Deisenhofer schien jetzt mit jedem Schluck aus seinem Weinglas redseliger zu werden und Arthurs Vater wollte die Gelegenheit nutzen, so viel wie nur möglich über Luisa zu erfahren.

      „Getan?“, Deisenhofer machte ein spöttisches Gesicht. „Die Gute hat getan was sie konnte, um ihre alte Verbindung zu meinem Bruder wieder in alte Bahnen zu lenken! Sie ging pünktlich