Das war nicht schwer zu beantworten. Vier gleichlange Wände. Kein Ausgang. Die Fackeln brannten etwas unruhig, als würde ein leichter Luftzug wehen. Das erinnerte mich an etwas, und ich schaute nach oben.
„Der Lüftungsschacht!“
Genau über unseren Köpfen besaß die ebenfalls mit Hieroglyphen bemalte Decke eine kleine, vielleicht dreißig mal dreißig Zentimeter große Öffnung, die für die Belüftung der Kammer sorgte. Zumindest hatte Tommy das damals irgendwo in einem Ägyptenbericht gelesen.
„Der ist viel zu klein“, sagte Sanne enttäuscht. „Der hilft uns auch nicht weiter.“
Mir brach der Schweiß aus. Ich wusste nicht, ob das an der Enge der Kammer lag, an dem Schock, den ich sicher von unserem Sturz in das Loch noch hatte oder an der hohen Temperatur, die hier drin herrschte. Ehe ich das zu Ende denken konnte, streifte Tommy seinen Rucksack von der Schulter, stellte ihn auf den Boden und zog sich die Jacke aus.
„Puh“, meinte er. „Ist das warm hier drin! Ich glaube, die Jacken brauchen wir auch nicht mehr.“
Wir waren froh, die Dinger ausziehen zu können und legten sie alle auf einen Haufen. Die Rucksäcke stellten wir erstmal daneben. Doch auch mit Jeans und T-Shirt war mir noch so warm, dass ich mir den Schweiß von der Stirn wischen musste.
„Ich hab Durst!“, sagte Sanne, und den hatte ich auch.
„Spricht nichts dagegen, was zu trinken“, meinte Tommy und knüpfte seinen Rucksack auf. „Wir sollten sowieso mal gucken, ob die Flaschen heil geblieben sind.“
Froh, dass wir etwas zu trinken dabei hatten, machten wir es Tommy nach und untersuchten den Inhalt unserer Rucksäcke. Es war alles heil geblieben. Gott sei Dank liebte Tommy das Wasser mit wenig Kohlensäure, sonst wären uns die Flaschen womöglich nach dem turbulenten Ritt durch die Röhre um die Ohren geflogen. Dankbar nahm ich einen Schluck.
„Die glüht!“, schrie Janine auf einmal. Ich verschluckte mich und prustete das Wasser von mir.
Janine musste lachen. „Die glüht doch nur, die brennt nicht! Du musst sie nicht löschen!“ Sie zeigte immer noch auf eine Hieroglyphe, die eine Schlange darstellte und die mit einem Mal feuerrot zu glühen angefangen hatte.
Überrascht starrten wir in die Runde, ob irgendwo noch weitere Symbole aufleuchten würden.
„Hier!“, rief Sanne. „Eine Feder! Und hier noch eine!“
„Hinter dir, Joe!“, sagte Tommy laut und ich fuhr herum. Auch hier begann ein Symbol mitten zwischen all den anderen dunkelrot zu glühen. Es war eine lange gezackte Linie.
Langsam drehten wir uns im Kreis und warteten, wie viele es werden würden. Dann stand es fest. Es waren sechs.
„Tommy, was ist, kennst du die Zeichen?“, fragte Janine gespannt. Auch Sanne und ich zappelten vor Ungeduld, ob er die Bedeutung der uralten Zeichen kannte. Das letzte Mal stellten die glühenden Hieroglyphen die Buchstaben seines Namens dar, und das hatte er nur gewusst, weil er ein paar Buchstaben Hieroglyphisch beim Zahnarzt gelesen hatte!
„Nein“, sagte Tommy und meine Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase. „Die kenne ich nicht. Das heißt, wartet ... doch, das eine hier, die Feder, an die müsstet ihr euch noch erinnern. Sie steht für das i. Das Ypsilon wurde auch mit einer oder zwei Federn dargestellt. Aber die anderen ... keine Ahnung! Außerdem sind es ja sechs. Tommy kann das nicht heißen. Mein Name hat ja nur fünf Buchstaben. Tut mir Leid, Leute, aber ich habe mir damals nur die Zeichen für meinen Namen gemerkt.“
„Aber wie sollen wir dann die Bedeutung jemals heraus finden?“ Sanne hatte immer noch ihre Flasche Wasser in der Hand, und ihre Augen irrten von einem Zeichen zum anderen. „Wie kommen wir dann hier raus?“
Tommy ließ sich nicht beirren und trank noch einen Schluck. „Erstmal stärken. Ich glaube nicht, dass die Aufgabe viel schwerer ist als das letzte Mal. Wir müssen nur in Ruhe nachdenken.“
„Wer kann schon Hieroglyphisch?“, seufzte ich.
„Na, kann ich doch auch nicht!“, lachte Tommy. „Ich kann doch nur genau die paar Buchstaben, aus denen mein Name besteht. Und damit war es eine Aufgabe, die ich lösen konnte. Und ich bin eigentlich sicher, dass es diesmal auch nicht viel schwieriger sein dürfte.“
„Okay“, sagte Janine. „Wer hat sechs Buchstaben?“
Sie sagte es einfach so locker dahin, aber wir bekamen große Augen.
„Wie meinst du das?“, fragte ich erstaunt.
„Na, wenn’s Tommy nicht sein kann, dann vielleicht ein anderer. Josef, Sanne oder Janine.“
Wir blickten uns an und ich sah, wie es in den Köpfen meiner Freunde arbeitete. Das war nicht schlecht, was Janine da sagte. Tommy fing an zu grinsen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Tja, gute Frau“, meinte er trocken, „wer hat denn nun sechs Buchstaben? Das bist ja wohl du!“
„Ich?“, fragte Janine verblüfft. Und im selben Moment fiel bei ihr der Groschen. „Ich!“, wiederholte sie und sah von einem zum anderen. „Meint ihr wirklich?“
„Also bis sechs zählen kann ich noch“, sagte Tommy. „Und einen Beweis hätten wir.“
Wir blickten ihn fragend an.
„Welchen?“, kam es fast gleichzeitig.
„Na, die Feder! Das einzige Symbol, das wir kennen, ist die Feder. Und die steht auch für das i, wie ihr wisst. Und das kommt in Janine nun mal vor.“
„Joe!“ Sanne packte mich am Arm und ich fuhr zusammen.
„Was ist?“
„Da! Sieh nur! Die Zeichen! Sie treten hervor!“
Fasziniert sahen wir zu, wie die sechs leuchtenden Symbole wie kleine Schubladen aus der Wand hervorkamen und einige Zentimeter aus ihr herausragten, so dass man das Gefühl bekam, man könnte sie abnehmen.
„Da habt ihr’s!“, rief Tommy. „Jetzt müssen wir sie nur noch in der richtigen Reihenfolge wieder reindrücken.“
Ich wusste noch genau, was passiert war, als Tommy dies im Juli tat, als er die Zeichen in der Reihenfolge der Buchstaben seines Namens in die Wand zurückgedrückt hatte.
„Meinst du, das Buch der Gaben erscheint und die Wunschkugeln?“, fragte Janine mit leuchtenden Augen.
„Schon möglich“, murmelte Tommy. „Aber erst müssen wir die richtige Reihenfolge herausfinden. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn wir die falsche wählen.“
Gleich darauf bereute er seine Worte, als er die ängstlichen Gesichter der beiden Mädchen sah. Und wohl auch meins.
„Keine Sorge, es wird schon nichts Schlimmes geschehen. Aber ich könnte wetten, dass wir nur einen Versuch haben. Und der muss passen.“
„Aber wir kennen doch nur die Federn!“, sagte Janine verzweifelt. „Wie sollen wir denn bloß die anderen Buchstaben rauskriegen?“
„Joe? Du hast doch einen Stift und Papier dabei. Es wäre nicht schlecht, wenn wir die Hieroglyphen und Janines Namen mal aufschreiben und vergleichen könnten.“
Das war wieder einmal eine von Tommys guten Ideen. Aber ich fand mich auch nicht schlecht, schließlich hatte ja ich an Stift und Papier gedacht. Ich holte die Sachen aus meinem Rucksack, und wir setzten uns im Schneidersitz auf den Boden der Kammer.
„Also los“, sagte Sanne energisch. „Du kannst zwar nicht besonders malen, aber wir wissen ja, was es darstellen soll.“
„Ha, ha“, machte ich und schrieb erst einmal den Namen Janine auf das Papier. Dann halfen mir die anderen bei der Beschreibung.