Der Sohn des Deutschländers. Felizia Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felizia Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591658
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über sein ungebetenes Erscheinen. In ihren Augen, ihrem Blick, aber auch in den angespannten Gesichtszügen war so etwas wie blanke Wut und tiefe Verachtung zu erkennen. Obwohl er wusste, dass Justina über seinen nächtlichen Besuch in ihrer Küche alles andere als erfreut war, zog er einen Stuhl vom Tisch ab und setzte sich.

      „Das ist lächerlich, was die sich da drauβen liefern“, sagte er statt einer Entschuldigung. „Ich hab es satt, mir diesen Hahnenkampf länger anzusehen!“

      Justina sagte nichts, erhob sich aber und goss den restlichen Kaffee aus einer leicht zerbeulten, emaillierten Blechkanne in eine Porzellantasse und stellte sie, immer noch wortlos, vor Arthurs Vater auf den Tisch und setzte sich wieder.

      „Diese Hure!“, brach es kurz darauf völlig unvermutet aus ihr heraus. „Jedes Mannsbild zieht sie in ihr Bett! Auf Sie hat sie es doch auch vom ersten Tag an abgesehen! Warten Sie nur, bald macht sie sich wie eine läufige Hündin an Sie heran und legt Ihnen neun Monate später den nächsten Bastard ins Nest! Und sie schämt sich noch nicht einmal dafür! Jeder wird früher oder später von ihr benutzt, um sie zufrieden zu stellen. Zuletzt tut sie auch noch so, als sei sie die Verführte gewesen und ist ganz stolz darauf. Dabei ist sie eine gierige Schlampe! Möge der Herr ihr zu gegebener Stunde verzeihen, aber dieses Weib ist sicherlich noch nicht einmal zu Gefühlen wie Reue und Schuldbewusstsein fähig!“

      Arthurs Vater holte tief Luft. Einen derart wortreichen Gefühlsausbruch hatte er von Justina nicht erwartet. Auch überraschte ihn die Heftigkeit ihrer Anschuldigungen. Zwar war ihm inzwischen klar, dass die beiden Frauen nicht gerade die besten Freundinnen waren, aber eine solch feindliche Rede verschlug ihm beinahe die Sprache.

      „Aber nicht doch“, setzte er zu beschwichtigen an. „Es ist doch nur natürlich, dass eine allein stehende, hübsche junge Frau...“ Weiter kam er nicht, da er bestürzt feststellte, dass Justina in Tränen ausgebrochen war. Sie hatte den Kopf gesenkt und eine Hand vor die Augen gelegt. Stumme Schluchzer schüttelten sie. Augenblicklich erwachte sein Beschützerinstinkt, er rückte seinen Stuhl näher an Justina heran und legte einen Arm auf ihre Schulter. Wie elektrisiert sprang Justina auf und kreischte geradezu hysterisch: „Fassen Sie mich nicht an!“

      In ihrer Linken hielt sie die Kaffeekanne in unmissverständlicher Drohgebärde hoch über ihren Kopf.

      „Raus!“, rief sie mit schriller Stimme. „Ihr seid doch alle gleich! Alle wollen nur das Schmutzige, Gottlose! Gehen Sie raus!“

      Völlig perplex stand Arthurs Vater da. Er war zu erschrocken, um irgendetwas zu tun oder zu sagen. Nach kurzem Zögern verlieβ er fluchtartig die Küche.

      Drauβen stellte er fest, dass einer von Deisenhofers Arbeitern seinen Werbefeldzug aufgegeben und sich in seine Hängematte verkrochen hatte.

      Luisa und der Sieger hatten sich jedoch nicht etwa ins Schlafzimmer zurückgezogen, sondern saβen ineinander verschlungen und kichernd auf einem der Korbsessel im Patio und blickten Arthurs Vater fragend an. Justinas Wortschwall war auch hier drauβen nicht zu überhören gewesen.

      Arthurs Vater fiel es allerdings nicht ein, irgendeine Erklärung abzugeben. Verstört und entnervt fuhr er die beiden grob an: „Habt ihr nicht vor, endlich ins Bett zu kriechen, oder wollt ihr eure Orgie unbedingt hier drauβen vor Publikum feiern?“ Diese Frage, in wütendem Ton auf Deutsch gestellt, war von derart eindeutiger Mimik begleitet gewesen, dass Luisa und Miguel nach kurzem Blickwechsel aufstanden und wortlos im Schlafzimmer verschwanden.

      Grimmig blickte Arthurs Vater den beiden hinterher und dachte: Ich kann nur froh sein, dass mein Kleiner und Maria Celeste einen so gesegneten Schlaf haben! Dieser ganze Zirkus! Ich fürchte, ich habe mir in den letzten Wochen viel zu wenig Zeit für Arthur genommen. Aber er sah die ganze Zeit über so zufrieden aus! Viel zufriedener, als er mir in Deutschland je erschienen ist. Aber wenn nun die Gesellschaft hier im Haus doch nicht das Richtige für ihn ist? Wenn ich nur wüsste, wie es weitergeht! So ein Abend hat mir gerade noch gefehlt!

      Seine Finger zitterten vor Wut, als er die Schnürsenkel seiner Schuhe löste. Dann legte er sich in die freie Hängematte. Er war wütend auf Luisa und ihre Männer, wütend auf ebendiese Männer, die in ihrer Gegenwart zu hirnlosen geilen Böcken geworden waren und sich noch nicht einmal darum bemüht hatten, ihre einschlägigen Bedürfnisse ein wenig dezenter auszudrücken. Auch wütend auf Deisenhofer, der so lange auf sich warten lieβ, letztendlich wütend auf sich selbst, weil er sich impulsiv dazu entschlossen hatte, auf’s Geratewohl nach Paraguay und letztendlich in dieses Hinterhaus zu kommen, um hier ein neues Leben zu beginnen.

      Wut muss irgendwann jede Faser seines Körpers durchzogen haben.

      Er war nicht sicher, ob er sich die Geräusche im Schlafzimmer einbildete, oder ob er tatsächlich hörte, was er sich sowieso die ganze Zeit über ungewollt im Geist ausmalte. Seine Wut wurde noch gröβer als er merkte, dass ihn der Gedanke an das Geschehen im Schlafzimmer erregte. Irgendwann erhob er sich leicht fröstelnd und ging auf die Straβe hinaus, um die Bilder in seinem Kopf abzuschütteln. Er wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber der jäh aufflammende Neid auf Miguel peinigte ihn geradezu.

      Er wanderte kilometerweit durch die nächtlichen Gassen der Stadt. Einfach geradeaus, einfach immer weiter. Plötzlich verlangsamte er seine gehetzten Schritte und musste lachen. Du bist ja nur so wütend, weil du schrecklich neidisch bist, sagte er zu sich selbst. Gesteh es dir doch endlich ein, wie gern du selbst an Miguels Stelle gewesen wärest! Dabei hast du immer so getan, als würde sie dich nicht interessieren! … Nicht interessieren! Dieses tolle Weib mit diesen wunderschönen Brüsten und runden Hüften. Und dieses wundervolle, glänzende Haar... und sie scheint immerzu fröhlich und guter Dinge zu sein. Naja, zumindest solange sie weiβ, dass man sie ansieht. Hm, stimmt eigentlich… Genau das ist es ja! Sie will ja auch angesehen werden! Warum würde sie sich sonst so bewegen! Sie setzt ja auch alles daran, einen verrückt nach ihr zu machen. Und mit der „Moral“ scheint sie sich auch nicht gerade das Leben schwer zu machen! Aber, im Grunde genommen, was ist das schon – Moral! Vielleicht mache ich mir die ganze Zeit über das Leben unnötig schwer! Nur, andererseits, was sollten denn die Deisenhofers von mir denken, wenn sie kommen und feststellen dass ich mit ihr... Nein. Wahrscheinlich war es das einzig Richtige, mich mit stundenlangem Spazierengehen aus dem Haus fernzuhalten. Aber die Abende im Patio, und vor allem die verflixten Nächte im gleichen Zimmer! Ich hoffe nur, dass ab morgen alles anders wird.

      Er sog die nächtliche Luft, die jetzt im Mai schon ziemlich frisch sein konnte, tief ein und fühlte sich erleichtert, weil ihm die Ursache seines Grolls immer klarer wurde: Er brauchte, verdammt nochmal, eine Frau!

      Eine Frau wie Luisa ständig neben sich zu haben, sie aber nicht haben zu können, war die reinste Qual. Qualen des Tantalus…

      Aber wieso, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, sollte ich sie eigentlich nicht haben können? Sie hat keinen wirklich festen Partner, wie mir scheint. Wieso bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, sie einfach zu heiraten und mit ihr ein neues Leben anzufangen? Aber gleich mit insgesamt vier Kindern? Wo bliebe da meine Unabhängigkeit? Und ich weiβ ja auch noch gar nicht, welche Möglichkeiten sich für mich auftun werden, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da ist es sicherlich nicht ratsam, gleich eine ganze Familie zu heiraten. Aber selbst eine Frau ohne Kinder... Passt da überhaupt eine Frau hinein? Also doch einfach hie und da ein kleiner Schmetterling von der Straβe? Aber, verdammt, bezahlte Liebe ist auch nicht das, was mir fehlt. Also doch nur ein kleines Abenteuer mit Luisa? Vielleicht schert es Deisenhofer ja nicht im Geringsten. Von irgendwas hat sie schließlich drei Kinder, auch wenn Justina mal gesagt hat, Luisas Kinder hätten keine Väter. Warum gehe ich nicht einfach genauso vor, wie die anderen Mannsbilder, die Luisa umturteln, es irgendwann schaffen, mit ihr ins Bett zu steigen und am nächsten Tag ist alles wie vorher!

      Dieser Gedanke hatte etwas Verlockendes. Aber wenn dann ein Miguel, Adalberto oder sonst wer kämen, ihr gerade besser passten... Heute Nacht in ihrem Bett und morgen Nacht hinter dem Kleiderschrank?

      Seine Überlegungen schweiften zu dem, was Justina in ihrer unerklärlichen, bodenlosen Wut über Luisa ausgespuckt hatte. Woher kam dieser Zorn? War das wirklich nur moralische Entrüstung? Oder steckte