Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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behandelt haben, wenn ihre Menstruation ausgeblieben war.

      Aus irgendeinem Grund hatte sie einmal darauf verzichtet. Möglich ist aber auch, dass der Tee seine Wirkung verfehlt hatte. Arthur und ich nehmen jedoch an, dass Luisa die Schwangerschaft gewollt hatte. Denn sie hatte die ersten Anzeichen vor Anton verschwiegen und dafür gesorgt, dass er ihren Zustand erst bemerkte, als die Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. Und sie muss gewusst haben: Für Anton stand damit alles auf dem Spiel.

      Julius Deisenhofer hatte schlieβlich eine Lösung für das Problem gefunden: Ohnehin hatte er seit Langem mit dem Gedanken gespielt, sich ein Haus oder eine Wohnung in der Hauptstadt zu kaufen, um von dort aus seinen Holzhandel und andere Geschäfte zu betreiben. Diese Geschäfte waren weitaus rentabler als das väterliche Weingut.

      Seine Mutter hatte anfangs lautstark dagegen protestiert, dass ihr zweites Dienstmädchen nach Asunción umziehen sollte. Die alte Frau wollte nicht einsehen, weshalb ihr Sohn glaubte, er bräuchte ausgerechnet Luisa als Haushaltshilfe, wo sie doch nun schon so lange im Hause Deisenhofer gedient hatte. Es war Julius schlieβlich gelungen, seiner Mutter deutlich zu machen, dass er für seine Stadtwohnung jemanden bräuchte, dem er absolut vertrauen könnte. Von dem wirklichen Grund durfte sie natürlich nichts wissen.

      So war Luisa im Hinterhaus in Asunción einquartiert worden. Zuvor hatten die Deisenhofers – Christa und Julius – eine längere ernsthafte Unterredung mit ihr geführt, um ihr deutlich zu machen, was für alle auf dem Spiel stand. Am Ende hatte Luisa ihr Ehrenwort gegeben, nie ein Wort über die Vaterschaft ihres Kindes zu verlieren. Sie wurde also gewissermaβen zwangsversetzt in der Annahme, dass es in der Hauptstadt niemand interessieren würde, wer der Vater des Kindes sei, welches irgendeine zugezogene „Campesina“ dort im Hafenviertel bekommen sollte. Und laut Julius Deisenhofer war Luisa über diese Zwangsversetzung in die Hauptstadt überglücklich.

      Julius Deisenhofer beendete seinen Bericht mit einem beinahe hämischen Grinsen. Luisa, sagte er, wusste seit damals sehr genau, was sie zu verlieren hätte. Sie säße buchstäblich auf der Straße, wenn sie jemals vor Bekannten aus Independencia auch nur mit einer Silbe Anton als den Vater ihrer Tochter Maria Celeste verraten sollte. Luisas Eltern waren schließlich inzwischen so alt, dass sie nicht mehr erwarten konnte, von ihrer Familie durchgefüttert zu werden. Ihn selbst kostete es doch nur wenig mehr als ein Trinkgeld, Luisa als Hausangestellte in Asunción zu unterhalten. Auβerdem, sinnierte Julius mit glasigen Augen weiter, sei Luisa bestimmt intelligent genug, diese Geldquelle nicht wegen irgendwelcher Rachegefühle abzustellen. Schlieβlich habe sie sich seinem Bruder Anton doch freiwillig jahrelang an den Hals geworfen! Falls sie am Anfang noch geglaubt hatte, dass der Sohn ihres Patróns sie eines Tages heiraten würde, könnte man ja nur lachen! Die meisten Dienstmädchen mussten schlieβlich damit rechnen, dass die Hausherren oder die Söhne der Hausherren auch manchmal andere Dienstleistungen für sich beanspruchten! Und wenn sich der jeweilige Dienstherr groβzügig und spendabel zeigte, könnten die Mädchen, die meistens aus armen Gesellschaftsschichten kamen, ja schon fast vom groβen Glück reden.

      „Warum ist ihr aber nie der Gedanke gekommen, dass dein Bruder Anton seine Vaterschaft an Maria Celeste abstreiten könnte? Und warum ist sie so sicher, dass sie bei euch in Asunción eine lebenslange Bleibe gefunden hat?, fragte Arthurs Vater, noch immer nicht restlos davon überzeugt, dass sich Luisa für immer in Sicherheit wiegen konnte.

      Julius Deisnhofer nippte am Weinglas und antwortete tief seufzend: „Sie weiβ eben, dass es schon genügen würde, hier in Independencia auch nur andeutungsweise verlauten zu lassen, dass Anton sie verführt hat oder ihr irgendwie zu nahe getreten ist. Verstehst du, selbst wenn wir dann versucht hätten, alles abzustreiten, wäre es zu einem Skandal gekommen. Luisa hat Verstand bewiesen. Meiner Familie einen Skandal unterzuschieben hätte uns womöglich Kopf und Kragen gekostet, aber sie auch, mein Lieber, sie auch. Sie war schlau genug, nicht den Ast abzusägen, auf dem sie ihr Nest gebaut hatte.

      Aber das sage ich dir: hie und da sorge ich schon auf ganz nette Art und Weise dafür, dass die gute Luisa immer wieder daran denkt, dass wir sie jederzeit auf die Straβe setzen könnten. Und dann wäre sie gezwungen, hart zu arbeiten, um sich und ihre Kinder durchzubringen. Immerhin ist es für eine Frau von über dreiβig nicht mehr so ganz einfach, einen Mann zum Heiraten zu finden. Dieses Weib sieht zwar auch heute noch verdammt hübsch aus, aber überleg doch mal! Die Männer in ihrem Alter sind doch alle längst verheiratet! Und wer nicht verheiratet ist, ist entweder verkrüppelt oder krank. Natürlich hindert Verheiratetsein die wenigsten Kerle daran, sich mal eine schöne Nacht mit der Kleinen zu machen, aber heiraten...“

      Deisenhofer schüttelte den Kopf. Und sein Bauch hüpfte vor Lachen als er spöttisch hinzufügte: „Und du hast es doch sicher längst mitbekommen, mein lieber Freund: Unsere schöne Luisa scheint ihr Dasein als unverheiratetes ‘Mädchen für Alle’ nicht gerade abzulehnen.“

      Nachdem beide eine Weile geschwiegen hatten, bemerkte Arthurs Vater, dass Deisenhofer die Augen zufallen wollten. Justina!, dachte er. Ich habe ihn noch nicht nach Justina gefragt. Er versuchte, seine Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen: „Und diese Justina, durch welche Umstände sind sie und ihre Tochter eigentlich zu euch ins Stadthaus gekommen?“

      Für einen Moment schien es, als sei Deisenhofer nicht mehr in der Verfassung, seine Gedanken zu sammeln und weitere Erklärungen liefern zu können. „Wie?“, sagte er und ließ sich die Frage wiederholen. Dann drückte er seine Augen fest zu, schüttelte den Kopf und holte tief Luft. Ein wenig schwerfällig fing er aber wieder zu Reden an:

      „Diese arme Frau hat meiner Christa einfach leid getan, weißt du? Meine Christa hat ein riesengroßes, gutes Herz, weiβt du? Justina, das arme Wesen, kommt aus Filadelfia im Chaco und ist von ihrer mennonitischen Familie fallenlassen worden, wie eine heiβe Kartoffel, weil sie ein uneheliches Kind bekommen hat: Hildegard. Ha ha ha! Ja, so ist es: unsere brave Hildegard ist auch’n kleiner Bastard!“

      Wieder lachte Deisenhofer selbstgefällig und sagte: „Ja, ja, mein lieber Freund, ich bin förmlich zum barmherzigen Retter der in Schande lebenden Frauen von Asunción geworden! Gleich zwei Frauen und eine Handvoll kleiner Bastarde! Da steht mir doch eigentlich eine öffentliche Anerkennung für meine Menschlichkeit zu, was, alter Freund? Immerhin führe ich sowas wie ein Frauenhaus plus Kinderheim! Meinst du nicht auch?“

      Nach kurzem Schweigen und lautem Rülpsen schien er plötzlich wieder redselig zu werden. „Wir sind Justina zum ersten Mal vor etwa drei oder vielleicht vier Jahren begegnet. Sie hat als Putzfrau und Näherin bei einer Familie gearbeitet, die ein groβes Stoff- und Bekleidungsgeschäft in Asunción führen, in dem meine Christa zur Stammkundschaft gehört. Dort hat die arme Justina jeden Tag mindestens sechzehn Stunden arbeiten müssen, um sich und die Kleine über Wasser zu halten. Ich sagte ja schon: meine Christa hat ein weiches Herz. Wenn sie Stoffe eingekauft hat, saβ die arme Justina immer in einer Ecke an der Nähmaschine. Irgendwann hat sie die Arme einfach angesprochen und nach vielem geduldigem und hartnäckigem Bohren herausbekommen, dass sie eine von den Mennoniten im Chaco ist, dass sie aber jeglichen Kontakt nach Hause verloren hatte, weil sie Schande über ihre Familie gebracht hatte. Diese Sektenbrüder kennen da kein Pardon! Nun ja, und Christa hat mich davon überzeugt, dass wir im Hinterhaus noch genügend Platz für eine ausgezeichnete Köchin und fleiβige Näherin hatten. Ja, mein lieber Freund, so war das. So ist die arme Justina zu uns gekommen.“

      Ob es tatsächlich ein Akt reiner Nächstenliebe gewesen war, der Christa dazu bewogen hatte, die bemitleidenswerte Justina ins Haus zu holen, sei fraglich, fand Arthurs Vater, behielt diesen Gedanken jedoch für sich. Ganz ohne Zweifel stimmte die Behauptung, dass Justina ihr leid getan hatte. Aber möglicherweise erfüllte Justina auch die Rolle einer Anstandsdame im Hause Deisenhofer in Asunción. Es war Arthurs Vater nicht entgangen, wie kritisch Christa geblickt hatte, als Julius Luisa zum Abschied auf beide Wangen geküsst hatte.

      Die Tatsache, dass Justina von ihrer Familie sozusagen endgültig verstoβen worden war, fasste Arthurs Vater einerseits als radikale und äuβerst ungnädige Verurteilung auf, jedoch war ihm, andererseits, diese abschätzige Haltung nur zu vertraut. Auch dort wo er herkam, in der eigenen Sippe, hatte es ähnlich gnadenlose Urteile gegeben. Meistens hatte es auch dort die Frauen