„Zwei Federn, aber nicht nebeneinander wie damals, sondern sie stehen einzeln. Und als Letztes noch zwei gezackte waagerechte Linien. Das war’s.“
Die Zeichnungen standen nun über den Buchstaben von Janines Namen und wir betrachteten sie grübelnd. Sanne lehnte sich zurück und blickte Tommy an.
„Du sagtest vorhin, die Feder steht für das i. Hier sind aber zwei Federn. Ich kann mich noch erinnern, dass zwei Federn nebeneinander für das Ypsilon in „Tommy“ standen. Aber in Janine gibt’s kein Ypsilon und auch nur ein i.“
Tommy nickte.
„Stimmt. Ich bin mir nicht sicher, aber die eine Feder galt, soweit ich weiß, auch für das e. Da gab’s mal so einen Namens-Übersetzer im Internet. Da habe ich Jesses Namen ausprobiert und beim i kam genau die gleiche Feder wie beim e in seinem Namen. Ich wollte ihm nämlich eine Karte mit seinem Namen auf Hieroglyphisch zum Geburtstag schenken.“
Ich wurde ungeduldig.
„Probieren wir’s einfach.“
Ich malte eine Feder unter das i und eine unter das e von Janine.
„Und nun?“
Tommy starrte angestrengt auf die Zeichnung.
„Wenn wir davon ausgehen, dass das stimmt, dann könnten wir zumindest einen Buchstaben noch genau zuordnen.“
„Welchen denn?“, fragte Janine gespannt.
„Das n!“ meinte Tommy ohne eine Spur Unsicherheit. „Das kommt in Janines Namen zwei Mal vor, und von den Hieroglyphen gibt es auch nur eine außer den Federn doppelt. Nämlich die gezackte Linie. Setz die einfach mal unter die ns!“
Ich malte die beiden Linien unter die entsprechenden Buchstaben und blickte gespannt auf.
„Genial, Tommy. Aber die anderen beiden Zeichen kennen wir nicht. Willst du etwa raten?“
Tommy fuhr sich durch die Haare und blinzelte ein paar Mal. Wir sahen ihm an, dass er auch keine Lösung dafür hatte.
„Du hast Recht“, gab er zu. „Die sagen mir rein gar nichts. Da haben wir eine Fifty-Fifty-Chance, einen Treffer zu landen.“
„Aber du hast gesagt, wir hätten nur einen Versuch“, sagte Sanne besorgt. „Hast du denn überhaupt keine Idee?“
Tommy schüttelte den Kopf. „Absolut keine. Ihr vielleicht?“
Wieder senkten wir unsere Köpfe über den Notizblock und zermarterten uns den Kopf. Ich erinnerte mich vage, dass ich vor gar nicht langer Zeit etwas über Schlangen gelesen hatte. Aber wo? Auf einmal fiel es mir wieder ein. In dem Buch „Gefährdete Reptilien Europas“!
„Ich weiß was“, murmelte ich und versuchte, mich genauer zu erinnern.
„Was? Sag schon!“, drängten die anderen.
„Ich muss nach den Ferien ein Referat über Tiere Europas halten, die vom Aussterben bedroht sind. Reptilien“, fügte ich hinzu, als ich die fragenden Gesichter meiner Freunde sah.
„Auch Schlangen?“, fragte Tommy sofort.
„Auch Schlangen“, bestätigte ich. „Kennt ihr die Schlange auf dem Arztzeichen, die sich um einen Stock kringelt? Das ist die Äskulapnatter“, dozierte ich stolz. „Die ist auch vom Aussterben bedroht.“
„Mensch, Joe“, seufzte Janine. „Mach’s nicht so spannend.“
„Na ja“, sagte ich und kostete meine nächsten Worte ziemlich aus. „Die Schlange ist doch ein Symbol für die Heilkraft. Und was sonst suchen wir hier in dieser Welt? Wir wollen Janines Mutter helfen. Janine ist doch hier die Hauptperson, und wenn die sechs Zeichen Janine heißen, müsste ihr Name eigentlich mit dem Symbol für die Heilkraft beginnen. Eben der Schlange.“
„Du meinst ... “, fragte Sanne ungläubig.
„Kann doch sein.“ Aber jetzt kam mir meine Idee doch recht dumm vor. Wie war ich nur darauf gekommen? Nein, das war bestimmt Quatsch.
„Joe ... “, meinte Tommy gedehnt, „da hast du ja einen richtigen Geistesblitz gehabt. Das könnte hinhauen.“
Nicht nur ich schüttelte den Kopf.
„Wenn die Schlange tatsächlich für das J steht, dann ist das Rätsel gelöst, und der Geier muss dahinter und steht für das A.“
„Bist du dir ganz sicher?“, fragte Sanne und nahm mir meine eigene Frage vorweg.
„Nein“, meinte Tommy, „aber habt ihr eine bessere Idee?“
Hatten wir nicht. Ich war hin und her gerissen. Hatte ich Recht, war ich der König. Lag ich falsch, war alles aus und wer wusste denn, was dann mit uns geschehen würde? Ich malte dennoch den Geier unter das A und die Schlange unter das J. Dann sah ich auf.
„Sagt hinterher nicht, dass ich Schuld war!“
„Keine Sorge“, sagte Tommy. „Wenn wir etwas machen, dann machen wir es alle gemeinsam. Stimmt’s?“
Er schaute in die Runde. Die Mädchen zögerten keine Sekunde. Janine deutete auf die Zeichnung.
„Los, Tommy! Drück die Symbole in die Wand!“
Tommy grinste mich an und hielt mir die Handfläche hin. Ich schlug ein.
„Na, dann drückt mal die Daumen.“
Wir standen vom Boden auf. Ich nahm den Notizblock in die Hand und gab Tommy Anweisungen.
„Zuerst die Schlange!“
Er ging hinüber zum ersten Symbol, legte die Hand auf die Schlange und drehte sich noch einmal um.
„Keine Zweifel?“
„Nein!“, schallte es einhellig zurück.
„Na gut“, meinte er und drückte zu. Doch zu unserer großen Überraschung bewegte sich die Hieroglyphe nicht einen Millimeter. Tommy ließ los und wandte sich um.
„Entweder es ist doch der falsche Buchstabe oder es ist doch der Falsche.“
„Was redest du da?“, fragte ich entgeistert.
„Na, der Falsche, der die Symbole drücken muss!“, sagte er achselzuckend. „Vielleicht solltest du mal ... “
In dem Moment, wo er das zu mir sagte, schien ihm ein Gedanke zu kommen. „Nein, ich glaube, ich weiß, wer die Hieroglyphen drücken sollte. Was meinst du, Janine, willst du es nicht mal probieren?“
„Ich? Aber warum ... ?“
„Na, weil es um dich geht. Deine Mutter braucht unsere Hilfe und du stehst ihr am nächsten. Ich habe so das Gefühl, dass du es einfach mal ausprobieren solltest.“
Janine schaute skeptisch. Aber der Gedanke an ihre Mutter ließ jedes Gefühl von Angst bei ihr verschwinden. Entschlossen trat sie vor und legte die Hand auf das Symbol der Schlange.
„Ist ja egal. Wenn’s die falsche ist, geht’s eben nicht.“ Mit diesen Worten presste sie die Hieroglyphe zurück in die Wand. Vollkommen überrascht fuhr sie zusammen und drehte sich um. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
„Tja“, sagte Tommy trocken, „da sieht man mal, was Janine so drauf hat! Los, mach weiter! Welchen als nächsten, Joe?“
„Na, den Geier!“
Gespannt sahen wir zu, wie Janine auch den Vogel zurückdrückte ohne den geringsten Widerstand zu erfahren. Ich spürte, wie mein Herz klopfte. Noch vier Hieroglyphen.
Bei der letzten, der zweiten Feder, hielt Janine inne.
„Was passiert, wenn ich die letzte drücke?“, fragte sie bang.
„Keiner weiß das“, antwortete Tommy ruhig. „Aber wenn du sie nicht drückst,