„Hier ist ein Schalter!“, hallte Tommys Stimme schaurig durch den Gang.
„Mann, schrei doch nicht so!“, rief ich nach oben. „Beinahe hätte ich die Lampe fallen lassen! Was denn für ein Schalter?“
„Ein Lichtschalter. Hier gibt’s bestimmt keinen Strom, aber ich kann ja mal ...“
Tommy war als Letzter eingestiegen und ich hatte keine Chance, ihm in den Arm zu fallen. Ich wollte „Warte!“ schreien, weil ich dachte, er könnte eine Falltür auslösen oder, noch schlimmer, eine Platte würde sich über das Einstiegsloch schieben und uns lebendig begraben! Aber es war zu spät. Schon hörte ich das laut widerhallende Klickgeräusch des umgelegten Schalters. Im nächsten Moment war der Gang nach unten beleuchtet!
„Na, wer sagt’s denn!“, kam es von oben.
„Mensch, Tommy!“ Ich holte tief Luft. „Das nächste Mal gehst du vor! Du bringst mich noch um!“
„Und uns auch!“, hörte ich Janines ängstliche Stimme hinter mir.
„Ohne Licht wärt ihr viel eher gestorben“, kam es trocken von meinem Freund. „Wie weit müssen wir denn noch runter?“
Ich blickte mit zusammengekniffenen Augen die Treppe hinab. In regelmäßigen Abständen hingen unscheinbare kleine Neonröhren an der Decke und gaben ein gleichmäßiges Licht. Als ich sah, wie weit es hinunter ging, wurde mein Mund trocken.
„Ziemlich weit, würde ich sagen“, gab ich zurück. „Ich sehe das Ende nicht.“
„Okay“, kam es energisch von Sanne. „Dann sind wir richtig. Kein Haus hat so eine Treppe! Das muss der Eingang zur anderen Welt sein! Los, geh weiter, Joe!“
Geh weiter, Joe! Geh weiter, Joe ... Sanne hatte gut reden. Ich hatte das furchtbar mulmige Gefühl, dass der Eingang verschlossen sein würde, wenn wir umdrehten. Und genauso ein mulmiges Gefühl vor dem, was uns dort unten erwarten konnte. Ich ging ja schließlich vor! Aber ich wusste, ich hatte keine Wahl. Als ich das im Innern entschieden hatte, knipste ich die Taschenlampe aus und setzte entschlossen einen Fuß auf die nächste Stufe.
„Und beeil dich ein bisschen! Lazy wird mir immer schwerer!“
Ich verkniff mir eine Antwort. So zügig es die Treppe erlaubte, stiegen wir in die Tiefe. Und es ging wirklich buchstäblich in die Tiefe. Bei der hundertfünfzehnten Stufe verhaspelte ich mich und hörte auf zu zählen. Meter um Meter arbeiteten wir uns in den Bauch des Grundstücks voran und genau in dem Moment, als Sanne rief, sie könne Lazy nicht mehr lange halten, erkannte ich das Ende des Abstiegs.
„Wir sind gleich unten!“, rief ich beruhigend über meine Schulter.
Die letzten Stufen ging ich langsam und vorsichtig, um zu ergründen, was dort am Ende der Treppe auf uns warten mochte. Ich erkannte einen staubigen, dunkelgrauen Fußboden. Erst war es nur ein Ausschnitt, doch dann sah ich, dass die Treppe in einen sehr großen Raum mündete, der mit den gleichen kleinen Neonröhren ausgeleuchtet wurde wie die Treppe. Der Raum war leer.
Als ich die letzte Stufe geschafft hatte und durch die türlose Öffnung trat, fiel die Spannung augenblicklich von mir ab. Hier drin gab es nichts Gefährliches. Absolut nichts. Ich fühlte Enttäuschung in mir aufsteigen.
„Endstation!“, sagte ich zu den anderen, die jetzt nach mir den Raum betraten. „Ein Keller ohne Ausgang. Vielleicht einer von den Bunkern von früher, von denen Oma immer erzählt hat.“
Janine und meine Schwester setzten die Hunde ab, die sofort neugierig umhertapsten. Sanne rieb sich die Arme. Ich wusste, wie schwer mein Hund war und war ihr dankbar, dass ich nur den blöden Schlafsack hatte tragen müssen. Ich ließ ihn zu Boden gleiten und Tommy machte es mir nach.
„Hier will ich ganz bestimmt nicht schlafen!“, sagte er grinsend. Er ließ seinen Blick langsam über die Wände gleiten. Diesmal war ich mir sicher, dass er nichts entdecken würde. Es gab einfach nichts zu sehen. Kein Möbelstück, kein Gerümpel, keine Regale. Allerdings war der Raum bestimmt zwanzig Meter lang und schwören wollte ich nicht, dass da hinten nicht vielleicht doch ein winziger Zettel liegen konnte oder sonst etwas, dass uns vor eine Aufgabe stellen würde. Ich seufzte. Wir würden jeden Quadratzentimeter des Raumes absuchen müssen. Dafür würde Tommy schon sorgen. Aber es war Janine, die uns antrieb.
„Jeder eine Wand! Und wenn wir fertig sind, treffen wir uns in der Mitte, okay?“
„Nun guck nicht so, Joe“, meinte Tommy aufmunternd. „Vor einfache Aufgaben hat uns das Haus noch nie gestellt, oder?“
Damit hatte er allerdings den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich war sauer auf mich selbst, dass ich so schnell resigniert hatte. Die beiden Mädchen begannen bereits, die rechte und linke Seite des Kellers zu inspizieren, und Tommy durchquerte den Raum, um die gegenüberliegende zu untersuchen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mir den Bereich des Eingangs und die sich daran anschließenden Wände vorzunehmen.
Zuerst ging ich nach links. Ich konzentrierte mich auf feinste Risse, Unebenheiten oder sonst irgendetwas, das die glatte Oberfläche der Wand unterbrochen hätte. Mein Blick glitt von oben nach unten, vor und zurück. Nichts. Ich machte kehrt und untersuchte auch die rechte Seite neben dem Eingang. Ebenfalls Fehlanzeige. Ich drehte mich um und schaute, was die anderen machten. Tommy blickte mir entgegen und zeigte mit dem Daumen nach unten. Also auch nichts. Sanne und Janine waren noch nicht ganz fertig, denn die Längsseiten des Raumes abzusuchen, dauerte etwas länger. Ich schaute den Mädchen gespannt zu. Doch ein paar Minuten später hatten wir Gewissheit. Es gab nichts zu entdecken.
„Gehen wir den Raum noch mal ab und sehen uns die Decke an!“, rief Tommy von drüben. Er dachte aber auch an alles.
Mit in den Nacken gelegten Köpfen schritten wir den Keller nun ein letztes Mal ab, bis ich schon glaubte, etwas entdeckt zu haben, meine Augen mir aber nur einen Streich gespielt hatten. Schließlich gaben wir auf und versammelten uns in der Mitte. Ich bemerkte Janines niedergeschlagenen Blick und versuchte sie aufzumuntern.
„Vielleicht haben wir oben etwas übersehen und das ist nur ein ganz normaler Keller.“
„Ein ganz normaler Keller?“ Janine lächelte gequält. „Bei uns zu Hause geht es zwölf Stufen runter in den Keller. Und hier? Das glaubst du doch selbst nicht.“
„Nein, normal ist der nicht“, meinte Tommy. „Wir haben nur noch nicht richtig nachgedacht, welches Rätsel hier auf uns wartet. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch nicht mehr weiter.“
Das gab mir einen kleinen Stich, denn wenn selbst Tommy nicht mehr weiter wusste, waren wir wohl schon am Ende angelangt. Ich traute mich gar nicht, Janine jetzt anzusehen. Ich sah es kommen, dass wir tatsächlich noch zu Omas Laube fahren mussten, denn wir konnten ja schlecht zu Hause erzählen, dass wir auf einmal keine Lust mehr hatten, das Wochenende gemeinsam zu übernachten.
Die ganze Zeit über hatten wir uns nicht mehr um unsere beiden Hunde gekümmert, die mal hierhin, mal dorthin getrabt waren, um so wie wir den Raum zu erkunden. Doch jetzt zwängte sich Jever zwischen unseren Beinen hindurch, kläffte einmal laut und fing urplötzlich an, mit seinen Vorderbeinen wie wild auf dem Boden herumzukratzen.
„Jever!“, rief Tommy verblüfft. „Was hast du denn?“
Neugierig gingen wir in die Hocke und betrachteten die Stelle, die der Kleine so verbissen bearbeitete. Erst sah ich gar nichts, doch plötzlich glaubte ich, feine Linien zu erkennen. So etwas wie einen Kreis. Und dann noch einen.
„Hier ist was eingeritzt!“, rief Sanne verblüfft. „Seht doch, es wird immer deutlicher!“
Jetzt erkannte ich bereits vier identisch große Kreise, und noch etwas tauchte auf,