Ich griff in meine Manteltasche um nach einer Streichholzschachtel zu suchen, fand sie schließlich unter dem nassen Taschentuch, entnahm ihr ein Zündholz und fuhr damit über die Reibefläche. Fehlanzeige, die Schachtel war feucht! Nach einigen, vergeblichen Versuchen ähnelte sie einem aufgeweichten, vielleicht sogar, pilzkranken Daumennagel. Keine Ahnung, wie ich auf diesen Vergleich gekommen bin. Verflixter Wels, hätte ich dich bloß nicht aus dem Aquarium gefischt! dache ich.
„Probieren Sie es damit!“ Hawkins reichte mir eine neue Schachtel.
„Danke.“
Ich entzündete ein Streichholz und trat im flackernden Licht an den Käfig heran. Sämtliche Haare sträubten sich mir, denn ich sah ein Schimpansenmädchen.
„Gestern Abend ist er erst geliefert worden. Ganz frische, erstklassige Ware.“
„Er ist eine sie.“
„Also gut, eine sie, wenn Sie sich so gut damit auskennen. Jedenfalls frisst er mir den ganzen Bambus weg.“
„Er ist eine sie.“
„Meinetwegen eine sie. Für nur zweitausend Pfund können Sie den gleich mitnehmen. Der ist bestimmt das Dreifache wert.“
„Er ist aber immer noch eine sie.“
„Schon gut, schon gut. Ich bin ja auch für Gleichberechtigung unter Tieren“, lenkte Hawkins ein und kicherte.
„Was gibt’s denn da zu kichern?“
„Nichts. Das sollte doch nur ein Scherz sein.“
„Ich biete Ihnen fünfhundert Pfund“, versuchte ich zu handeln, denn für zweitausend Pfund musste ich einen ganzen Monat im Büro absitzen.
„Ich gebe Ihnen noch ein Halsband dazu. Wir haben sehr schöne rote, aber mehr ist beim besten Willen nicht drin.“
Ich erntete einen vernichtenden Blick. Dieser Blick gefiel mir. In ihm lag etwas Trotziges, ein Hinweis vielleicht dafür, dass sie noch nicht gebrochen war. Wenn ein Schimpanse zu lange in Gefangenschaft lebt, verliert er jeden Lebensmut und starrt nur noch apathisch vor sich hin.
„Machen Sie ruhig ihre Bekanntschaft. Sie werden ihrem Charme nicht widerstehen können.“ Hawkins schaute mich lächelnd an.
Ich reagierte nicht auf seine Provokation.
„Sie wissen, wo ich zu finden bin“, sagte er und ging kichernd davon.
Ich entzündete ein weiteres Streichholz, mein Puls klopfte heftig und fragte sie nach ihrem Namen. Sie schaute mich nicht einmal an.
Noch bevor ich mir die Finger verbrennen konnte, pustete ich das Flämmchen aus. Für zweitausend Pfund konnte ich mir eine Freundin kaufen. Zweitausend Pfund war in meiner Situation nicht wenig, aber wenn ich bedachte, wie viel Geld ich schon dafür ausgegeben hatte, um Menschenfrauen kennen zu lernen, war es auch nicht viel.
„Hallo“, schlug ich einen freundlichen Ton an, „ich bin der Pedro“. Sie schaute demonstrativ weg. Ich klopfte gegen das Gitter. Keine Reaktion, sie ignorierte mich. War sie denn nicht auch eine Gefahr für mich? Würde ich mit ihr nicht Aufsehen erregen? Mit ihr würden mich die Menschen erkennen, mich einfangen und in ein Heim sperren oder, was noch schlimmer war - in ein Labor. Verkabelt, und auf einer Pritsche festgeschnallt würden sie mit immer neuen Experimenten versuchen zu beweisen, dass ich doch nur ein primitiver Affe war – darauf lief doch alles hinaus!
Neben mir flammte ein Feuerzeug auf. Der andere Kunde stand direkt neben mir. Er stellte die Flamme größer und hielt sie dicht an mein Gesicht. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück und konnte meine angesengten Haare riechen. „Was soll denn das?“ frage ich und pustete die Flamme aus. Er hatte eine braune, fast schwarze Hautfarbe, ganz so, wie ich es vermutet hatte.
Er ließ von mir ab und fragte sie auf Kru nach ihrem Namen. „Sue“, antwortete sie. Warum war ich nicht auf die Idee gekommen, sie in der Sprache meiner westafrikanischen Heimat anzusprechen? Erneut ließ er sein Feuerzeug aufflammen.
Ihr lebendiger Blick eilte durch den spärlich beleuchteten Raum. „Du hast aber einen schönen Namen“, schmeichelte er ihr.
„Danke“, antwortete sie.
Sie nenne sich Sue, nach der Schauspielerin Sue Lyon, die in Stanley Kubricks Film Lolita, die Hauptrolle spielte, erklärte sie.
Er sei ein großer Verehrer Stanley Kubricks, sagte er und dass „A Clockwork Orange“ sein Lieblingsfilm sei.
„So ein Zufall aber auch“, antwortete sie. „A Clockwork Orange’ ist auch mein Lieblingsfilm.“
Ob er sie nicht Lolita nennen dürfe, fragte er.
„Natürlich!“ antwortete sie.
„Ich nehme sie!“ rief ich dazwischen – das ging entschieden zu weit.
„Tut mir leid, aber der Herr hat ein Vorkaufsrecht“, sagte Hawkins und trat, nur ein paar Schritte entfernt, hinter einer Palette vor. „Er ist ein sehr guter Kunde.“
Da stand ich herum und sinnierte über Welse und aufgespießte Käfer und dieser Fremde kaufte mir mein Mädchen direkt vor der Nase weg! „Ich zahle das Doppelte! Ich bezweifle, dass dieser Herr in der Lage ist, dieser bezaubernden Frau einen angemessenen Lebensstandard zu garantieren.“ Ich sagte wirklich bezaubernden Frau! Wie kam ich nur auf diese altbackene Formulierung? Wahrscheinlich hatte ich zu viele englische Filme gesehen? „Vielmehr vermute ich“, sprach ich weiter, „dass er ihr das Fell abzieht und sie in den Topf steckt.“
„Sie kenn’ ich doch! Sie waren doch im Fernsehen. Sie sind doch der Affe aus dem Fernsehen!“ sagte der Unbekannte.
Sue schaute mich zum ersten Mal interessiert an.
„Ja, nein, nein, ja, Sie müssen sich irren, mich verwechseln.“ Wie gern hätte ich zugestimmt und eine Strophe gleich hier an ihrem Käfig gesungen: „All the microphones make me crazy, like a funky daisy.“
„Sorry Sir, Sie irren sich. Aber viel Spaß mit ihr.“ Ich klopfte dem unbekannten Schwarzen auf die Schulter, „sie ist wirklich sehr hübsch. Ich meine, ein sehr schönes Tier.“ Langsam bewegte ich mich in Richtung Ausgang, das heißt, ich ging rückwärts, da ich die beiden nicht aus den Augen verlieren wollte.
„Warten Sie“, rief Hawkins, „ich bekomme heute noch eine Lieferung ausgesuchter Schmalnasenaffen. Ich telefoniere nur schnell mit dem Großhändler. Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“
Meine Instinkte übernahmen mal wieder das Kommando. Ich hüpfte auf eine Palette mit Katzenstreu, griff nach einer tief hängenden Lampe und schaukelte so zu einem Schaukasten mit allerlei Gewürm, sprang von dort weiter zum Aquarium, stieß mich von diesem ab, so dass das Wasser über den Rand schwappte und war so mit einem Satz an der Ladentür. Die Glocke bimmelte und der Regen hatte mich zurück. So schnell ich konnte, nun aber wieder nach Menschenart, lief ich zur nächsten Hausecke. Ich drehte mich um, niemand schien mir gefolgt zu sein. Gut, ich war noch einmal davongekommen.
Es war Mitte Oktober und keine Aussicht auf Wetterbesserung - Regen, Nebel und Graupel würde es zur Genüge geben. Wenn es doch nur einmal richtig schneien würde, dann könnte ich meinen Eltern ein Foto von mir im Schnee schicken! Sie haben Schnee ja noch nie gesehen, aber Frost und Schnee gibt es in London so gut wie nie. Kennen Sie den? Was ist der Unterschied zwischen Sommer und Winter? Im Winter ist der Regen kälter. Ho, ho, kleiner Scherz am Rande, sprach ich vor mich hin und sprang über eine Pfütze.
Wäre ich doch nur zu Hause geblieben! Den ganzen Tag hätte ich faul in einer Astgabel liegen