Haloperidol oder vom Ende der Luftschlösser. Mario Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mario Krüger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847649632
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besäßen, aber wie sagte schon der griechische Philosoph Aristoteles? „Das Vernunftvermögen unterscheidet den Menschen vom Tier.“ Ach so, und was ist mit der Erderwärmung, dem Abholzen von Regenwäldern und dem Zweiten Weltkrieg? Und wem das zu allgemein ist, den frage ich nach menschlichen Tobsuchtsanfällen und illegalen Autorennen - und was ist mit denjenigen, die, bis sie 55 Jahre alt sind, täglich zwölf Stunden arbeiten und dann an einem Herzinfarkt sterben? Sieht so die menschliche Vernunft aus?

      Ich gründete die Produktionsfirma „Subjekt“ und spielte in einer Dokusoap einen Krankenkassenangestellten, der wie ein ganz normaler Mensch seine Arbeit erledigt. Ich spielte einen Sachbearbeiter, der jeden Tag zur Arbeit geht, um 17 Uhr Feierabend macht, um 20 Uhr vor dem Fernseher sitzt und am Wochenende aufs Land fährt. Nur das ich ein Schimpanse war und das auch ganz selbstverständlich zeigte.

      Die Öffentlichkeit war gespalten. Die einen hielten das Ganze für einen Schwindel. Zum Beispiel schrieb „The Times“: „Gewissenlose Fernsehmacher missbrauchen Tiere für die Einschaltquote“ und forderte, mich ins Heim zu sperren.

      Die Tierschützer protestierten: „Es dürfen keine neuen Bedürfnisse geweckt werden, die nicht in der Natur des Tieres liegen. Affen dürfen nicht zu Konsumenten herangezüchtet werden, nur weil gerade Absatzflaute herrscht.“

      „Ja, warum denn nicht?“ frage ich Sie. Warum sollen schmackhafte Delikatessen, elegante Kleidung, und modische Accessoires allein dem Menschen vorbehalten bleiben? Cartiér und Lagerfeld auch für mich. Wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, dann möchte ich es auch kaufen können.

      Dann gab es die anderen, die sehr wohl erkannten, dass ich die Arbeit eines Menschen genauso gut erledigen konnte, wie diese. Nur mit dem Unterschied, dass diese Menschen gar keine Lust hatten, dies auch zu akzeptieren. „Was wird aus der menschlichen Art“, schrieb „The Sun“, „wenn uns neuerdings Affen die Jobs wegnehmen? Vielleicht haben wir demnächst ein Schaf als Premierminister?“

      Kurz darauf steckte ich in einem Supermarkt ein Eis in die Manteltasche, zwar wollte ich es an der Kasse aufs Band legen und ehrlich bezahlen, doch ein Wachmann zog seinen Revolver. Meine Instinkte übernahmen zum Glück das Kommando und während ich von Regal zu Regal davonsprang, schoss er eine Kugel auf mich ab. Mein Anwalt sagte: „Den krieg ich über das Tierschutzgesetz ran, aber mehr als eine Geldstrafe wird wohl nicht dabei rauskommen.“ Das war glatter Mordversuch und der Typ würde bestenfalls mit einer lächerlichen Geldbuße davonkommen!

      Am nächsten Morgen klingelte es an meiner Tür. Verschlafen schaute ich durch den Spion. Ich sah meinen Vermieter, einen Polizisten und einen Mann um die dreißig, der einen gelben Sakko, ein rotes Hemd und eine blaue Krawatte trug. Irgendwie erinnerte er mich an einen Kanarienvogel. Ich wollte schon öffnen, schaute aber zum Glück noch einmal durch den Spion und sah, wie der Mann ein Netz ausbreitete, zu mir schaute und seine Pupille plötzlich so groß war, wie das Gelbe in einem Spiegelei.

      Es klopfte.

      Sollten sie sich doch die Knöchel blau klopfen. Ich drehte mich um, verlagerte mein Gewicht und löste Dielenknarren aus.

      „Sind Sie zu Hause?“ hörte ich meinen Vermieter fragen.

      Auf Zehenspitzen schlich ich zurück. Auf keinen Fall würde ich die Tür öffnen! Ich legte mich ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf.

      Meistens schlief ich auf meinem Katzenkletterbaum, den ich mir ganz billig vom Flohmarkt besorgt hatte, ging aber dieses Mal wie ein Mensch zu Bett. Unter der Bettdecke hörte ich es klingeln und klopfen, ich hielt mir einfach die Ohren zu, schließlich war es noch früh und ich brauchte meinen Schlaf. Ich drehte mich auf den Bauch, als ich ein schrilles, ohrenbetäubendes Geräusch hörte. Mit drei Sprüngen war ich im Korridor, als auch schon die Tür aufsprang und mich die Hereinstürmenden, ohne es zu ahnen, an die Wand drückten. Vorsichtig versuchte ich herauszubekommen, was geschehen war. Ich schob meinen Kopf zur Seite und sah hinter der Tür hervor. Der Korridor war frei, wahrscheinlich suchten sie in Bad oder Küche nach mir. Mit einem Satz war ich wieder in meinem Schlafzimmer, zog mir in Windeseile etwas über und sprang vom Balkon. Das war kein Problem, da der rettende Ast nur ungefähr zwei Meter entfernt war. Im Busch hatte ich mit Hilfe von Schlingpflanzen weit größere Entfernungen zurückgelegt.

      Ich kletterte ein paar Äste weiter nach unten und öffnete eine Baumhöhle, die ich eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte, entdeckt und in der ich mein Erspartes versteckt hatte.

      Niemals würde ich mein Geld einer Bank anvertrauen! Ich bin doch nicht verrückt! Ich holte das Bündel heraus, vorsichtshalber hatte ich es in eine Plastiktüte gesteckt, als der Kanarienvogelmann auf den Balkon trat: „Ich weiß, dass du da bist.“ Mein Vermieter kam dazu und schaute sich ebenfalls um. „Wir können doch über alles reden. Es wird sich schon eine Lösung finden. Du kannst uns vertrauen!“ versuchten sie mir einzureden.

      Der Polizist betrat den Balkon, zog sein Mobiltelefon und sprach hinein.

      Ich berechnete die Flugbahn zum Nachbarbaum und von dort weiter zum Nächsten. Die Berechnung war das eine, aber ich war nicht mehr so fit, zu leben wie ein Mensch hatte meine Muskeln schlaff werden lassen. In Zukunft würde ich jeden Tag trainieren: Klettern, Turnen, Akrobatik und einhundert Liegestütze nahm ich mir vor. Gleich nach dem Aufstehen. Vorsichtig hüpfte ich auf meinem Ast auf und ab. Ich musste es versuchen. Masse mal Geschwindigkeit ist die Grundformel für die Berechnung des Schwunges. Der Nachbarbaum ist ein Kirschbaum und sehr biegsam. Er wird meinen Schwung aufnehmen und wenn ich die Energie geschickt nutze, könnte ich zum nächsten Baum fortschwingen, redete ich mir ein.

      „Dort sitzt er!“ rief der Kanarienvogelmann und zeigte mit dem Finger auf mich.

      Ich sprang einfach los, ohne weiter nachzudenken. Der gegenüberliegende Ast federte mich, genauso wie ich es berechnet hatte, weiter zum nächsten Baum. Ich genoss den Flug. In einem Nest saß ein Fink und schaute mich irritiert an. Statt den Flug zu genießen, hätte ich mich lieber auf die Landung konzentrieren sollen. Ich griff daneben, fiel in die Tiefe und schrammte mir den linken Arm. Ich fiel weiter, bekam mit den Füßen einen Ast zu fassen, schlug mit dem Hinterkopf gegen den Stamm und hing kopfüber über dem Gehweg. Eine Frau sagte: „Träum ich oder wach ich, King Kong ist wieder da!“

      Sie irrte, denn King Kong ist ein Gorilla.

      Bei dieser Aktion muss ich übrigens mein Smartphone verloren haben. Ich war immer ein Freund der sozialen Medien, Gesichtsbuch, etc., denn warum soll es ihnen anders ergehen als uns? Jeder ihrer Schritte, jedes Verhalten kann und wird pausenlos überwacht! Durch die modernen Medien werden die Menschen zu Kanarienvögeln. Twitter habe ich nie wieder benutzt.

      Da kam auch schon der Kanarienvogelmann aus dem Aufgang gelaufen. Über seinem Kopf wirbelte er etwas, wie ein Lasso. Das war das Netz, das ich durch den Spion gesehen hatte. Wenn er es schaffen sollte, es mir überzuwerfen, war ich verloren. Ich ließ mich in den Handstand fallen, kam auf die Beine und lief im Hüpferschritt davon – im Hüpferschritt kommt kein Mensch mit.

      Ich hob eine Feder vom Fußboden auf, um Hawkins, der noch immer schlafend in seinem Sessel saß, ein bisschen damit zu kitzeln. „Fass meine Feder nicht an!“ schilpte ein Kanarienvogel. Ich reagierte nicht darauf, war mir einfach zu blöd, als plötzlich die Glocke bimmelte und ein circa 1, 55 Meter großer Mann den Laden betrat, seinen Regenschirm entspannte und in die Ablage stellte. Er trug einen grünlichen Tweedsakko und einen schwarzen Filzhut. Freundlich grüßte er mit einer tiefen, melodischen Stimme. Da ich in dem halbdunklen, schummrigen Licht seine Gesichtsfarbe nicht erkennen konnte, ging ich davon aus, dass es sich um einen Farbigen handeln müsse. Wahrscheinlich ein Geschäftsmann aus dem hiesigen Viertel. „Hawkins“, dachte ich und schaute mich nach ihm um, der, aber ich hatte ihn doch gerade noch gesehen, nicht mehr in seinem Sessel saß. Der farbige Fremde trat zu den Kanarienvögeln, klopfte gegen den Käfig und versuchte ihre Stimmen zu imitieren. Komischer Kauz.

      „Was kann ich für Sie tun?“ fragte Hawkins und stand direkt neben mir.

      „Haben Sie mir einen Schrecken eingejagt!“

      „Tut mir leid, Sir“, sagte er und klopfte mir freundlich auf