Haloperidol oder vom Ende der Luftschlösser. Mario Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mario Krüger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847649632
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knurrte er und versuchte, mit seinen Pfoten die Tür zu öffnen.

      „Lass uns reden.“

      „Zum Reden war genug Zeit.“

      Ich setzte mich auf die Ablage, hielt mit den Füßen die Tür zu und wählte den Notruf.

      „Du erkältest dich bei dem Wetter.“

      „Red keinen Unsinn und komm raus!“

      „Ich weiß ja nicht einmal deinen Namen.“

      „Brauchst du auch nicht. Komm raus, du Feigling.“

      „Hallo“, meldete sich eine freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

      „Ich werde von einem Kampfhund bedroht und habe mich in eine Telefonzelle geflüchtet.“

      „Du alarmierst doch nicht etwa die Polizei, wuff?“

      „Wo befindet sich die Telefonzelle?“

      „In der Gosset Street.“

      „Wie viele Hunde sind es denn?“

      „Es ist nur einer.“

      „Aber es können mehr werden. Seien Sie vorsichtig! Ich schicke ihnen vorsichtshalber eine Streife vorbei.“

      Ich hängte ein und wählte den Taxiruf. Der Staffordshire Bullterrier war nicht mehr da, er hatte sich bestimmt, was blieb ihm auch weiter übrig, versteckt. Ein paar Minuten später hielt ein Taxi vor der Telefonzelle und kaum hatte ich sie verlassen, sprintete er auch schon los. Hinter einem Papierkorb hatte er gewartet, wie einfallslos, doch bevor er seine Zähne in meine Waden schlagen konnte, schlug ich ihm die Türe vor der Nase zu. Glück gehabt. „Fahren Sie mich nach Chelsea zum Sloane Square und wenn Sie unterwegs ein Blumengeschäft sehen, halten Sie bitte.“ Sein mieses Gekläff interessierte mich nicht, ist es nicht wert, auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

      Mit einem Strauß Margariten stand ich vor Lilis Tür. Es roch penetrant nach Kater, überall hatte er seine Duftmarken gesetzt.

      In einem gelben Sari, eine Art seidiger Morgenmantel, öffnete sie die Tür. Der Kater tat ahnungslos und strich ihr um die Beine. Sie bedankte sich für die Blumen und presste mich freudig an ihren Busen. Sie roch wieder so gut und so drückte ich meine Nase dazwischen und sog den Duft tief ein.

      Lili hatte ein kleines, orange gestrichenes Ein-Zimmer-Appartement. In einer Vitrine standen Fotos. Sie mit ihren Eltern, mit Kater, als kleines Mädchen mit Schulklasse und Freunden. Ich würde mir vom Flohmarkt auch ein paar Familienfotos zulegen müssen, der besseren Tarnung wegen. Sie bot mir Tee an und sagte, dass sie froh sei, dass ich gekommen bin, denn ich mache ihr wirklich Sorgen. Sie streckte ihre Arme aus und drückte mich erneut an sich. Nur zu gern ließ ich es geschehen.

      Wir kochten Mangos in Kokosnuss. Natürlich knackte ich die Kokosnuss mit meinen bloßen Händen. Lili staunte nicht schlecht und erzählte mir, dass sich Mister Salomon in der Kantine das Hemd bekleckert hatte und da er in den vergangen Tagen nicht dazu gekommen war, seine Wäsche zu bügeln und folglich nichts zum Wechseln dabei hatte, er den ganzen Nachmittag im schmutzigem Hemd herumlaufen musste.

      Beim Essen erzählte ich ihr- sie hatte extra für mich ihr kostbares Porzellan, ein Erbstück, wie sie sagte, aufgedeckt-, dass mein Vater an Ebola gestorben sei und meine Mutter nach einem schweren Verkehrsunfall im Rollstuhl sitze, ich sie deshalb unterstützen müsse und später einmal, wenn ich genug Geld gespart hätte, Kunst studieren wollte.

      Lili hörte aufmerksam zu, sagte aber kein Wort.

      „Kann ich noch eine Tasse Tee haben?“ fragte ich. Schweigend schenkte sie mir nach. Das Wetter, versuchte ich ein bisschen Konversation, sei nicht schön, aber zeitgemäß. Langsam leerte sie ihre Tasse. „Von deinen Lügen wird mir ganz schlecht und wenn du nicht sofort aufhörst, sondern auspackst, endlich sagst, was mit dir los ist, setze ich dich sofort vor die Tür. Damit das klar ist!“

      Schön, dachte ich und trank, um etwas Zeit zu gewinnen, einen Schluck. „Aber ob du aber auch die Wahrheit vertragen kannst?“ begann ich verhalten.

      „Das lass mal meine Sorge sein“, unterbrach sie mich energisch.

      Gut, du willst es nicht anders haben, dachte ich und erzählte ihr, dass ich Musiker und Fernsehstar war. Dass ich in einer Tierhandlung Sue kennen gelernt, ich mich wahrscheinlich verliebt hatte und von einem Kampfhund verfolgt wurde. Ich weiß nicht, wie lange sie mich schweigend ansah, aber schließlich, nachdem ich meinen Nachtisch verdrückt hatte, es war kein Pudding, sondern Vanilleeis mit Erdbeeren, nahm sie mich wieder in die Arme und drückte mich an sich. Natürlich nutzte ich die Gelegenheit aus und steckte meine Nase zwischen ihren Busen. Sie hatte eben diesen Geruch an sich und so saßen wir und hielten uns in den Armen.

      Am nächsten Morgen erwachte ich in der Küche. Sie hatte mich auf eine hölzerne Bank gelegt. Keine Zudecke, kein Kopfkissen, nichts. Ich stand auf, inspizierte den Kühlschrank und aß einen Apfel.

      „Schmeckt es Dir? Lili stand in der Tür. Sie kam herein und setzte Wasser auf.

      Aufrichtigkeit sei für sie das A und O, sagte sie, nahm ein Sieb und füllte Tee hinein. Ich hätte ihre Gastfreundschaft missbraucht und sie den ganzen Abend über belogen. Das Parfüm sei ein Geschenk ihrer Mutter gewesen und jetzt wäre es wirklich besser, wenn ich gehen würde.

      „Was denn für ein Parfüm?“

      „Tu doch nicht so!“

      Ich wusste es wirklich nicht, hatte aber eine böse Ahnung.

      „Das Parfüm, das ich heute früh benutzen wollte, eine halbe Stunde gesucht, und schließlich in deiner Manteltasche gefunden habe.“

      Das konnte nur der Kater gewesen sein. Wie auf Kommando erschien er in der Küche, setzte sich auf die Hinterbeine und leckte sich seine Vorderpfote.

      Ich weiß auch nicht, aber auf einmal hatte ich so ein komisches Bild: Ich trage eine eiserne Uniform, eine Rüstung vielleicht, ich schwinge ein Schwert und hacke dem Katzenvieh die Pfote ab. Die Diebespfote.

      Sollte ich Lili die Wahrheit sagen? Würde sie mir glauben, dass das miese Katzenstück den Flakon in meine Manteltasche gesteckt hatte? Ziemlich unwahrscheinlich.

      Ob sie mir den Blumenstrauß zurückgeben könnte, fragte ich. Bekam aber keine Antwort.

      Margariten schmecken sehr gut, erklärte ich, und da ich von ihr ja wohl kein Frühstück zu erwarten hatte, würde ich gern die Margariten essen. Sie holte die Blumenvase und stellte den Strauß auf den Tisch.

      „Hast du Erdnussbutter im Haus?“

      Sie stellte ein Glas dazu.

      Ich schmierte die Margariten damit ein und ließ es mir schmecken.

      Schweigend starrte sie mich an.

      Auf dem Weg zur Tube fing es zu schneien an. Ich hatte Schnee ja noch nie gesehen und hüpfte den Flöckchen entgegen. Sie schmeckten bitter, doch ich mochte es, wenn sie auf der Zunge schmolzen. Ein Passant warf mir eine Münze vor die Füße, wahrscheinlich hielt er mein Hüpfen für Straßentheater, eine Art Performance.

      Vor einer Pfütze wartete ich, bis ein paar Passanten vorbeikamen, und spritzte sie nass. Sie regten sich furchtbar darüber auf und einer lief mir sogar nach und drohte mir mit dem Regenschirm, aber ihr Schimpfen bereitete mir keine Freude mehr.

      Wozu und für wen sollte ich mich in der Krankenkasse noch weiter abmühen? Für den Fall, dass ich einen menschlichen Freund fand, er mir Glauben schenkte, war das doch die größte Gefahr für mich. Es machte alles keinen Sinn mehr, überlegte ich. Ich war allein und meine Sachen bis auf die Unterwäsche durchnässt. Frierend stellte ich mich an den Straßenrand, musste Husten, hielt ein Taxi an und fuhr zu Hawkins.

      Er war gerade mit Fischefüttern beschäftigt und machte große Augen als er mich sah.

      „Welche Ehre für mich, Sie in meinem Geschäft begrüßen zu dürfen!“

      Er