Als er halbwegs erfrischt, mit nacktem Oberkörper die Dusche verlieβ, wendete sich Justina rot anlaufend ab. „Ziehen Sie sich doch bitte anständig an!“, zischte sie und warf den Teig mit einer heftigen Bewegung in eine Plastikschüssel.
„Verzeihung, Gnädigste“, sagte Arthurs Vater mit gespielter Unterwürfigkeit und verbeugte sich leicht. Dann wickelte er seinen Oberkörper in sein groβes Badehandtuch.
„Ich kann mir ja kein frisches Hemd aus meinem Zimmer holen, wo die beiden Turteltäubchen miteinander beschäftigt sind“, erklärte er grinsend und zuckte die Achseln.
Justina seufzte und murmelte etwas Undeutliches, das wie „Sodom und Gomorrah“ klang.
Arthurs Vater wollte sich nicht von Justinas anklagender Stimmung anstecken lassen. „Jetzt spielen Sie doch nicht den moralischen Scharfrichter, Justina! Luisa und ihre Männer sollen doch machen, was sie wollen! Solange sie uns nur mit ihrem Gehabe in Ruhe lassen!“
Er musste sich selbst über seine lapidare Äuβerung wundern. Ganz offensichtlich hatte die Einsicht, zu der er auf dem nächtlichen Spaziergang gekommen war, dem Stachel namens Luisa die Spitze genommen.
In diesem Augenblick trat sie mit triumphierendem Blick und strahlendem Lächeln in die Küche. Ihr „Buenos días“ klang eher gesungen als gesprochen. Sie verschwand in der Duschecke, lieβ das Wasser laufen und man hörte, wie sie sich fröhlich summend einseifte.
Arthurs Vater wusste, dass in dem Duschbehälter kaum noch Wasser übrig war. Er sprang auf, eilte mit groβen Schritten zum Brunnen, holte einen groβen Krug voller Wasser und wartete neben der Dusche. Grinsend zwinkerte er Justina zu, die mit weit aufgerissenen Augen da stand. Ihre Mundwinkel zuckten. Erst als Arthurs Vater hörte, dass die letzten Wassertropfen aus dem Duschbehälter gerieselt waren und Luisa im Trockenen stehen musste, trat er an die hölzerne Abtrennung heran und hielt den Krug hoch. „Bitteschön, liebes Fräulein“, sagte er und betonte dabei fast zynisch das Wort Fräulein.
Einen Moment lang blieb alles still. Schlieβlich streckte Luisa ihre nassen Arme über die Holzwand und sagte mit trockener Stimme „gracias“. Arthurs Vater und Justina konnten hören, wie sie den Duschbehälter herunterließ, das Wasser einfüllte und weiter duschte, ohne jedoch ihr fröhliches Summen wieder aufzunehmen.
Das zaghafte Lächeln, das unwillkürlich um Justinas Mundwinkel herum erschienen war, hatte sie sofort wieder heruntergeschluckt. Sie presste wie üblich die Lippen zusammen und begann, angeklebte Teigreste mit einem kleinen Küchenmesser vom Tisch abzukratzen. Dann machte sie das Frühstück für Arthurs Vater, Luisa und die beiden Arbeiter. Für Luisas kleine Jungen kochte sie einen Brei aus grob geschrotetem Weizengrieβ mit Milch. Sie beachtete Arthurs Vater nicht weiter, tat so, als sei er nicht im Raum. Er hatte jedoch das unbestimmte Gefühl, ihm sei vorhin zum ersten Mal eine kleine Sympathiewelle von ihr zugeflogen.
Wenig später saβen sich er und Luisa allein am Frühstückstisch gegenüber. Miguel und Adalberto zogen es vor, gemeinsam im Patio zu sitzen und dort Mate zu trinken. Eisiges Schweigen. Kein Wort wurde gewechselt. Weder am Küchentisch noch im Garten. Keiner von ihnen würde ein Wort über den vergangenen Abend verlieren.
Justina schälte inzwischen die Mandioca für das Mittagessen. Aus unerklärlichen Gründen genoss sie das Schweigen zwischen Luisa und Arthurs Vater, denen sie den Rücken zugekehrt hatte. Sie war sicher, dass niemand ihr Gesicht sehen konnte, deshalb brauchte sie jetzt nicht verhindern, dass ein kaum wahrnehmbares Lächeln ihre sonst so fest zusammengepressten Lippen umspielte.
Der Kaffee war noch nicht ausgetrunken, als lautes Poltern alle aus ihren Gedanken riss. Maria Celeste und Arthur wurden nie vor Mittag zurückerwartet, deshalb konnte der Lärm nur bedeuten, dass Julius Deisenhofer und seine Frau endlich angekommen waren. Und tatsächlich hörte man in diesem Moment eine Männerstimme laut nach Miguel und Adalberto rufen.
Alle rannten an das Tor. Jeder von ihnen war erleichtert darüber, dass endlich etwas geschah, das sie von Gedanken über das peinliche Verhalten in der vergangenen Nacht ablenken würde.
Kapitel V.
Kapitel 5
Deisenhofers äuβere Erscheinung wirkte auf Arthurs Vater im ersten Moment fast enttäuschend. Er hatte sich unter dem von allen als „Don Julio“ bezeichneten Groβgrundbesitzer und Geschäftsmann eine irgendwie eindrucksvollere Persönlichkeit vorgestellt. Deisenhofer war wesentlich kleiner als er selbst, hatte einen gewichtigen Bauchansatz und trug bei dieser ersten Begegnung ein verknittertes, kariertes Arbeitshemd zu staubigen Jeanshosen und knöchelhohe, stark dreckverkrustete Lederschuhe mit offenen Schnürsenkeln. Hingegen entsprach seine Frau, Christa Deisenhofer, voll und ganz dem Bild einer begüterten Dame aus der so genannten „Campaña“, eine Ortsbezeichnung, die sich auf alle ländlichen Provinzen Paraguays beziehen kann.
Ihre Frisur war sportlich elegant, der ständig schwülen Witterung angepasst: Das mittellange, leicht gewellte Haar war für Reisen wie diese mit einer schlichten Metallspange hochgesteckt. Sonst lieβ sie es offen auf die Schultern fallen. Sie trug meist wadenlange Röcke. Dazu, je nach Bedarf, Arbeitsstiefel, wie sie auch von Männern getragen wurden oder hochhackige, meist farblich auf die Kleidung abgestimmte Sandaletten.
Beide, sowohl Herr als auch Frau Deisenhofer waren braungebrannt, hatten blaue Augen und waren wohl einmal dunkelblond gewesen. Mittlerweile wurde das Haar von grauen Strähnen durchzogen, wobei man bei Julius von Strähnen eigentlich gar nicht sprechen konnte, da die vordere Hälfte seines Kopfes ohnehin frei von jeglicher Haarpracht war und der Hinterkopf so kurzgeschoren, dass sich das helle Grau hier eigentlich eher in Form von Flecken als von Strähnen zeigte.
An der Art, wie Deisenhofer mit seinen Arbeitern, Miguel und Adalberto, aber auch Justina und Luisa umging, merkte Arthurs Vater sehr schnell, dass er als humorvoller, freundlicher und beliebter Arbeitgeber bezeichnet werden konnte, der jedoch auch daran gewöhnt war, absoluten Respekt zu genieβen.
Das Auftreten seiner Frau Christa war weitaus weniger dominant, dafür umso majestätischer. Sie schien jede einzelne Handlung vollkommen bewusst und wohlüberlegt auszuführen – selbst wenn sie in Eile war. Wenn sie sprach, bekam man den Eindruck, sie habe ihre Wortwahl lange vorher getroffen. Jede Silbe, jedes Wort wurde perfekt in makellose Sätze eingefügt. Alles was sie tat oder sagte, wirkte protokollarisch, allerdings nie steif oder gekünstelt.
Im Groβen und Ganzen erwiesen sich sowohl Don Julio als auch Doña Christa als freundliche, angenehme Menschen. Arthurs Vater war erleichtert. Schon nach dem ersten Kennenlernen konnte er sich vorstellen, dass sein Entschluss, nach Paraguay zu kommen, vielleicht doch richtig gewesen sein könnte. Deisenhofer, selbstständiger und geradezu leidenschaftlicher Geschäftsmann, war schon nach ihrem ersten Gespräch davon überzeugt, dass Arthurs Vater mit seiner Idee von der Vermarktung von Tierhäuten vollkommen falsch lag. Aber das behielt er für sich. Er wartete jedoch nicht lange mit dem Hinweis darauf, dass mit dem Verkauf von Edelhölzern zurzeit gutes Geld zu machen sei.
Nachdem sich die Deisenhofers von der Fahrt etwas erfrischt hatten, forderte Don Julio Arthurs Vater auf, ihn zu begleiten und bei den anstehenden Geschäftsbesuchen dabei zu sein.
„Es kann nicht schaden, wenn meine Kontaktleute Sie auch kennen lernen, mein Freund!“
Auf dem Weg nach Luque, wo Deisenhofer die Bezahlung für das am Vortag gelieferte Brennholz einkassierten wollte, malte er Arthurs Vater aus, wie er ein eigenes Holzgeschäft angehen und die Ausfuhr von Fellen allenfalls nebenbei betreiben könnte. Praktisch auf jede Frage zu gesetzlichen Regelungen und Bestimmungen wusste er eine Antwort. Arthurs Vater geriet in einen Taumel der Begeisterung angesichts der Möglichkeiten, die Deisenhofer ihm vorschlug. Don Julio schien sich mit allem auszukennen und jegliche Bedenken zur Finanzierung der verschiedenen Projekte wischte er mit einer wegwerfenden Handbewegung vom Tisch. „Ach, lassen Sie mich nur machen, mein Freund. Das