Wir grinsten uns an. Janines Augen schimmerten immer noch feucht, aber das war wohl die Freude darüber, dass wir etwas tun konnten. Wir brauchten einen Plan, soviel stand fest. Es würde eine Menge zu besprechen geben.
Schließlich brach ich den Bann und schüttete die restlichen Chips in die Schüssel. Dann begannen wir, einen Plan zu entwerfen. Den Rest dieses Freitags saßen wir als verschworene Gemeinschaft zusammen und redeten über das, was wir vorhatten.
Irgendwo im Unterbewusstsein registrierte ich eine mahnende Stimme, die mir ständig zuraunte, dass es vielleicht gefährlich würde, wieder in dieses Haus zurückzukehren. Sehr gefährlich. Aber ich mochte nicht auf sie hören.
Die Tafel
Am nächsten Vormittag trafen wir uns bei mir zu Hause. Es war gar nicht so einfach gewesen, unseren Eltern die Erlaubnis herauszukitzeln, eine Nacht woanders übernachten zu dürfen. Wir hatten eine ganze Weile gebraucht, bis uns die rettende Idee kam. Schließlich wollten wir nicht schwindeln. Na ja, jedenfalls nicht allzu sehr. Zuerst meinte ich, jeder könnte sagen, er übernachte beim anderen. Aber Tommy beendete das Thema gleich wieder. Janine meinte, wir könnten doch zelten gehen. Aber das hätten uns meine Eltern nie erlaubt. Mir ja vielleicht noch, aber Sanne ganz bestimmt nicht. Dafür hatte meine Schwester den genialen Einfall mit Omas Laube.
Meine Großeltern besaßen seit vielen Jahren eine Laube in einem Schrebergarten. Doch seit mein Opa gestorben war, verbrachte Oma nur noch selten ein Wochenende in ihrer geliebten Laube. Jetzt im Oktober zwickte ihr der Rücken schon zu sehr, wie sie sich ausdrückte. Also fragten wir unsere Eltern, ob wir das Wochenende dort verbringen dürften, weil es doch schließlich unser letztes gemeinsames sei. Und wenn ich will, kann ich richtig traurig-liebe Augen bekommen.
Sanne und ich bekamen die Erlaubnis. Unsere Eltern wollten sogar das Wochenende nutzen und Tante Margret in Hannover besuchen. Janines Eltern hatten auch nichts dagegen. Sie hatten sowieso genug für die Fahrt nach Hamburg vorzubereiten. Und Tommys Eltern hätten wir gar nicht fragen brauchen. Sie vertrauten ihm völlig und wussten, dass er nichts Gefährliches tun würde. Tja, also jedenfalls bis jetzt ...
Als wir uns am Abend voneinander verabschiedeten, gab Tommy uns noch mit auf den Weg, darüber nachzudenken, was wir alles mitnehmen mussten. Wir hatten uns überlegt, dass diesmal jeder einen Rucksack tragen sollte. Es war schließlich Oktober, und meine Mutter würde uns nicht gehen lassen, wenn wir uns nicht warm genug anzogen. Omas Laube hatte keine Heizung. Das Dumme war nur, dass es bei unserem letzten Abenteuer in der geheimnisvollen Welt so warm gewesen war wie bei uns im Hochsommer, und was sollten wir dann mit Jacken und Pullovern? Das Problem mussten wir noch irgendwie lösen. Und Tommy meinte, er hätte keine Lust, wieder die ganze Zeit allein einen Rucksack zu tragen. Außerdem könnten wir dann mehr Proviant mitnehmen.
So saßen wir also wieder einmal auf dem Boden, diesmal in meinem Zimmer, und packten unsere Sachen aus, damit Tommy sie inspizieren konnte. In der Hinsicht überließen wir ihm die Führung.
„Lasst mal sehen“, sagte er neugierig.
Ich begann, meine Sachen nebeneinander zu legen und fühlte mich wie vor dem Beginn einer aufregenden Expedition in ein fremdes Land.
„Ein Handtuch. Falls wir wieder baden müssen“, grinste ich. „Eine Flasche Mineralwasser, eine Tüte Chips, zwei Brötchen mit Schinken, heute frisch geschmiert, ein Notizblock und ein Bleistift.“
„Damit wir nicht wieder im Sand rumkratzen müssen“, meinte Tommy anerkennend.
„Genau!“, nickte ich zustimmend. „Außerdem hab ich keine Lust, noch mal nach Hause zu laufen, falls da wieder ein Rätsel erscheint und wir nichts zum Schreiben dabei haben. Hier sind noch zwei Äpfel, drei Schokoriegel, ein paar Erdnüsse, Kaugummis und Kekse.“
„Danke, dass du für mich mit eingekauft hast!“, lachte Tommy. „Und was habt ihr eingepackt?“
Sanne und Janines Sachen glichen den meinen. Jede hatte auch ein Handtuch, eine Flasche Wasser und Äpfel dabei. Aber etwas hatten sie, was ich nicht hatte.
„Wir haben noch ein T-Shirt und eine kurze Hose eingepackt, falls es wieder so warm ist oder wir wieder ins Wasser müssen. Dann können wir die Klamotten wechseln.“
Tommy nickte anerkennend.
„Gute Idee. Eine kurze Hose werde ich mir auch noch holen.“
Ich stand auf und suchte mir ebenfalls noch Sachen zum Wechseln raus. Gut, dass wir uns bei mir zu Hause getroffen hatten. An das Wichtigste schienen wir jedenfalls gedacht zu haben. Jetzt schauten wir gespannt auf Tommy, der noch keine Anstalten gemacht hatte, den Inhalt seines eigenen Rucksacks hervorzukramen. Langsam und bedächtig zog er ein Teil nach dem anderen heraus.
„Die Taschenlampe. Die brauchen wir bestimmt. Die war hier noch drin vom letzten Mal. Ich hab aber neue Batterien rein gemacht. Und ich habe ein Seil gekauft.“
„Ein Seil?“, fragte Sanne. „Meinst du, wir gehen wieder denselben Weg wie das letzte Mal?“
„Nein“, meinte Tommy nachdenklich. „Das macht eigentlich keinen Sinn. Aber wer weiß das schon? Lassen wir uns einfach überraschen. Nein, ich dachte, ein Seil kann uns immer mal helfen, und viel Gewicht nimmt es nicht weg. Es ist ein ultradünnes für Bergsteiger. Damit könnten wir ein Nilpferd abseilen.“
Als Nächstes tauchte ein Kompass auf.
„Absolut lebensnotwendig!“, meinte ich ironisch.
„Na, aber ja!“, lachte Tommy und zog sein Schweizer Taschenmesser hervor. „Das hier ist vielleicht noch wichtiger. Ach ja, und das hier!“
Als Letztes kam das Fernglas zum Vorschein, das uns bei dem Rätsel mit dem kochenden See gute Dienste geleistet hatte.
„Das wär’s“, meinte mein Freund und lehnte sich zufrieden zurück. „Haben wir was vergessen? Hat jemand irgendeine Idee, was noch fehlen könnte? Wenn wir erstmal in der anderen Welt sind, ist es zu spät.“
„Was ist mit der Machete?“, fragte Janine.
„Gute Frage!“, nickte Tommy. „Die hängt draußen unter meiner Jacke. Ich dachte, es wäre vielleicht besser, eure Eltern sehen das Ding nicht. In den Rucksack wäre sie sowieso nicht gegangen. Also, Leute, war’s das?“
Wir überlegten noch eine Weile, aber niemandem kam noch eine zündende Idee.
„Man merkt sowieso erst, was einem fehlt, wenn man es braucht“, meinte Sanne.
„Na okay“, sagte Tommy und hielt uns seine Handfläche hin. „Dann war’s das. Kommt, schlagt ein!“
Und als wir alle mit einem kräftigen Schlag unser Vorhaben besiegelten, konnte ich es kaum noch aushalten, endlich loszugehen.
*
Es war gar nicht so einfach, uns zu verabschieden. Nicht nur, dass wir alle dicke Pullis und Jacken anziehen sollten, nein, um Mutter zu beruhigen, mussten wir nun auch noch zwei Schlafsäcke mitschleppen. Oma hatte zwei Klappsofas in ihrer Laube, aber nicht genügend Decken. Wir kamen uns vor wie Lastesel, als wir endlich die Treppen unseres Mietshauses hinunter stolperten. Dann hatte uns meine Mutter auch noch alle zum Abschied gedrückt! Das war nicht nur peinlich, sondern um ein Haar wäre Tommy die Machete aus seiner Jacke gerutscht. Auf die Erklärung von ihm, was wir mit so einem Ding auf Omas Grundstück wollten, wäre ich allerdings gespannt gewesen!
Endlich hatten wir die Prozedur überstanden und schlenderten Richtung Bushaltestelle davon. Natürlich winkte Mutter uns vom Fenster aus nach. Gott sei Dank lag die Haltestelle außer Sichtweite. Um zum Grundstück zu gelangen, mussten wir an ihr vorbei noch ein ganzes Stück Richtung Wald gehen.