Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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ahnte noch immer nichts. Zum Glück! Aber es blieb ja gar nicht mehr viel Zeit, bis jedermann sehen konnte, was mit Luisa los war. Es half Anton auch nichts mehr, seine erste Wut auf die Kleine niedergehen zu lassen. Schwanger ist eben schwanger! Da konnte nur noch der weise Rat des groβen Bruders helfen, bevor ganz Independencia erfahren hätte, was da gebrütet wurde. Es blieb ihm nichts anderes übrig als mir alles zu erzählen. Und denk dir mal nicht, dass ich ihn mit Samthandschuhen angepackt hätte, diesen unverbesserlichen Dummkopf. Um ein Haar hätte er den Ruf unserer ganzen Familie ruiniert und sich selbst zur öffentlichen Witzfigur gemacht. Weiβt du, eine liebe heimliche Ausweichmöglichkeit hie und da ist eine Sache, aber eine Zweitfrau aus dem Haus der eigenen Eltern, die noch dazu der ganzen Dorfgemeinschaft bekannt ist! Das hätte Wellen geschlagen, das sag ich dir. Völlig fertig war der arme Idiot. Damit hatte er nach so vielen Jahren nicht mehr gerechnet. Ja, ja, in den ersten Jahren hatte er sich noch zurückgehalten. Du weiβt schon, was ich meine, mein Freund. Aber was heiβt das schon, sich im Moment der Wahrheit zurückhalten! Ha ha ha! Das wissen wir ja alle! Und trotzdem: zehn Jahre lang war es gut gegangen... naja, irgendwann hat es mal Munkeleien darüber gegeben, dass Luisa schon einmal Hilfe bei einem ‘Curandero’, du weiβ schon: bei einem dieser selbstgestrickten Heiler gesucht haben soll, aber wir haben uns um diese Dinge gar nicht weiter gekümmert. Jetzt hatten wir das Problem auf der Hand, beziehungsweise in Luisas Bauch! Und zwar war dieses Bäuchlein etwa so groβ wie eine halbe Wassermelone, als mein liebes Brüderchen überhaupt was gemerkt hat. Stell dir das mal vor, mein lieber Freund! Viel Zeit blieb uns da nicht, wir mussten schnell handeln. Und halt dich fest, es kommt noch besser.“

      Deisenhofer schwieg einen Moment, um die Spannung zu erhöhen.

      „Nur drei oder vier Tage, nachdem ich von dem Dilemma erfahren hatte, hat Antons Frau die ganze Familie zum Abendessen eingeladen. Verstehst du, so ein richtig festliches Familienessen, mit allem Drum und Dran. Keiner wusste, ob es einen speziellen Anlass zu dieser Einladung gab, denn Rosemarie hat immer gerne gekocht und Leute um sich gehabt. Luisa half ihr selbstverständlich bei den Vorbereitungen. Ha ha, sie musste schon sehr vorsichtig bei der Auswahl ihrer Garderobe sein, damit keiner was bemerkte. Und als wir uns alle an den Tisch gesetzt hatten, um zu essen, steht Rosemarie auf und sie sagte wortwörtlich: ‚Meine Lieben, ich habe euch etwas zu sagen: In einem halben Jahr wird euer Anton glücklicher Vater werden’. Ha! Luisa hätte fast das Tablett mit den Salaten fallen lassen und der liebe Anton ist erst einmal weiβ geworden wie ein Bettlaken und hat gar nicht kapiert, weshalb seine Frau strahlte wie ein Honigkuchenpferd! Zuerst war alles still. Und nun stell dir vor: Luisa war die allererste, die auf Rosemarie zugegangen ist, ihrer Chefin die Hand reichte und gratulierte!“

      Arthurs Vater war sprachlos. Kopfschüttelnd griff er nach seinem Weinglas und trank den Rest aus. Nach einer Weile sagte er: „Unglaublich. Aber sag mir, was hatte das mit dem Arzt auf sich, den Luisa zuvor angeblich aufgesucht haben soll?“

      „Ach, alles Gerede, wer weiβ von wem“, antwortete Deisenhofer schon etwas undeutlich mit wegwerfender Handbewegung. „Ist ja auch unwichtig. Wichtig war damals, dass uns schnell was einfallen musste, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Nun ja, aus der Welt schaffen ging zwar nicht, aber zumindest aus Independencia raus. Und den Rest kannst du dir ja wohl selbst zusammenreimen, mein lieber Freund, nicht? Ich wusste, was ich wissen musste und ich habe gehandelt. Richtig gehandelt, das sag ich dir.“

      Ein Lächeln voller Selbstgefälligkeit umspielte seine vom Wein geröteten Augen.

      Langsam begriff Arthurs Vater, wie explosiv die Familiengeheimnisse waren, in die er soeben eingeweiht worden war. Es blieb nur zu hoffen, dass Luisa verschwiegener wäre als Julius Deisenhofer. Schlieβlich war sie die Mutter seiner Nichte Maria Celeste. Und allem Anschein nach hatte seine Schwägerin Rosemarie, die hier in Independencia nur ein paar Straβen weit entfernt von ihm lebte, bis heute keine Ahnung von der Tochter ihres Mannes.

      Arthur und ich haben diese Geschichte nur teilweise von seinem Vater erfahren. Jedoch hat Luisa viel später über gewisse Dinge mit ihrer Tochter gesprochen. Und Maria Celeste ihrerseits sollte dann Arthur irgendwann sehr nahe stehen, so nah, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen gab. Und wie ich bereits am Anfang angedeutet hatte, ist alles was mein Freund Arthur je erlebt, gedacht und gehört hat, irgendwann in meine zerebralen Windungen geflossen, sozusagen.

      Luisa war nicht zum ersten Mal in ihrem Leben schwanger, als sie das Kind von Anton Deisenhofer austrug. Viele Jahr zuvor war sie vom Freund ihres Vaters, jenem Luís, geschwängert worden.

      Damals, nach jener Nacht, war die Zwölfjährige nicht sicher gewesen, ob und inwieweit sie selbst schuld daran gewesen war, dass Luís sie bedrängt und schlieβlich vergewaltigt hatte. Hatte er nicht durch ihr anfänglich fast genussvolles Hinnehmen seiner Liebkosungen Anspruch auf mehr gehabt? Völlig absurd, könnte man sagen. Die Tatsache, dass sie nicht den Mut aufgebracht hatte sich zu wehren, bedeutet ja keinesfalls, dass sie sein weiteres Verhalten provoziert hätte. Jedoch wurde hier ein regelrechter Teufelskreis der Schuldgefühle in Gang gesetzt: Die kleine Luisa fühlte sich schuldig, sich nicht von Anfang an gewehrt zu haben, dann wurde sie gezwungen, ihr Fehlverhalten geheim zu halten, dadurch wiederum hatte der „Onkel“ sie in der Hand und konnte sie zu weiterem Schweigen und Stillhalten verpflichten!

      Sie hatte jedenfalls zu viel Angst gehabt, dass er ihren Eltern von ihrem anfänglichen, zaghaften Genieβen seiner Zärtlichkeiten erzählen würde. Schlieβlich hatte sie es anfangs tatsächlich so ein ganz kleines bisschen genossen, dass er ihr nette Sachen ins Ohr geflüstert hatte. Selbst die ersten Liebkosungen waren noch ganz nett gewesen... sie hatte es einfach nicht fertig gebracht zu sagen, bis hierher und nicht weiter! Wie würde sie nun dastehen! Für Luís war es jedenfalls denkbar einfach, dem Kind weiszumachen, sie selbst trage die Schuld an seinem Verhalten. Auf keinen Fall, schärfte er dem verzweifelten Kind ein, dürfte ans Licht kommen, was geschehen war! Also verfiel das Kind in ein gequältes Schweigen. Die kleine Luisa weinte heimlich und schwieg. Und mit ihrem Schweigen hatte sie dem Freund des Vaters den Weg geebnet, sie weiterhin zu besuchen. Die folgenden nächtlichen Besuche waren bei Weitem komplizierter als das erste Mal, da ja in Luisas Elternhaus nicht ständig gefeiert wurde. Auch stellte ihre kleine Schwester, mit der sie ja die Hütte teilte, ein Hindernis für Luís dar. Trotzdem hatte der Mann es im Laufe der Jahre noch mehrmals geschafft, mit Luisa allein zu sein. Sie gehorchte ihm demütig, weil sie Angst hatte. Angst, verraten zu werden! Angst vor der Strafe der Eltern, und, was noch viel schlimmer war: Angst vor der Verachtung der Eltern!

      Arthur gerät noch heute jedes Mal in Wut, wenn er nur daran denkt: „Das muss man sich einmal vorstellen, verdammt! Dieses kleine Mädchen von zwölf, dreizehn, vielleicht vierzehn Jahren gehorchte dem alten geilen Bock, der nicht dazu fähig war, sich an Frauen seines Alters zu halten!“

      Irgendwann war Luisas Pubertät natürlich an ihr Ende gelangt. Sie hatte sich zu einer gesunden, empfängnisfähigen Frau entwickelt. Und sie empfing. Mit fünfzehn Jahren war sie zum ersten Mal verzweifelte, werdende Mutter. Inzwischen kannte sie sich ausreichend aus, um die ersten Anzeichen der Schwangerschaft richtig zu deuten. Tränenüberströmt erzählte sie ihrem Taufpaten Luís davon und der verwies sie ohne zu zögern an einen „Doctor“.

      Hierüber hat Arthur allerdings lediglich herausgefunden, dass das Mädchen in jenem Consultorio, einem Holzverschlag, der als Arztpraxis galt, beinahe verblutet wäre. Die Mutter jenes vermeintlichen Arztes hatte Luisa nach der blutigen Prozedur nach Hause zu ihren Eltern gebracht. Nun konnte sie nichts mehr geheim halten. Ihre Ehre war verloren. Der Vater hätte sie vielleicht verprügelt, wäre sie nicht ohnehin unter den Händen des Curanderos fast gestorben. Luís, der Freund ihres Vaters, hat sich daraufhin nie wieder im Haus von Luisas Familie blicken lassen.

      Luisa hatte ihren Eltern aber nicht erzählt, dass sie von der alten Mutter des selbsternannten „Heilers“ aufgefordert worden war, sie zu besuchen, sobald sie wieder gesund sei. Heimlich hatte sie die Alte einige Wochen später aufgesucht und sich zeigen lassen, wie man die Luftwurzeln eines agavenartigen Gewächses zerstampft und einen bitteren Tee daraus braut. „Yuyo de mil hombres“, Kraut der tausend Männer, wurde der Trank im Volksmund genannt. Dieser Tee, so erklärte die Alte, habe eine stark abführende, aber auch abtreibende Wirkung. Sie warnte Luisa eindringlich