An einem Imbiss bestellte ich mir einen Salat und trank einen Mangolimettensaft. Schräg gegenüber lag das „Old Marys.“ Dort hatten wir unsere ersten Auftritte gehabt. „Wer will schon Musiker in Affenkostümen sehen?“ hatte der Manager gefragt. Wir bekamen keinerlei Honorar und übernahmen das volle Risiko. Dann erschienen die ersten Kritiken und von da an war die Hütte voll. Wir wären so ein Ding zwischen Blues und Jazz, nur dass unsere Beats mit einem Stakkato vorgetragen würden, die an die Grenze des Hörbaren gingen. Wir wären hervorragende Musiker, die nur den Spleen hatten, in Affenkostümen aufzutreten. Die Presse wollte einfach nicht glauben, dass wir echte Schimpansen waren. Bis auf Bob, der war ein Bonobo. Bob hatte einen helleren Teint und war der Kleinste von uns, aber an den Drums war er eine Macht.
Endlich kam der Salat. Maniok, Süßholz und Bambussprossen angemacht mit einem Dressing aus Minze und Koriander.
Es ging mir nicht nur darum, Musik zu spielen, die Zeit war reif für soziale Veränderungen. Ich wollte die Welt vom Kopf auf die Füße stellen. Nach einem Konzert erläuterte ich den Kollegen meine Pläne.
Louis, der Bassist, wäre gern mit von der Partie gewesen, nur wollte er nichts ohne seinen Agenten entscheiden. Bob spielte mit seinem Ring und sagte, dass so ein Sozialprojekt nicht zu unserem Image passen würde.
Ich sprang auf den Billardtisch: „Leute, wir müssen unsere Popularität nutzen und den Menschen endlich klarmachen, dass wir echte, hundertprozentige Primaten sind! Wirklich eigenständige Subjekte!“
Ich würde nicht nur meine Sicherheit, sondern die Sicherheit
aller meiner Kollegen aufs Spiel setzen, entgegnete Louis.
„Wann, wenn nicht jetzt?“ rief ich, hüpfte vom Tisch und schlug vor lauter Aufregung einen Salto rückwärts – wie fit ich damals doch noch war!
„Ihr redet über Imageprobleme, während ich die Welt verändern will!“
Chuck, der Saxofonist, schlug mir auf die Schulter: „Pedro“, sagte er, „nutze deine Bekanntheit und setz’ dich für eine bedrohte Art ein, kämpfe gegen Laborversuche oder gegen das Abholzen der Regenwälder, aber fordere die Menschen nicht heraus. Es darf den Menschen nicht wirklich wehtun, verstehst du. Wenn sie sich bedroht fühlen, werden sie es dich fühlen lassen.“
„Nein, nein, nein und nochmals nein! Blues, Rock and Roll, HipHop, das sind doch alles Zeichen. Die Welt braucht Veränderung! Wir können etwas bewegen! Versteht ihr das denn nicht?“
Bob saß schweigend da und betrachtete seinen Ring. Von Zeit zu Zeit hielt er ihn in den Strahl eines Scheinwerfers, der eine Ecke des Hinterzimmers ausleuchtete. „Ich schenke dir diesen Ring, sieh dir dieses herrliche Feuer an, diesen Berg des Lichts.“ Er stand auf und kam auf mich zu. „Ich schenke ihn dir, wenn du von deinem Vorhaben ablässt. Ich habe Angst um dich. Verstehst du das?“ sagte er und nahm mich in die Arme. Oh, wie schön es ist, von den langen, kräftigen Armen eines Freundes gehalten zu werden. Wie habe ich es genossen.
„Verstehst du das?“ fragte er erneut. Wenn er doch nur nicht so eindringlich gefragt hätte. Bestimmt wäre alles ganz anders gekommen.
Er schob mich von sich und fragte erneut.
Was sollte die Fragerei? Glaubte er wirklich, dass ich nicht verstehen würde, dass ihn nichts weiter als Musik interessierte?
„Das ist nichts für dich. Verstehst du das?“ fragte er schon wieder, trat auf mich zu und begann mich zu schütteln.
„Ja“, gab ich ihm recht, „aber versuch’ bitte nicht, mich zu belehren!“ antwortete ich und wand mich aus seinem Griff.
„Du setzt aber nicht nur deine Sicherheit aufs Spiel, sondern unser aller! Warum willst du das denn nicht begreifen?“
„Bin ich etwa begriffsstutzig? Bin ich dein dummes kleines Äffchen, das du belehren kannst?“ entgegnete ich patzig. Steck dir deinen Brillianten sonst wo hin, kaufen lasse ich mich nicht!“
Der Salat war hervorragend. Ich nahm mir eine Serviette, wischte mir den Mund und bestellte ein Thunfischsandwich. Es schmeckte bitter mit einem öligen, fauligen Beigeschmack. Den Fisch spuckte ich auf die Straße und kaute nur das Brot. Ob Sue schon schlief? Warum fuhr ich nicht zu ihr? Vielleicht war sie noch wach? Es musste doch möglich sein, ihr ein Zeichen zu geben. Mit einer Taschenlampe oder Klopfzeichen.
„Oh nein“, den hatte ich ja ganz vergessen. Ich zog das feuchte Taschentuch aus meiner Manteltasche und wickelte es auseinander. Reglos lag mein kleiner Freund darin. „Das hab’ ich nicht gewollt. Wirklich nicht.“
Ich kaufte eine Flasche Mineralwasser, steckte ihn hinein und schüttelte alles ordentlich durch, die Kohlensäure würde ihn schon wieder zum Leben erwecken. Ich trat an einen Gully und goss den Inhalt in die Kanalisation. Mit ein bisschen Glück würde er den Weg in die Themse finden und wäre in Freiheit. Wir kämpfen doch alle um unsere Freiheit und niemand kann uns eine Garantie dafür geben, dass wir sie jemals erlangen werden. Warum sollte es ihm anders gehen? sinnierte ich vor mich hin und trank noch einen Orangensaft.
Aber hatte ich ihn nicht einfach nur aus seiner sicheren Umgebung entführt und damit dem sofortigen Tod überantwortet? Redete ich mir nicht alles nur schön? Von wegen Freiheit. Selbstbestimmtes Leben und so. Ich musste Vernunft annehmen Jetzt sofort!
Es war nicht zum Aushalten: ich wurde immer menschlicher.
Ich zahlte, lief zum nächsten Taxistand, fuhr nach Hause und legte mich aufs Ohr.
Es war halb acht, als ich erwachte. Ich drückte mich in den Handstand, ging kopfüber ins Bad, setzte mich aufs Klo und nahm anschließend eine heiße Dusche. Genüsslich frottierte ich mich ab, putzte mir die Zähne, ging kopfüber zum Telefon und wählte mit den Füßen Lilis Nummer. Um diese Zeit machte sie immer ihr Morgenyoga, indische Turnübungen, und dabei wollte ich sie ein bisschen stören. Ich hörte das Freizeichen.
„Wer da?“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Wer ist denn da?“ fragte der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung. Ich ließ mich auf die Füße fallen. Das war doch nicht etwa? Ich meldete mich besser nicht. „Bist du es, Pedro? Wenn du es bist, ruf hier bloß nicht mehr an! Sonst gibt’s Ärger, verstanden!“ Dann legte er auf. Seit wann können Katzen ans Telefon gehen? Und woher wusste er, dass ich der Anrufer war?
Wenn ich unterwegs noch etwas frühstücken wollte, musste ich los, denn in der Kantine gab es nur Donuts und Spiegelei mit Speck und ähnliches, ungenießbares Zeug. Ein typisch englisches Frühstück eben.
Ich warf mir meinen Mantel über, er war vom Regen noch feucht, zog die triefend nassen Schuhe an und verließ meine Wohnung. Kalter Morgennebel hüllte mich ein und machte mich unsichtbar. Gut so.
Ich fuhr durch die halbe Stadt bis Holborn, schaute kurz aus dem Bahnhof heraus, ob nicht irgendwo ein Gemüsehändler zu sehen war, bestieg die Tube Richtung Cockfosters, wechselte Kings Cross in den Bus und fuhr ein paar Minuten später durch die Gosset Street. „Was sollte das?“ fragte ich mich. Mit fast schlafwandlerischer Sicherheit landete ich in der Gosset. Ich wollte mir einen Salatkopf zum Frühstück kaufen, in London gab es Tausende Gemüsehändler und ich fuhr durch die halbe Stadt, um in einer abgelegenen Nebenstrasse einen Salat zu kaufen. Mein Puls beschleunigte sich, als ich an Hawkins Geschäft vorbeiging. Um diese Zeit war es, wie üblich, noch geschlossen und das Ladeninnere nicht einzusehen. Vor einem Gemüsehändler blieb ich stehen, kaufte mir Chicoree und biss hinein.
Sprühregen setzte ein. Ich ging zur Tierhandlung zurück und versuchte durch die beschlagene Scheibe in das Geschäft zu sehen. Ich klopfte dagegen, nichts war zu hören oder zu sehen. Ich klopfte heftiger und, war das nicht etwa Hawkins? Ich sprang einen Schritt zurück, er musste mich gesehen haben und war sofort wieder verschwunden. Unsinn, die Scheibe war verdreckt und beschlagen und es war unmöglich, etwas zu erkennen. Ich lief auf die andere Straßenseite, betrat einen chinesischen Imbiss und bestellte mir einen Tee. Ich riss ein paar Blätter vom Salat ab und stopfte sie mir in den