Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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Jahr 1870 war die paraguayische Bevölkerung durch den Krieg gegen Brasilien, Argentinien und Uruguay beinahe vollständig ausgelöscht worden. Der paraguayische Machthaber Franzisco Solano Lopez wollte die Grenzen seines Landes neu festlegen. Von den eine Million dreihunderttausend Einwohnern waren nach diesem wahnsinnigen Gemetzel noch ganze Zweihunderttausend Menschen am Leben. Lächerliche zehn Prozent davon waren Männer. Das heißt zwanzigtausend Männer! Knaben, Greise und Krüppel eingeschlossen! Das muss man sich einmal vorstellen: ein Land praktisch ohne Männer.

      Da verwundert es kaum noch, dass sich die Männer Paraguays daran gewöhnten, allseits begehrte Erzeuger zu sein. Die Frauen hatten den häuslichen Alltag sowie die Nahrungsmittelbeschaffung allein zu bewältigen und sich auch um das möglichst schnelle Anwachsen der Familie zu kümmern. Glücklich die, die viele männliche Nachkommen in die Welt setzte. Wer wollte da einem Mann noch verbieten, diese oder jene Frau zu schwängern! Welchem Mann wollte man da die freie Auswahl nicht gestatten! Freie Fahrt zu jeder Zeit! Frauen, rollt eure roten Teppiche aus, sobald sich ein potentieller und potenter Kindererzeuger nähert! Und bitteschön, verbietet ihnen auch eure Töchter nicht!

      Diese Einstellung hatte sich in den Köpfen der Männer – aber leider oft auch der Frauen – verfestigt. Zu der Zeit, als Arthur und sein Vater ins Land kamen, regierte der deutschstämmige General Alfredo Stroessner das Land. Und auch er, als allseits respektiertes Vorbild für die kleinen Leute war es gewohnt, unter den Frauen seines Landes willkürlich auszuwählen, was ihm gerade gefiel. Es heiβt, er habe eine seiner Geliebten rein zufällig zum ersten Mal gesehen, als das knapp fünfzehnjährige Mädchen gerade aus der Schule kam. Vom Fenster seiner Staatskarosse aus hatte der nicht mehr ganz junge Mann das fröhliche Mädchen beobachtet. Die hübsche Señorita hatte dem General und Diktator gefallen, also lieβ er ihrer Familie die Botschaft zukommen, dass er bereit sei, sich um sie zu „kümmern“. Angeblich erhoben weder das Mädchen selbst, noch ihre Familie Einwände dagegen. So wurde ihm die Zweitfrau gewissermaβen, mit dem Einverständnis aller ihrer Familienmitglieder, auf einem Silbertablett serviert. Was konnte einem Mädchen ihres Standes schon Besseres passieren!

      In Luisas Familie hingegen hatte niemand mitbekommen, was dem Mädchen geschehen war. Und Luisa hatte ihren „Onkel“ nie für sein Verbrechen verantwortlich gemacht.

      Während der traditionellen Feier zum ersten Geburtstag ihres kleinen Bruders war es nicht weiter aufgefallen, dass der Compadre Luís, bester Freund ihres Vaters (und ihr Taufpate!), immer wieder versucht hatte, in der Nähe der damals Zwölfjährigen zu bleiben. Während man gemeinsam in groβer Runde um das Lagerfeuer herum saβ, aβ und trank, fröhliche Volkslieder zu Gitarrenmusik sang, gelegentlich auch tanzte, achtete niemand auf Luís, der sein Patenkind immer wieder seine bildschöne Königin nannte, sie ungefragt packte und auf sein Knie setzte und dabei lüstern ansah und betatschte. Niemanden hatten seine pausenlosen, schlüpfrigen Komplimente für „die bezaubernde Tochter des Hauses“ gestört und niemandem war aufgefallen, wie peinlich Luisa sein Gehabe war. Allerdings hatte sie sich eingestehen müssen, dass sie sich auch ein ganz kleines Bisschen geschmeichelt fühlte.

      Die Schwester, die sonst mit Luisa zusammen in der kleineren Palmenhütte schlief, war während des Festes auf einem weichen Schaffell unter dem Vordach der groβen Hütte eingeschlafen. Luisa hatte sich kurz vor Mitternacht müde zurückgezogen, die Erwachsenen feierten noch bis spät in die Nacht bei Gitarrenmusik und johlendem Gesang. Klarer Schnaps sorgte für Stimmung und zum Teil auch für Übelkeit. Natürlich hatte Luisas Mutter für alle Gäste, die einen weiten Heimweg hatten, ein Nachtlager hergerichtet. Auch für den Freund der Familie, Compadre Luís. Dieser hatte jedoch darauf bestanden, in seiner mitgebrachten Hängematte zu schlafen, die er, nachdem sich die letzten Gäste verabschiedet hatten, direkt vor Luisas Palmenhütte aufspannte. Eine ältere Freundin der Mutter hatte sich, fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, direkt neben Luisas Bett auf den Fuβboden gelegt. Lediglich eine Decke aus Schafwolle diente ihr als Unterlage.

      Luisa wurde wach, als von drauβen kein Festlärm mehr zu ihr ins Zimmer drang. Nur das Schnarchen der Frau neben ihrem Bett war zu hören, da bemerkte sie, dass sich die leise quietschende Tür ihrer Kammer öffnete. Onkel Luís stand einen Moment leicht schwankend im Raum und blickte sich suchend um. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit in der Hütte gewöhnt hatten, machte er einen weiten Schritt über die Gestalt am Boden und kroch zu Luisa ins Bett. Das Mädchen hielt erschrocken den Atem an, unfähig etwas zu sagen oder gar zu schreien. Das mit Lederriemen bespannte Holzgestell ihres Bettes knarrte laut, als er sich neben sie legte. Augenblicklich drehte sich Luisa zur Wand, ihr Herz klopfte immer schneller, und, wie es ihr schien, immer lauter und lauter. Luís umfasste sie von hinten mit einem gedämpften und langgezogenen Seufzer. Der Körper der schmächtigen Luisa wurde ganz steif, aber er zog sie näher zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie die Schönste auf dem Fest gewesen sei, dass sie schon wie eine richtige Señorita aussehe, dass er den ganzen Abend nur darauf gewartet habe, bis er endlich eine Gelegenheit dazu haben würde, diese Schönheit zu fragen, ob sie nicht die Seine werden wolle, schlieβlich sei er ihr Taufpate und Namensgeber und seit ewigen Zeiten Freund der Familie.

      Während er leise auf Luisa einredete, hatte er mit seinen schweiβnassen Händen ihr Nachthemdchen nach oben geschoben und streichelte ihr mit sanften Berührungen den Bauch und den Rücken. Sie wollte seinen Händen ausweichen, indem sie sich weiter in die Ecke verkroch, da küsste er ihr, ständig weiter auf sie einredend, den Hals und den Nacken. Obwohl alles in ihr „nein“ schrie, war sie vor Angst wie versteinert, unfähig etwas zu tun oder um Hilfe zu rufen, zumal ihr seine überaus zarten Liebkosungen und sein heiβer Atem in ihrem Nacken eine unbekannte, trotz aller ablehnenden Gefühle, wohlige Gänsehaut über den Rücken rieseln lieβen. Für einen Moment wünschte sie sich, dass er nie aufhören würde, sie zu streicheln. Wenn nur dieses gierige Küssen nicht gewesen wäre! Er redete heiser flüsternd weiter, verglich sie mit einer Knospe, die in Begriff sei, ihre prächtige Schönheit zu entfalten, bat sie mit salbungsvoller, scheinbarer Hingabe darum, der Gärtner sein zu dürfen, der dieser Knospe zur Blüte verhelfen dürfte.

      Natürlich hatte Luisa längst eine verschwommene Ahnung von dem Geheimnis, das Frauen und Männer miteinander erleben. Ihr war es ebenfalls längst bekannt, dass es das Gefühl von Verliebtheit gab, aber dieser Mann war etwa dreiβig Jahre älter als sie selbst, hatte Frau und Kinder in ihrem Alter, mit denen er viele Kilometer weit von hier als Peón auf einer groβen Estancia lebte und arbeitete. Auβerdem hatte sie bei Tieren gesehen und von Freundinnen gehört, dass sich die geschlechtliche Liebe in jenem verborgenen Winkel des Körpers abspielte. Sie wusste nicht genau wie, und was dabei geschah. Aber sie wollte es auch gar nicht näher wissen! Sie wollte es noch nicht wissen!

      Anfangs hatte sie sich nicht dagegen wehren können, seine Zärtlichkeiten trotz ihrer Angst und der Ablehnung auch als angenehm zu empfinden. Aber dieses Streicheln war jetzt kein Streicheln mehr, wie sie es sich wünschte. Sein Atem wurde flach und stoβartig und seine Liebkosungen gingen unaufhaltsam weiter, ebenso seine erhebenden Reden, die ihr das Gefühl geben sollten, ein Geschöpf von überirdischer Schönheit zu sein. Und er lieβ sich Zeit, streichelte sanft ihren Nacken, ihre Schultern, ihren schmalen Rücken. „Du liebst doch deinen Tío Luís, meine kleine Blume, nicht wahr?“, fragte er sie flüsternd. Alles in ihr schrie: Ja, ich liebe meinen Onkel. Aber nicht so! Die Angst und ahnungsvolles Grauen schnürten diese Antwort jedoch ab. Für einen kurzen Moment gaben ihre Glieder scheinbar willenlos nach, als er sie an den Schultern packte und langsam auf den Rücken rollte und ihren Bauch mit seinen gierigen Küssen bedeckte. Panik und abgrundtiefer Widerwillen durchzogen ihren zierlichen Körper jetzt bei jeder Berührung. Ekel und stummes, grenzenloses Entsetzen schnürten ihr förmlich die Luft ab, als seine Hand fest zwischen ihre Beine glitt und diese brutal auseinanderdrückte.

      Panische Angst, Angst, Angst!

      Unendliche Scham und Hilflosigkeit unter seinen hart gewordenen Griffen veranlassten sie, nicht zu rufen, sondern die nächsten schmerzhaften, zutiefst demütigenden Minuten still auszuhalten.

      Aushalten. Aushalten. Aushalten.

      Nur Aushalten...

      Vorbei.

      Die