Mario Krüger
Haloperidol oder vom Ende der Luftschlösser
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Pedro
Trödler, Teppichhändler, Friseure, Garküchen, eine Apotheke, ein Optiker und andere Geschäfte befanden sich in der Columbia Road. Aus einem Geschäft roch es nach Kräutern, aus einem anderen nach frischem Brot. Ich lief einfach der Nase nach, bog in die Gosset Street ein und hatte endlich, trotz einsetzenden Nieselregens, den muffigen Geruch von Meerschweinchen in der Nase. Vorsichtig öffnete ich die Tür, damit die Ladenglocke nicht bimmelte, denn Hawkins zu erschrecken, machte einfach zu viel Spaß. Das Geschäft war dunkel und kundenleer, so wie üblich. Leise hörte ich Hawkins schnarchen und das unverständliche Geplapper einiger Kanarienvögel, alles lief nach Plan. Vor einem Aquarium blieb ich stehen. Ich könnte den ganzen Tag mit dem Beobachten von Fischen zubringen, hätte ich überhaupt kein Problem mit. Die Sauerstoffanlage blubberte, ein Wels lutschte das Glas seines Gefängnisses sauber und sorgte so für Licht und dafür, dass ich ihn besser beobachten konnte. Ich klopfte gegen die Scheibe. Nichts. Keine Reaktion. Er tat seinen Job, so als wenn nichts geschehen wäre. Sollte ich mich ein wenig mit ihm unterhalten?
Ich zog einen Holzschemel heran, stieg hinauf, griff nach dem Kescher, der gleich neben der Dose mit dem Trockenfutter lag, und tauchte ein: „Komm kleiner Wels, komm in mein Netz.“ Er umschwamm Korallen, versteckte sich hinter Wasserpflanzen, beschrieb eine Acht und entkam.
Unerwartet drehte ich mich um. Meine Augen wanderten über Regale mit Katzenstreu, Hundefutter, Glaskästen für Spinnen und Schlangen, über die Käfige der Kanarienvögel und Meerschweinchen. Nichts, niemand war zu sehen oder zu riechen. Hawkins schnarchte nach wie vor, es schien nichts passiert zu sein. Vielleicht war auch nur ein Hund am Geschäft vorbeigelaufen und meine Instinkte reagierten mal wieder über? Im Büro bekam ich einmal die totale Panik, weil Lili, eine Arbeitskollegin, ihre Katze mit zur Arbeit gebracht hatte. Zuerst, noch bevor ich ihn gerochen hatte oder ich überhaupt einen Gedanken fassen konnte, richteten sich meine Nackenhaare auf und ohne dass ich auch nur den geringsten Einfluss nehmen konnte, spannten sich meine Muskeln an.
Wäre zu diesem Zeitpunkt Mister Salomon mit einem Stapel Veränderungsmitteilungen vorbeigekommen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, hätte ich ihm das Lineal über den Schädel ziehen können – ohne auch nur mit der Wimper zu zucken!
Dann hatte ich den säuerlichen Geruch einer Katze in der Nase und ging von einem Löwen, Tiger oder Panther aus. Panther sind besonders gefährlich, weil sie gut klettern können. Der Geruch wurde stärker. Lili hatte noch nicht das Büro betreten, da sprang ich auf einen Aktenschrank und schrie aus Leibeskräften. Nicht aus Angst, sondern um meine Artgenossen zu warnen, so wie es bei uns üblich ist.
Erst als ich sah, wie Lili ihren Katzenkorb abstellte und es sich um einen ganz normalen Stubentiger handelte, beruhigte ich mich und stieg vom Schrank herunter. Das Katzenvieh tat ganz unschuldig und strich um ihre Beine herum, dabei hab’ ich genau gesehen, wie es fies in sich hinein gegrinst hat. Ob ich einen Arzt bräuchte, eine Pause, einen Tee? Die halbe Belegschaft stand um meinen Arbeitsplatz herum und wollte mir etwas Gutes tun. Nein, nein, nein, es geht mir schon wieder besser, erklärte ich. Ich hätte einfach nur meine Beruhigungspillen vergessen. Manchmal bekomme ich eben Panikattacken, die aber nach ein paar Minuten vorüber sind. Mister Salomon, der Bürovorsteher, schickte mich nach Hause, was ich nach dem Schrecken fair fand. Ich bin dann gleich in die nächste Apotheke, um Rizinusöl zu kaufen. Ich wolle mir ein bisschen Arbeit mit nach Hause nehmen, sagte ich zur Begründung, warum ich noch einmal zurückgekommen war, kramte ein paar Papiere zusammen und träufelte dem Katzenvieh das Rizinusöl in den mitgebrachten Fressnapf. Lili erzählte mir am nächsten Tag, dass er, ein Kater, von seinem Klo nicht mehr heruntergekommen war. Tja, Rache ist süß.
Ich stieg vom Schemel, ging einen Schritt am Becken entlang und entdeckte ihn hinter einer Kokosnussschale. Ich krempelte mir meinen Ärmel hoch, stieg zurück und streckte meinen Arm zuerst nur bis zum Ellenbogen, dann bis zur Schulter ins Wasser und trieb ihn in eine Ecke. „Warte nur, kleiner Wels, du entkommst mir nicht“, sprach ich vor mich hin und wirbelte einiges an Ablagerungen auf. Ich zog den Kescher aus der dunkelbraunen Brühe und entleerte ihn in meine Hand. Er schnappte nach Luft, sagte aber keinen Ton. „Ist da jemand?“ hörte ich eine verschlafene Stimme. Das war Hawkins. Schnell tauchte ich mein Taschentuch in das Aquarium, wickelte meinen kleinen Freund darin ein, und steckte ihn in meine Manteltasche. Das Wasser roch sehr unangenehm, gleich morgen würde ich den Mantel in die Reinigung geben müssen. Ich stieg vom Schemel, duckte mich ab, krempelte meinen Ärmel herunter und hielt vorsichtig nach Hawkins Ausschau. Nichts zu sehen! Gut, so konnte ich die Inspektion noch ein bisschen fortsetzen. Unmittelbar neben dem Aquarium stand ein Käfig mit Kanarienvögeln. Da sie meine Aufmerksamkeit bemerkten, begannen sie eine Diskussion, wie lange sich ein jeder im Spiegel betrachten dürfe. Ein gelber argumentierte, dass immer wenn er Lust dazu habe, es ihm möglich gemacht werden müsse, sich zu betrachten. Während ein anderer dafür eintrat, eine gewisse Reihenfolge einzuhalten. Ich wendete mich einer Vitrine mit aufgespießten Käfern zu, worauf sie sich bei Hawkins über meine Ignoranz beschwerten. Aber daran sieht man doch, dachte ich, dass Kanarienvögel ziemlich dumm sind, denn anscheinend hatten sie noch immer nicht kapiert, dass Menschen die Sprache der Vögel nicht verstehen.
Arme Käfer, überlegte ich, nachdem mein Blick weiter gewandert war, für eine zweifelhafte Wissenschaft wurden sie aufgespießt. Wenn ich nicht aufpasste, würde es mir genauso ergehen, präpariert würde ich ein schönes Ausstellungsstück abgeben. Der erste Affe, der eine Nummer eins in den Charts hatte, könnten die Besucher im British Museum über mich lesen und bitte nicht berühren.
Bis vor ein paar Wochen hatte ich eine Nummer eins in der Hitparade. Aber der Erfolg reichte mir nicht. Ich wollte das Weltbild des Menschen vom Kopf auf die Füße stellen. Ich, ein Schimpanse, breite Schnauze, fliehende Stirn,