Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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dass Julius Deisenhofer groβe Bekanntheit und ebenso groβen Respekt genoss. Auf dem Gelände des Elektrizitätswerkes der ANDE, die Administración Nacional de Electricidad, wurde er von einfachen Arbeitern an der Dampfmaschine mit Stromgenerator ebenso freundlich begrüβt wie von Büroangestellten in Schlips und Kragen.

      Nachdem er abkassiert hatte, klopfte er sich lachend auf die Hemdtasche, in die er den erhaltenen Wechsel gesteckt hatte.

      „Das sag ich Ihnen, mein Freund“, rief er, „wer den Pfennig nicht ehrt, ist den Taler nicht wert! Das Geschäft mit dem Brennholz ist ein Nebenerwerb, der zwar nicht das groβe Geld bringt, aber nicht zu verachten!“

      „Nebenerwerb?“, fragte Arthurs Vater verständnislos.

      „Nun ja, das eigentliche Geschäft beim Roden machen wir mit den Riesen! Die Baumstämme, die nach Argentinien in die Parkettfabrik oder in den Hafen gehen und von dort aus wer-weiβ-wohin. Edelstes Holz, das sag ich Ihnen, mein Freund. Meterlange Stämme, schnurgerade! Jeder Kubikmeter ein Schmuckstück! Das Kleinholz, das ich hierher bringen lasse, sind sozusagen die Späne, die beim Hobeln abfallen, wenn ich ein Stück Land sauber mache. Aber das zeige ich Ihnen, wenn wir nach Independencia kommen.“

      Abends sollten Arthur und sein Vater mit den Deisenhofers im Haupthaus essen. Justina brachte das Essen aus der Küche hinüber und servierte im groβen Speisesaal des vorderen Hauses. Für alle übrigen Hausbewohner deckte sie wie immer in der Küche den Tisch.

      Den kleinen Arthur hatte Luisa heute nach dem Bad besonders nett angezogen und sein Haar sauber gescheitelt. Doch als ihn sein Vater an die Hand nehmen wollte, um hinüberzugehen, schüttelte der Junge den Kopf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Nicht einen einzigen Schritt weit würde er ohne Maria Celeste gehen.

      Diese saβ bereits am Tisch in der Küche des Hinterhauses und hatte ihr Gesicht in die gleichen bockigen Falten gelegt wie Arthur.

      „Jetzt komm, Kleine, iss etwas!“, sagte Luisa energisch. „Justina hat heute etwas besonders Gutes gekocht!“ Maria Celeste schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute trotzig aus dem Fenster.

      Sie sah, wie Arthur von seinem Vater sanft an der Schulter gepackt und in Richtung Haupthaus geschoben wurde. Arthur stemmte seine Fersen ins Gras.

      Doña Christa wartete bereits auf die beiden. Als sie jedoch sah, wie sehr sich der Kleine gegen einen Besuch im Haupthaus wehrte, sagte sie lachend zu Arthurs Vater: „Lassen Sie mal, wir werden den Kleinen schon irgendwann kennen lernen. Es ist nur zu verständlich, dass er mit den Kindern von Luisa zusammen bleiben möchte.“

      Auf die Idee, Maria Celeste ebenfalls zu sich einzuladen, schien sie nicht einmal zu kommen.

      Augenblicklich drehte sich der kleine Arthur um und lief auf die Küchentür im Hinterhaus zu. Auch Arthurs Vater war erleichtert über Christas Verständnis. Er wischte sich den Schweiβ von der Stirn folgte ihr an den festlich gedeckten Tisch im Vorderhaus.

      Am nächsten Morgen ging Arthurs Vater wie immer in die Küche. Er wirkte verschlafen, kniff die Augen zusammen, schüttelte kurz den Kopf und lächelte. „Der Wein!“, sagte er entschuldigend zu Justina und setzte sich an den Tisch. Während er sich ein Marmeladebrötchen zurechtmachte bat er sie, sich in nächster Zeit zusammen mit Luisa ein wenig um seinen Sohn zu kümmern.

      „Ich werde endlich dieses Independencia kennen lernen! Wir fahren schon heute ab“, erklärte er gutgelaunt.

      Justina bemühte sich, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen. Würde der nette Deutschländer, wie sie ihn insgeheim nannte, vielleicht schon jetzt endgültig nach Independencia siedeln? Aber dann lieβe er ja seinen Sohn kaum hier in der Stadt. Sie nickte also und meinte achselzuckend: „Der Kleine macht ja ohnehin nie etwas anderes als Maria Celeste.“

      Sie traute sich nicht, Arthurs Vater zu fragen, wie lange er wegbleiben würde und welche Pläne er für die Zukunft hatte. Trotzdem erzählte er beim Essen ausführlich, was er und Deisenhofer am Vorabend miteinander durchgesprochen hatten und dass er vorhätte, sich gemeinsam mit Deisenhofer ein Stück Land in einem Waldgebiet nördlich von Independencia anzusehen. Dieses Waldstück wolle er vielleicht kaufen und als Partner in Deisenhofers Holzgeschäfte einsteigen. Seine Begeisterung war nicht zu überhören, als er davon sprach, dass er auβerdem die Möglichkeit sähe, dort Kontakt zu Jägern aufzunehmen, Felle aufzukaufen und natürlich selbst zu jagen. Durch den Export von Fellen könnte er dann sicherlich die Abzahlung der Kredite, die er aufnehmen müsste, schneller vorantreiben.

      Justina hörte aufmerksam zu. Sie hätte nicht erklären können warum, aber sie hatte das undeutliche Empfinden, dass Arthurs Vater mit allzugroβer Begeisterung von seinen Plänen sprach. Ihr war diese heitere und unvoreingenommene, man könnte auch sagen: siegessichere Art, an ein völlig neues Vorhaben heranzugehen, fremd. In ihrer Familie, auch innerhalb der weiter entfernten Verwandschaft, hatte sie die Männer immer als sehr vorsichtig erlebt, wenn es darum ging, in neue Geschäfte einzusteigen. Immer, wenn gröβere Geldbeträge im Spiel gewesen waren, wurde innerhalb der Gruppe von männlichen Familienmitgliedern – Frauen waren immer von solchen Besprechungen ausgeschlossen gewesen – zunächst um Weisheit und Gottes Führung gebetet und dann gemeinsam entschieden, ob man alle eventuellen Risiken am jeweiligen Geschäft erkannt hatte.

      Die vollkommen unbeschwerte, sorglose Fröhlichkeit, mit der Arthurs Vater über sein Vorhaben sprach, wunderte Justina ebenso wie die Tatsache, dass er gerade ihr seine Pläne mitteilte. Einfach so. Sie hätte so gern gefragt, weshalb er ihr das alles erzählte. Ihre jahrelang antrainierte Zurückhaltung schnürte ihr jedoch die Kehle zu. Und schon gar nicht fühlte sie sich berechtigt, kritische Einwände gegen seine – oder Deisenhofers – scheinbar unfehlbare Geschäftsideen zu äuβern. Alles, was ihr auf der Zunge lag, könnte falsch sein. Sie sagte also gar nichts.

      Schlimm genug war, dass sie sich seit zwei Tagen mit heftigen Vorwürfen gegen sich selbst herumplagte. Wie hatte sie nur so unbeherrscht herausposaunen können, welches Bild sie von ihrer Mitbewohnerin Luisa hatte! Jeder – auch Arthurs Vater – würde doch irgendwann selbst feststellen, was für ein Weibsbild diese Luisa war! Sie hatte einfach die Beherrschung verloren und herausgebrüllt, was ihr seit langem auf der Seele und der Zunge lag. Nie wieder wollte sie die Gewalt über sich selbst verlieren und sich zu derartigen Beschimpfungen hinreiβen lassen, nahm sie sich fest vor. Wer wollte schon ihre Meinung wissen!

      Arthurs Vater wischte sich mit dem Handrücken die Krümel von den Lippen und erhob sich. Justina bemerkte, dass er in der Küchentür stehen blieb und sie ansah. Offensichtlich erwartete er irgendeinen Kommentar von ihr. Aber sagte sie nur: „Schön“, und „gute Reise“, dann fuhr sie fort, die Kaffeetassen und Teller vom Frühstück mit heiβem Wasser abzuspülen.

      Er hatte sich in der Tat ein deutlicheres Echo auf die ausführliche Schilderung seiner Zukunftsvisionen versprochen. Vielleicht hatte er sogar erwartet, Justina ein bisschen mit seiner Begeisterung anzustecken. Ihre gesamte Haltung drückte jetzt aber wieder das übliche „Lassen Sie mich in Ruhe“ aus. Intuitiv begriff er, dass Justina nicht preisgeben wollte, was sie dachte und welches Bild sie sich von ihm machte. Er begriff allerdings nicht wirklich, welches Bild sie von sich selbst hatte. Und dass sie auf keinen Fall zulassen wollte, irgendjemanden einen Blick darauf werfen zu lassen. Ihre Augen schienen nur für ganz kurze Momente den Schleier zu durchdringen, hinter den sie sich selbst gestellt hatte. Nichts sollte irgendwelche Hinweise auf ihr eigentliches Ich geben.

      Arthurs Vater holte tief Atem, sein Instinkt sagte, dass er sie nicht mehr ansehen sollte. Also drehte er sich um, sagte nur kurz und trocken „auf Wiedersehen“ und winkte ihr über die Schulter hinweg zu. Eigentlich hätte er ihr gerne wenigstens die Hand geschüttelt, weil er schlieβlich auf unbestimmte Zeit verreisen würde. Beim Weggehen glaubte er zu spüren, dass sie den Blick von dem schmutzigen Geschirr gehoben hatte und ihm nachsah.

      Er machte sich auf die Suche nach Luisa, denn er sollte sich auch von ihr in aller Form verabschieden, fand er. Und sich endlich einmal für ihre Aufmerksamkeit und Bemühungen in Bezug auf seinen Sohn bedanken.